Budapester Buchfestival feiert Daniel Kehlmann

"Ein Stich ins Herz der ungarischen Politik"

Daniel Kehlmann
Der Autor Daniel Kehlmann - in Budapest begeisterte er mit einer anti-nationalistischen Rede. © picture alliance/dpa/Foto: Arne Dedert
Wilhelm Droste im Gespräch mit Gabi Wuttke · 23.04.2018
Die oppositionellen Ungarn hadern mit dem Wahlsieg der rechtsnationalen Fidesz-Partei. Beim Budapester Buchfestival habe ihnen der Autor Daniel Kehlmann mit einer beherzten Rede gegen Nationalismus neue Zuversicht gegeben, sagt Literaturwissenschaftler Wilhelm Droste.
Der Bestseller-Autor Daniel Kehlmann wurde beim Internationalen Budapester Buchfestivals geradezu euphorisch gefeiert, als er dort als Ehrengast einen Preis entgegen nahm. Ungarn ist offenbar auf der Suche nach neuen kulturellen Figuren, die die Rolle eines Imre Kertész oder Péter Esterházy übernehmen und Brücken zwischen Ungarn und dem restlichen Europa schlagen könnten. Solche Stimmen fehlten – was den Ungarn besonders schmerzlich bewusst wird, nachdem Viktor Orbáns rechtsnationale Partei Fidesz erneut die Wahlen gewonnen hat, sagt der Literaturwissenschaftler Wilhelm Droste.

Kehlmann war zur richtigen Zeit in Ungarn

Daniel Kehlmann sei "genau die richtige Figur zur richtigen Zeit", so Droste. "Er hat diese unglaubliche Freundlichkeit im Gesicht und diese unbrechbare gute Laune. Und die kann diesem Land, das ja in sehr gewackelter Laune angetreten ist zum Buchfestival, nur gut tun."
Das Bild zeigt eine regierungskritische Demonstration abends in Budapest.
Eine regierungskritische Demonstration in Budapest.© AFP / Attila Kisbenedek
Kehlmann habe die Ungarn aber nicht nur durch seine Freundlichkeit sofort für sich eingenommen, sondern vor allem auch durch seine Rede, in der er von "der Unaktualität" des Nationenbegriffs gesprochen habe – dass die Nation "in unserer heutigen Welt keine Zukunftsbedeutung mehr hat, sondern dass man sich in die Welt hinein orientieren muss. Und das ist natürlich politisch ein Stich ins Herz der ungarischen Politik, die meint, sich abriegeln zu müssen."
Den Autor einzuladen, sei von den Veranstaltern klug kalkuliert gewesen. Denn der gebürtige Österreicher – mit seiner demonstrativen Weigerung, sich als Österreicher oder Wiener zu fühlen, sondern vielmehr als Weltbürger – "tat dem Ganzen sehr gut".

Deutscher Markt ist wichtig für ungarische Literatur

Droste sagte weiter: Der deutsche Markt sei sehr wichtig für Ungarn – in deutschen Buchläden seien ungarische Autoren zahlreich vertreten. Deutschland nehme somit eine wichtige Rolle als Vermittler ungarischer Literatur ein.
Die Ungarn müssten sich nun bemühen, zumindest kulturell den Kontakt zu Europa und zu Nordamerika aufrecht zu erhalten. Sie seien sehr stolz auf ihre Literatur – und kritische Schriftsteller seien in Ungarn in Zeit der Medien-Gleichschaltung wichtiger denn je.
(mkn)
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