Ausstattungstheater im Leerlauf

An diesem Wochenende geht das Festival "Foreign Affairs" zu Ende. Zu sehen gab es internationale Performances und Inszenierungen. Stellt sich die Frage, ob der Brückenschlag zur Pop-Kultur und zur Pop-Musik wirklich gelungen ist.
In Berlins bekanntestem Techno-Club Berghain steht ein Hipster auf der DJ-Bühne und besingt die Revolution, besonders die private Revolution des Giangiacomo Feltrinelli. Die Biographie des italienischen Millionärs, Kommunisten und Verlegers, der Ende der 60er Jahre in den Untergrund ging und 1972 unter ungeklärten Umständen starb, bietet Stoff für ein Heldenepos a la Hollywood. Die Brit-Pop Band Neon Neon hat daraus mit dem national Theatre Wales ein Musical gezimmert. "Praxis makes perfect" .
Aber perfekt ist vor allem der Sound und die Technik. Zwei mannshohe Schreibtische werden durchs Publikum geschoben. Auf ihnen spielen die Akteure Schlüsselszenen aus Feltrinellis Leben. Erst windet sich Feltrinelli sich unter den Schlägen böser CIA-Agenten, dann sieht man ihn im handfesten Streit mit seinen bösen Genossen von der kommunistischen Partei, die verhindern wollen, dass er Pasternaks Dr. Shivago verlegt. Später spielt der kommunistische Verleger mit Fidel Castro Basket-Ball. Der sieht aus wie ein Weihnachtsmann in Tarnfleck.
Schauspieler auf Sofas und an Schreibtischen
Jede Rolle in einem Andrew Lloyd Webber -Musical hat mehr Tiefe. Dazwischen spielt die Band ihren gefälligen Pop. "Praxis makes perfect" ist eine Life- Aufführung eines ziemlich langen Musik-Clips mehr nicht .
Auch "The Festival of Stuff", das Spektakel des ehemaligen Art-Directors Scott King einen Abend später im Haus der Berliner Festspiele verspricht multi-mediales Erlebnis-Theater. Aber was als durchaus spannende Reflexion über das Phänomen, "Youtube" beginnt: Wie erlebe ich als User längst vergangene Ereignisse, wenn ich sie mir auf "Youtube" an meinem Rechner anschaue? Als Zeitreise, oder als ob ich live dabei gewesen wäre? - das endet als beliebiger Video-Schnipsel Abend. Zum Verhältnis Online-Life-Erlebnis und reale Erinnerung fällt Scott King nicht viel mehr ein, als ein paar amateurhaft nachgespielte Band-Anekdoten und ermüdende Punk-Rock Clips auf der Großleinwand. Ausstattungstheater im Leerlauf. Dieses Gefühl beschleicht den Zuschauer leider auch bei der letzten großen Theaterproduktion des Festivals.
Als "Die Entdeckung des letztjährigen Theaterfestivals von Avignon" wurde Julien Gosselins Dramatisierung von Houellebecqs Roman "Elementarteilchen" angekündigt. Und wie so oft bei diesem Festival beeindruckt die perfekte Bühne: Ein Rasen-Rechteck in der Mitte. Dahinter und an den Seitenwänden sitzen die Schauspieler auf Sofas und hinter Schreibtischen. Natürlich steht wieder eine Band auf der Bühne. Natürlich fehlt auch die Riesen-Leinwand nicht.
Rituale von Swinger-Clubs und New Age
Als das Buch Ende der 90er-Jahre herauskam, traf Houellebecqs Beschreibung einer sich tödlich langweilenden Spaßgesellschaft den Nerv der Zeit. Gosselin läßt die beiden Hauptfiguren, die Halbbrüder Bruno und Michel vortreten und von sich erzählen. Andere Romanfiguren tuen es ihnen gleich oder zitieren einfach Houellebecqs Originaltext. Das ganze erinnert an eine Mischung aus Reality-Show und Dokumentarfilm.
Houellebecqs düstere Gesellschaftsanalyse wird durch die beißende Ironie erträglich, mit der der Schriftsteller den Jugend- und Sexwahn seiner Protagonisten schildert . Nur wenn 15 Jahre später auf dem Theater die Rituale von Swinger-Clubs und New Age parodiert werden, ist das nicht mehr lustig, sondern nur noch langweilig.
Dass ein Festival funktioniert , merkt man daran, dass die Zuschauer auch nach der letzten Performance des Abends einfach nicht gehen wollen, dass sie das, was sie gerade erlebt haben, immer wieder erzählen wollen, wenn der Erlebnisrausch langsam in den Rausch an der Bar übergeht. Auf diesem Festival stellte sich beides nur selten ein. Außer nach den Tanzperformances von Boris Charmatz und Hofesh Shechter über beide wurde an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet- suchten die von der perfekten Theatermaschine ermatteten Festivalbesucher an den meisten Abenden schnell die Weite der Berliner Nacht.