Bühnennachwuchs

Weit weg von pubertärer Nabelschau

Szene aus dem Stück "Freiheit und Demokratie, du Wichser!" von der Theatergruppe des Goethe-Gymnasiums Schwerin.
Szene aus dem Stück "Freiheit und Demokratie, du Wichser!" von der Theatergruppe des Goethe-Gymnasiums Schwerin. © Berliner Festspiele
Von Peter Claus |
Von den mehr als 100 Teilnehmern beim Bundeswettbewerb für jugendliches Laientheater wurden acht Gruppen nach Berlin eingeladen. Im Vordergrund stehen Themen, die die Jugendlichen bewegen: Krieg, Gerechtigkeit und Verantwortung.
Das Entscheidende bei diesem Theatertreffen der Jugend passiert nicht im Scheinwerferlicht. Thomas Oberender, der Intendant der Berliner Festspiele, die den Bundeswettbewerb "Theatertreffen der Jugend" gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ausrichten, erklärt, wieso:
"Die Schweizer sagen, sie tragen die Diamanten unter den Fußsohlen. Das könnte man von unserem Theatertreffen der Jugend auch sagen. Denn es ist ja tatsächlich der größte Schmuck, dass es ein Akademieprogramm ist."
Mit anderen Worten: Hier können sich Theaterpädagogen, Lehrer, nicht zuletzt die theaterbesessenen Jugendlichen, in Workshops austauschen, informieren, weiterbilden. Die abendlichen Aufführungen der acht eingeladenen Inszenierungen sind das i-Tüpfelchen – und der Gewinn fürs Publikum. Den Teilnehmenden ist – bei allem Spaß am Spiel – die bildungspolitische Dimension absolut wichtig.
Thomas Oberender: "Ich glaube, dass das Renommee dieser Bundeswettbewerbe und des Theatertreffens der Jugend insbesondere dazu beiträgt, den Stellenwert der musischen Bildung zu erhöhen."
Wachsendes Theater-Engagement der Schulen
Was heißt, mehr über die Grenzen der Bundesländer hinwegzublicken. Während etwa in Hessen Theater an den Schulen ganz groß geschrieben wird, hängt es in der Mehrzahl der Bundesländer von den Kraftreserven einzelner Lehrer ab.
Doch es tut sich was. Nachdem es viele Jahre so war, dass Jugendklubs an den Theatern und die freie Szene die Theaterarbeit mit Schülern dominiert haben, engagieren sich jetzt wieder viele Schulen. Martin Frank, Vorsitzender der Jury des Theatertreffens der Jugend:
"Ganz große Überraschung – und zwar, dass dieses Jahr die Jury plötzlich vor der Tatsache stand, dass die Hälfte aller ausgewählten Gruppen aus den Schulen kommen. Und plötzlich zeigen sich hier Formate, die so beeindruckend sind, dass man sagen kann: 'Okay!' – das, was das Festival eigentlich will, die Szene miteinander in so'ne Reibung bringen, in so'n Auslösen bringen, das findet statt. Und es wird megaspannend."
Zeitgeschehen im Blick
Zum Beispiel durch das, was allabendlich auf der Bühne zu sehen ist. Das ist mal laut, mal sehr verhalten, immer erstaunlich zeitkritisch. Nichts da mit pubertärer Nabelschau. Stücke mit Titeln wie "Looking for Parzival", "Demokratie und Freiheit, Du Wichser" oder "Syrien – der Krieg im Menschen" blicken auf die Gegenwart, stellen Fragen an die Verantwortung der Regierenden, kritisieren die Gefahr des Rückzugs der Einzelnen ins Private. – Jury-Mitglied Carmen Waack:
"Dieses Jahr sind es ganz politische Themen. Es geht viel um Krieg, um die Frage nach Gerechtigkeit, nach Gesellschaft, nach Menschwerdung und Charakterbildung. Das sind die Themen, die gerade kursieren."
Vergnügen an den Aufführungen fürs Publikum und Bühnen-Bewährung für die teilnehmenden Jugendlichen gehen Hand in Hand mit der Lust von Theaterpädagogen, Lehrern, Regisseuren, die an den Workshops teilnehmen. Eine davon: die freie Regisseurin Gabriele Wiesmüller:
"Für mich ist es tatsächlich so, dass diese Arbeit die beste Art von Wahrnehmungsschulung eigentlich auch für Kinder und Jugendliche ist – und nicht zuletzt auf 'ne ganz eigene Art, und vielleicht werde ich jetzt von vielen dafür gescholten, das so zu sagen, aber es ist für mich fast 'ne sozialpädagogische Arbeit."
Die Eigenwahrnehmung der schauspielenden Jugendlichen wird gestärkt, ihr Verantwortungsbewusstsein in einem Team, ihr Respekt anderen gegenüber, auch das Selbstbewusstsein.
Den knapp 200 Jugendlichen, sie sind zwischen 14 und 21 Jahren, bedeutet die Teilnahme am Festival eine Ehre und mehr. Sie nehmen's als Chance:
"Sich weiterzubilden, auch in Hinsicht zum Theater, neue Leute kennenzulernen, und viel Spaß zu haben, man kann sich öffnen vor anderen Leuten, man kann neue Seiten von sich kennenlernen und neue Seiten zeigen, es gibt einem Sicherheit und es nimmt einem auch Angst, vor vielen Leuten zu sprechen, genau, Erkenntnisse, wir setzen uns auch mit politischen Themen auseinander, 's ist halt so unsere Stimme, das Theater".
Geringe Ausstattung, große Effekte
Faszinierend für das Publikum: mit welch geringen Mitteln die Jugendlichen erstaunliche Effekte erzielen. Nichts da mit großer Ausstattung und vielen Requisiten, die technischen Möglichkeiten sind meist gering. Stimme und Körpersprache sind das Entscheidende. Und die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit so Gewichtigem wie der Frage, welche Auswirkungen ein Krieg in Asien oder Afrika auf Einzelne in Europa haben kann.
Eins gibt's hier nicht: die selbstreferenzielle Eitelkeit des etablierten Theaters für Erwachsene. Hier ist Theater nicht Selbstzweck, hier will es die Welt erkunden. Dabei sind die Maßstäbe hoch. Jury-Mitglied Carmen Waack:
"Es geht natürlich vor allem darum, zu gucken, in wieweit bringen die Jugendlichen ihre Themen auf die Bühne, und welche Sprache finden sie dafür."
Auf diesem Festival eine durchweg kraftvolle Sprache – pointiert, engagiert, mitreißend.

Das Theatertreffen der Jugend läuft noch bis zum 7. Juni 2014 im Haus der Berliner Festspiele.

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