Bücherbus in Brandenburg

Alle 14 Tage kommt die Bibliothek ins Dorf

Anna Köhler steht in ihrem Bücherbus
Anna Köhler fährt mit ihrer rollenden Bibliothek übers Land und versorgt die Leute mit Büchern. © Vanja Budde
Von Vanja Budde · 04.07.2018
Früher gab es in fast jedem Dorf in Brandenburg eine kleine Bibliothek. Doch nach der Wende wurden sie geschlossen. Damit ältere Leute ohne Auto und Kinder auf den Dörfern nicht ohne Lesestoff bleiben, sind fünf fahrende Leihbibliotheken unterwegs.
Der Sommer liegt heiß und trocken auf den schier endlosen Feldern rund um das Örtchen Gröditsch am Rand des Spreewaldes. Störche suchen mühsam nach Insekten, die Dorfstraße liegt im Mittagsschlaf.
13 Uhr: Der Bücherbus steht auf dem Parkplatz der Grundschule. Eben haben sich drei Mädchen Kinderbücher ausgeliehen, sind dann nach Hause gegangen, gerade ist niemand da: Die junge Bibliothekarin Anna Köhler, Jeans, weißes T-Shirt, flippige knallblaue Flipflops mit Strasssteinchen.
"Wenn die Kinder oder die Erwachsenen nicht rechtzeitig ihre Bücher zurückbringen, dann kriegen die manchmal böse Post. Und das suche ich gerade heraus."
Sechs Meter lang und zweieinhalb breit ist der neue Bücherbus, drei Oberlichter spenden Tageslicht, ein Aggregat sorgt für Strom, Internet gibt es auch. Maßgeschneiderte helle Holzregale bieten Platz für 2500 Medien. In kindgerechter Höhe kann man Sitze mit dunkelblauen Polstern aus den unteren Regalen ziehen, demonstriert Busfahrer Hermann Bernd stolz.
"Wir machen ja auch Vorführungen hier. Mit dem Beamer können wir hier Filme oder … so was können wir machen. Im Bus drin ist es ja so ein bisschen moderner, da ist ja die Leinwand vorne. Also hier passen, wenn jetzt ein Kindergarten kommt, hier passen schon 15 Kinder drauf. Ist immer lustig, wenn die Kinder kommen."

Seit 25 Jahren fährt die Bibliothek übers Land

Der alte Bus war doppelt so lang und fasste doppelt so viele Bücher und DVD, war aber in die Jahre gekommen. Die Fahrbibliothek des Landkreises gibt es nämlich schon ein Vierteljahrhundert, erzählt Anna Köhler.
"Ursprünglich gab es fast in allen Dörfern Bibliotheken, zumindest vor der Wende. Und nach der Wende wurden viele aufgelöst, und es wurden Kreisbibliotheken eingerichtet. Und wir sind zum Beispiel eine Kreisbibliothek, das heißt, wir sind für den ganzen Landkreis zuständig. Und überall da, wo es keine Bibliothek gibt, fahren wir hin."
Zu den alten Leuten ohne Auto und den Kindern und Jugendlichen im Vor-Führerscheinalter. Die Kreisbibliothek steht im 17 Kilometer entfernten Lübben.
"Und bei uns ist es auch so: Man kann alles vorbestellen. Das heißt, wir bringen das alles mit. Wenn die sagen: ‚Wir wollen morgen das und das haben‘, bringen wir das mit. Eh die nach Lübben gefahren sind … Wir fahren bis kurz vor Königs Wusterhausen. Da gibt’s zwar auch eine Bibliothek, aber teilweise sind die Wege sehr lang. Und ohne Auto … viele Busverbindungen sind schlecht."
"Wir haben ja unsere Stammkunden, die kommen, da weiß man, was die wollen, und das bringt man mit. Und dann ist man auf der sicheren Seite."
Gröditsch ist heute die erste Station. Busfahrer Hermann Bernd wird danach auch noch in Neu Lübbenau, Hohenbrück, Alt-Schadow Halt machen, in Neu-Schadow, Neuendorf am See und Schlepzig. Hermann Bernd, ein kräftiger Typ mit gemütlichem Bauch, ist schon fast 20 Jahre dabei. Als es los ging mit der Fahrbibliothek, da war der Ansturm groß:
"Es kamen wirklich Familien mit Wäschekörben, die haben kistenweise die Bücher weggeschleppt alle 14 Tage. Was heute überhaupt nicht mehr ist. Heute kommen sie mal mit einem Buch oder zwei Bücher oder … Wir haben auch welche, die nehmen mal zehn Bücher mit, weil ja jetzt Ferien sind. Aber ansonsten …"

