"Bürgerbeteiligung dringend erforderlich"

Edmund Lengfelder im Gespräch mit Katrin Heise · 24.04.2012
Bis sich die radioaktive Strahlung von Atommüll verflüchtigt hat, wird es mehrere hunderttausend Jahre dauern. Der Strahlenbiologe Edmund Lengfelder plädiert daher für einen vorurteilsfreien Neustart der Endlager-Konzeption, wobei die Bürger von vornherein mit einbezogen werden sollten.
Katrin Heise: Was wir uns ja sonst nicht gerade wünschen, ein kurzes Haltbarkeitsdatum, das wäre uns beim Thema Atommüll ja schon ziemlich recht. Nun muss ein Endlagerstandort für die nächsten Jahrmillionen gefunden werden. Da muss die geologische Schicht, in die der Atommüll kommt, ja schon sehr sicher sein. Heute sitzen Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern, Regierung und Opposition zusammen, um eine Lösung im Streit um ein atomares Endlager in Deutschland zu finden. Nachdem lange Jahre das niedersächsische Gorleben als Favorit galt, sollen nun auch andere Standorte geprüft werden. Salzstöcke und Tonformationen gelten da als bevorzugt. Edmund Lengfelder ist Strahlenbiologe und Leiter des Otto-Hug-Strahleninstituts, das vom BUND begleitet wird, ihm nahesteht. Schönen guten Tag, Herr Lengfelder!

Edmund Lengfelder: Hallo! Grüß Gott!

Heise: Sie beschäftigen sich ja seit Jahrzehnten mit den Gefahren des nuklearen Materials für die menschliche Gesundheit. Und sie plädieren für ein anderes Gestein, eigentlich nämlich für Granit, genauer für den Saldenburger Granit im bayerischen Wald – warum?

Lengfelder: Also Granit – ich möchte nicht sagen, dass ich dafür a priori plädiere, aber Granit ist ein Gestein, das man keinesfalls außer Acht lassen sollte. Deswegen, weil es sehr alt ist, sehr stabil ist, sehr wasserfest ist, wenn auch genauso wie in Salzstöcken, da ab und zu mal Wasser reinkommt. Aber die geologische Stabilität ist da unübertroffen.

Heise: Stabil ja, aber sollte das Gestein, die Formation, nicht auch verformbar sein, damit mögliche Erdbewegungen abgefangen werden?

Lengfelder: Also die Verformbarkeit, die beim Salz ja nicht schlecht wäre oder beim Ton auch nicht schlecht wäre, ist meiner Ansicht nach nicht das primär Zielführende. Denn man sollte ja a priori ein Endlager nehmen, das es zulässt, die eingelagerten Castoren, oder wie auch immer sie heißen, wieder zurückzuholen. Um nicht zu sagen, wir vergessen das.

Heise: Das heißt, die Möglichkeit der Rückholbarkeit, also dass man eben irgendwann, wenn die Forschung mal was ganz grundlegend anderes herausgefunden hat, das ist für Sie etwas ganz Wichtiges: Man muss es wiederkriegen?

Lengfelder: Also ich denke, das ist auch ein Prinzip der Sicherheit, denn wir haben ja an den wissenschaftlichen und geologischen Aussagen im Zusammenhang mit der Einlagerung von leicht- und mittelaktiven Abfällen in der Asse gesehen, wie viel das wert ist und wie nach wenigen Jahrzehnten bereits gezeigt wurde, die Asse ist unbrauchbar, da läuft eine Menge Wasser hinein. Die Fässer wurden völlig untauglich gelagert, mit dem Radlader zum Teil nur in Gruben geworfen. Also wenn das die Jahrhunderttausende lange Beobachtung der endlagerfähigen Gebinde sein soll, also ich weiß nicht – da müssen wir weg davon.

Heise: Da müssen wir weg davon. Die Rückholbarkeit, war das bisher immer ein Kriterium, nach dem gesucht wurde?

Lengfelder: Also ich denke nicht. Denn wenn die Politik über so etwas diskutiert, dann wird das Machbare, der Kompromiss, denke ich, im Vordergrund stehen, und nicht das, was auf lange Zeit, wenn die heute entscheidenden Politiker schon gar nicht mehr am Leben sind, was immer noch Gültigkeit haben sollte. Und da sehe ich in der Politik bei den Entscheidungen in den meisten Fällen ziemliche Schwachstellen.

Heise: Kritiker bemängeln ja, Granit, die Granitqualität, sie sei zu zerklüftet. Gilt das Argument nicht? Was ist da dran?

