Bürger, baut Schlösser!

Von Andreas Rinke |
Sie locken Touristen an und bedienen unser Bedürfnis nach Schönheit: Der Wiederaufbau alter Schlösser wie in Berlin, Potsdam und Hannover ist eine sinnvolle Sache - und das Geld ist gut investiert, meint Andreas Rinke.
Man könnte den Eindruck haben, die Deutschen haben keine anderen Probleme: Gleich in mindestens drei Städten werden derzeit alte, zerstörte Schlösser wieder aufgebaut. Während man in Stuttgart noch über den Erhalt eines monströsen Bahnhofs streitet, während in chinesischen Städten im Wochenrhythmus Wolkenkratzer entstehen, sollen in Berlin, Potsdam und Hannover alte Herrschersitze wieder aufgebaut werden.

Das sei peinlich, sagen die einen. Die Liebhaber moderner Architektur beklagen ein rückwärtsgewandtes Denken. Dies sei eine sinnlose Geldausgabe, klagen die Dritten. Immerhin will sich der Bund den Bau des Schlosses in Berlin tatsächlich rund 590 Millionen Euro kosten lassen. In Potsdam werden 120 Millionen in die Rekonstruktion des Stadtschlosses gesteckt, in Hannover immerhin ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag in die Rekonstruktion des kleinen Welfen-Schlosses an den Herrenhäuser Barockgärten. Das ist viel Geld.

Doch die Kritik an den Ausgaben zielt ins Leere. Zum einen hat sich die Politik nach jahrelangen, sicherlich sehr kontroversen Debatten für den Bau entschieden, in Potsdam sogar in einer Volksabstimmung. Es gibt also eine demokratische Legitimation. Und die erheblichen privaten Spenden etwa in Hannover zeigen, dass es offenbar auch ein Bedürfnis in der Bevölkerung gibt, die alten Schmuckstücke wieder entstehen zu lassen. Nebenbei: Mit dem Geld, das etwa für den neuen, schmucklosen Bau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin ausgegeben wird, könnte man etliche Stadtschlösser wieder aufbauen.

Ein Argument für die Richtigkeit dieses Weges ist ein ästhetisches. Schon wegen der Gesichtslosigkeit der Häuser, mit denen Bauherren und Architekten deutsche Innenstädte verbaut haben, gibt es offensichtlich ein Bedürfnis nach markanten, attraktiven Bauten. Es entsteht der Wunsch, parallel zu den Zweckbauten des industriellen Zeitalters, den Hochspannungsleitungen, Windrädern, Eisenbahntrassen und Autobahnen, wieder Schönheit zu schaffen.

Es gibt zudem den Wunsch, in dem wirren, singulären Nebeneinander moderner Gebäude einen Eindruck der Geschlossenheit zu erzeugen. So soll das Berliner Stadtschloss die historische Achse Unter den Linden abschließen, Potsdam seine traumhafte, historische Stadtlandschaft vervollständigen und Hannover ein würdiges Ende des Barockgartens erhalten.

Ein zweites Argument ist ein mentales. Die Menschen spüren, wie schnell sich ihre Welt verändert. Angesichts des ständigen Anpassungsdrucks an moderne Technologien gibt es offenbar auch das Bedürfnis, sich an Altem zu orientieren. Nach und nach werden nun einige der gravierendsten Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und Bausünden der Nachkriegszeit wieder korrigiert.

Ein drittes Argument aber ist ein ökonomisches. Das Geld ist gut investiert. Deutschlands Bevölkerung wird erheblich altern und kann schon deshalb das Exportmodell in den kommenden Jahrzehnten nicht in demselben Maße fortsetzen wie bisher. Das Land mag wenig Rohstoffe und noch weniger Kinder haben. Aber an Geschichte hat es genug, um weltweites Interesse zu wecken. Ein zunehmender Teil unseres Wohlstandes wird deshalb künftig durch den Tourismus kommen. Dies liegt auch an den demografischen Umbrüchen auf der Welt.

Wer durch die Mitte Berlins streift, kann dies schon heute spüren. Neben den Touristen aus den europäischen Ländern und den Amerikanern kommen zunehmend Asiaten zum Sightseeing nach Europa. Denn der alte Kontinent hat etwas, was die meisten anderen Kontinente kaum noch haben und durch das ungehemmte wirtschaftliche Wachstum gerade in China immer mehr verschwindet – jahrhundertealte, historische Bausubstanz. Und über welche Dimensionen wir reden, macht eine Zahl deutlich: Bis 2020 wird erwartet, dass bis zu 100 Millionen Chinesen jährlich eine Auslandsreise machen werden.

Die Vision eines Deutschlands als Museumslandschaft ist deshalb alles andere als ein Schreckgespenst – sie ist vielmehr Zukunftssicherung. Deshalb lautet der neue Schlachtruf im 21. Jahrhundert: Baut Schlösser, Bürger!

Den Architekten kann man immerhin noch die Rolle zuweisen, das Innere der historischen Gebäude zu verplanen. In Braunschweig etwa dient das Schloss nur als Fassade – für ein Einkaufszentrum. Schöner als die üblichen gruseligen Einkaufstempel deutscher Innenstädte ist das allemal.

Andreas Rinke, Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen "Displaced Persons" im Zweiten Weltkrieg promoviert. Er hat als politischer Beobachter bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und dem "Handelsblatt" gearbeitet. Schwerpunkte seiner Arbeit sind unter anderem die internationale und europäische Politik. Heute lebt er als Journalist in Berlin.

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