Weniger Bücher, mehr elektronische Medien

Ansonsten lesen die Leute heute weniger Bücher, mehr elektronische Medien, meint die Bibliothekarin Anna Köhler.
"Man darf es aber nicht unterschätzen. Also wir haben immer noch sehr, sehr viele Neuanmeldungen. Aber die Masse an sich ist geringer geworden. Es hat niemand mehr Zeit, sich 20 Bücher im Monat anzugucken."
Hermann Bernd: "Die haben ein Tablet zu Hause oder andere Medien, wo man das lesen kann. Die lesen schon noch, aber mehr noch die Älteren wollen eher doch ein Buch lesen, nicht? Das muss blättern, das muss riechen nach Buch. Und nicht jetzt diese elektronischen Sachen."
Nach 50 Minuten in Gröditsch geht es weiter zur nächsten Station. Mehr als 10.000 Leseratten nutzen nach Angaben des Landkreises jährlich das Angebot der Fahrbibliothek und leihen sich monatlich etwa 2500 Medien aus. Dahme-Spreewald lässt sich die Leseförderung auf den Dörfern rund 300.000 Euro im Jahr Kosten. Zehn Prozent davon kommen wieder herein, mit den Mitgliedsgebühren und weil die Kommunen mit Haltepunkt für den Service einen Obolus entrichten.
In Neu Lübbenau hält der Bücherbus neben der Kita Wirbelwind und dem Hort der Grundschule. Sehnsüchtig erwartet von zwei Stammkunden: Paul, acht und Ben, zehn.
"Ich finde es auch schön, dass der Bücherbus dann eben hierher kommt und dass der gleich hier vorne so hält."
"Also ich finde das super. Einfach nur gut."
"Ja, ich auch!"

Harry Potter ist out

Das Angebot ist breit gestreut: Bilderbücher für die Kleinsten, Krimis, Biografien, Reiseführer, Kochbücher, Gartenbücher, Magazine, Zeitungen, Rategeber, literarische Neuerscheinungen von Martin Suter oder Arundhati Roy. Und natürlich Jugendromane. Harry Potter scheint schon wieder out zu sein, zumindest hat der Zauberlehrling Ben und Paul jetzt nicht sooo überzeugt.
"Bei mir sind es Bücher mit Rätseln, wo ich suchen muss.
"Also ich lese gerne Die Drei Fragezeichen, ich leihe mir auch DVDs und CDs hier aus."
"Ich finde auch schön, dass es hier nicht nur Bücher gibt, sondern auch DVDs, CDs, alles Mögliche. Playstation-Spiele."
Die Kundschaft kann auch online bestellen, erklärt Anna Köhler. 35.000 Medien stehen im Magazin in Lübben bereit. Jährlich werden etwa 1200 Medien neu angeschafft. In diesem Jahr kann sie dafür knapp 18.000 Euro ausgeben. An der Spiegel-Bestseller-Liste orientiert sie sich dabei nicht unbedingt.
"Die ist schön, aber nicht immer das, was die Leute lesen wollen. Hier liest jeder querbeet. Wir könnten uns auch in jede Großstadt stellen, das wäre die gleiche Auswahl in Bibliotheken. Also man kennt ja die Kollegen, was die so in den Bibliotheken stehen haben, und das ist genau das Gleiche."
"Die Leute staunen immer, wie viele neue Sachen wir drin haben. Krimis oder alles Mögliche haben wir, Thriller und Fantasy ein bisschen. Das geht nicht so gut bei uns, Fantasy."
Brandenburger sind halt bodenständig. So wie Ben:
"Ich habe mein Buch gefunden.
"Nur das?"
"Ja. Ein Dampflokbuch, weil ich bin ein ziemlich großer Fan von Dampfloks. Ich mag mehr so die Dampflok, weil ich finde, dass die auch viel mehr Krach machen als alte Dampfloks, die Dieselloks. Und außerdem mag ich es auch viel mehr."
"Ich packe dir hier mal einen Fahrplan rein. Wir kommen jetzt immer ein bisschen eher an den Hort. Ja?"
"Ja. Da kann ich das dem Hort gleich zeigen."

"Lesen ist so wichtig"

Nikole Haberland erklimmt die Stufen zum Bus. Sie ist Erzieherin in der Kita Wirbelwind und freut sich über jedes Kind, das liest, statt nonstop auf sein Handy zu starren.
"Lesen ist so wichtig. Und man merkt es ja gerade auch bei den Schulkindern, wie wichtig es wirklich ist, dass sie sich ein Buch noch mal in die Hand nehmen und nicht nur in der Schule lesen, sondern auch noch mal zu Hause, weil es ist ja auch wirklich wichtig."
"Dann werde ich auch im Lesen gefördert."
"Genau. Und vor allem sieht man ja auch an der an der Schrift und allem, dass es wirklich förderlich ist."
Der alte Bus sei zwar größer gewesen, resümieren Paul und Ben, mit dem Neuen sind sie aber auch zufrieden.
"Ja, da hatte man mehr Auswahl. Aber ich finde den hier auch schön vom Aussehen her von außen. Sieht auch sehr kinderfreundlich aus, nicht so einfarbig. Ich finde das sehr schön, dass der so bunt ist. Also meine Bewertung von einer Skala bis zehn werte ich auch auf zehn, weil das ist einfach gute Qualität, die Bücher."
Ein riesengroßer Grüffelo im Wald ist auf die Seite des Bücherbusses gemalt: das Cover eines beliebten Kinderbuches. Beschwingt vom Lob der Kundschaft steigen Anna Köhler und Hermann Bernd vorne in die Fahrerkabine. Weiter geht es zur nächsten Station: 14 Uhr 40 in Hohenbrück.
Mehr zum Thema