Lengfelder: Also zerklüftet bedeutet halt, dass Wasser eindringen kann. Wasser, was aber in einem zugänglichen Stollensystem auftritt, kann man abpumpen, hat man unter Kontrolle, kann man sehen, sind Undichtigkeiten da. Also ich denke nicht, dass es ein geologisches System gibt, wo man sagt, da schmeißen wir das Zeug hinein und dann machen wir die Augen zu und dann ist die nächsten hunderttausend oder fünfhunderttausend Jahre Ruhe. Auf solche Zeiträume würde ich als Mensch mich nicht einlassen.

Heise: Für wie weiß halten Sie die Landkarte, auf die jetzt geblickt wird bei der Endlagersuche?

Lengfelder: Für wie weiß? Die halte ich gar nicht für weiß. Sondern da wird es ein paar Dinge geben, wo man sagt, also wenn ihr das nehmt, dann kommen wir euch in anderen Bereichen entgegen. Das ist also – im Bayerischen sagt man dazu schachern. Also wie man einen Vorteil gegen einen anderen Nachteil irgendwo auslotet.

Heise: Das heißt, Sie glauben auch, dass der ja schon weit erforschte Salzstock Gorleben immer irgendwie Referenzgröße sein wird?

Lengfelder: Also er ist zumindest aus meiner Sicht nicht vom Tisch. Wobei ich durchaus für überlegenswert halte, dass man in einen Gebirgsstock zum Beispiel reingehen könnte, das muss ja nicht Saldenburg – der hätte da wieder Nachteile, sondern ein Gebirgsstock, wo von Haus aus die Suchähnlichkeit nicht voraussetzt, dass man große Aufzüge baut, um das in die Tiefe zu lassen, sondern dass man halbwegs ebenerdig da reingeht, aber eben gegen Atomwaffenabwürfe et cetera sicher ist, denn auch das muss man im Auge halten, dass das ja ein Ziel sein kann, wenn man hier riesige Mengen von abgebrannten Brennelementen drin hat, und darin ist ja insbesondere auch das Plutonium zu nennen, das mit 24.000 Jahren Halbwertzeit ja schon eine gewisse Marke steckt.

Heise: Eigentlich denkt man doch aber bei der Endlagersuche immer in die Tiefe, in die sehr tiefe Tiefe, und nicht auf die ebene Erde.

Lengfelder: Ja. Man muss, wenn man über so langfristige Dinge denkt, muss man eigentlich richtig, völlig vorurteilsfrei sagen: Was wollen wir erreichen? Wenn ich es verbuddeln will, dann gehen wir in die Tiefe. Dann weiß man aber auch, dass in ein paar tausend Jahren da keiner mehr hinkommt. Und dass der Aufwand, ich meine, da müssen die Aufzüge tausende von Jahren durchhalten – welcher tut denn das? Also deswegen bin ich schon dafür, es gibt ja Tunnelsysteme, die sind dreißig, vierzig Kilometer lang, sind verwinkelt und dadurch also halbwegs druckstabil. Also ich denke, das sollte man nicht einfach vom Tisch wischen, nur damit man politisch aus dem Schneider ist.

Heise: Strahlenforscher Edmund Lengfelder zur Atommüllendlagersuche. Herr Lengfelder, vielleicht liegt es ja an meiner niedersächsischen Herkunft: Ich hatte immer nur Gorleben irgendwie im Blick beziehungsweise ja also nur immer davon gehört, aber noch nie vom Saldenburger Granit als möglichem Standort. Aber natürlich gibt es dort auch seit Jahrzehnten vor Ort Bürgerinitiativen, die sich dagegen wehren.

Lengfelder: Natürlich.

Heise: Die konnten Sie bisher nicht überzeugen. Die sind nicht überzeugt von Ihren Ideen.

Lengfelder: Das ist klar. Ich meine, damals in Gorleben war das ja die Nähe zur DDR-Grenze, wo man sagte, da haben wir es aus dem größeren Teil Westdeutschlands weg. Genauso mit der Asse. Und das hat sich ja inzwischen gezeigt, wie kurzlebig das ist. Und das ist ein paar Jahrzehnte nur. Und über Jahrhunderttausende zu reden, da muss man sich ja schon fragen: Wie teilen wir den dann in der Zukunft lebenden Gesellschaften mit, was da drin liegt. Mit welcher Sprache? Mit Piktogrammen oder was auch immer?

Heise: Na gut, man kommt ja nicht drum herum, irgendwo muss das Zeug ja hin, wir haben es ja. Ganz egal, wie der Ausstieg jetzt sich weiter vollzieht aus der Atomkraft, aber das was bereits an Müll angefallen ist, ist ja da und muss ja irgendwohin. Ich habe die Bevölkerung und die Bürgerinitiativen deswegen angesprochen, weil ja jetzt ein immer wichtigerer Punkt ist, die Bevölkerung soll mitgenommen werden, es soll Transparenz geben. Aber Widerstand formiert sich natürlich schon seit Langem, wird stärker, immer überall, wenn eine Sache konkreter wird. Gibt es Ihrer Meinung nach eigentlich die Hoffnung auf eine Art Bürgerbeteiligung, die eben nicht in Widerstand und Ablehnung endet? Wie kann denn so eine Bürgerbeteiligung aussehen, das will doch eigentlich keiner vor der Haustür haben?

Lengfelder: Also das Problem sehe ich schon darin, dass, als die Atomkraftwerke bei uns gebaut wurden, da die Bürgerbeteiligung jedes Mal weggebügelt worden ist. Ich selber bin in der Oberpfalz geboren, ich kenne Wackersdorf und das Umfeld von Wackersdorf sehr genau und war auch selbst am Zaun und habe dort miterlebt, wie eine Sache da hingeklatscht wird, ohne dass man sich um die Bürgerbeteiligung schert. Und wie damals ein Herr Strauß gesagt hat: Wackersdorf ist nicht gefährlicher als eine Fahrradspeichenfabrik. Und an der Diktion haben sich bei vielen Politikern bei uns die Worte nicht geändert.

Heise: Sehen Sie denn aber eine Möglichkeit, was Bürgerbeteiligung angeht, die eben tatsächlich ein anderes Ergebnis zeitigen würde?

Lengfelder: Ich halte es für dringend erforderlich, und zwar auch überregional, eine Bürgerbeteiligung, denn man muss viele Argumente gegeneinander abwägen. Nicht nur, ich möchte es nicht vor meiner Haustür haben. Man muss auch abwägen, was ist für Deutschland leistbar, und insbesondere, inwiefern sind die Betreiber, die das ja alles sozusagen als Abfall hinterlassen haben, mehr in die Pflicht zu nehmen, finanziell und auch verantwortlich.

Heise: Würden Sie sagen, dass am Ende so eine Art Entsiedelung einer Gegend notwendig ist?

Lengfelder: Also ich hoffe nicht, dass es dazu kommen muss, aber es gibt durchaus Bereiche, die sind viel dünner besiedelt als andere. Auch das spielt eine Rolle. Und die, die dann weggesiedelt werden sollten oder müssten, also im Sinne einer Enteignung, da müsste dann wirklich großzügig eine Entschädigung geleistet werden. Und da ist dann wieder die Frage, ob mehr von den Betreibern oder mehr vom Bürger von seinen Steuern. Ich bin eigentlich mehr der Meinung, der Nutznießer war bisher nicht so sehr der Bürger.

Heise: Ja, da wird sich dann wieder die Diskussion sehr lange im Kreise herum drehen. Wie viel Hoffnung setzen Sie überhaupt auf Gespräche wie die heutigen, dass man da irgendwann mal zu einem etwas befriedigenderen Ergebnis kommt?

Lengfelder: Ich würde erst gern mal das Ergebnis des heutigen Gespräches mir anschauen, um dann mir ein Bild zu machen, wie kann es weitergehen. Ich finde, der Bürger, der Staatssouverän, müsste als Erstes mit einbezogen werden. Da gibt es in Deutschland genügend kompetente Institutionen auf Bürgerebene oder nicht-staatlicher Institutionen. Ich hab auch nichts gegen staatliche Institutionen, aber das sind halt häufig die Vorgaben, die eine Art Korsett der Willensbildung darstellt.

Heise: Also Bürgerbeteiligung schon bevor irgendein Ort diskutiert wird?

Lengfelder: Absolut.

Heise: In welcher Form? Also wie wollt ihr es haben, oder wie?

Lengfelder: Nein, nicht – sondern man müsste die Argumente, die bei den Politikern diskutiert werden, die müsste man auf den Tisch legen, und dann sollten sich ein paar Organisationen wie BUND oder Greenpeace oder Umweltinstitute oder – es gibt ja eine ganze Reihe von kompetenten Leuten – die müssten sich dann zusammensetzen und sagen: Was wollen wir? Und wie ist unsere Strategie?

Heise: Vorstellungen von Edmund Lengfelder. Er ist Strahlenbiologe und Leiter des Otto-Hug-Strahleninstitutes. Zum Thema Endlagerstättensuche. Vielen Dank, Herr Lengfelder, für dieses Gespräch!

Lengfelder: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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