Buchreihe "Europa in Israel"

In der Sprache der Täter

Der Felsendom in Jerusalem, aufgenommen am 18.07.2010. Im Vordergrund ist Stacheldraht zu sehen. Der Felsendom ist das wohl bekannteste Wahrzeichen Jerusalems sowie eines der Hauptheiligt
Zufluchtsort Jerusalem © dpa / picture-alliance / Marius Becker
Von Stefan May · 17.06.2016
Viele deutsch-jüdische Autoren, die von den Nazis nach Palästina geflohen waren, schrieben weiterhin auf Deutsch. Publiziert wurden sie, wenn überhaupt, in hebräischer Übersetzung. Der Arco-Verlag veröffentlicht einige davon nun erstmals im Original.
Der Autor, ein gebürtiger Wiener, hieß damals noch Eugen Hoeflich, als er in der K.-und-k.-Armee diente. 1927 übersiedelte er nach Palästina und änderte seinen Namen auf Mosche Ya'akov Ben Gavriêl. Zeitlebens kämpfte er für die Idee des Pansemitismus und eines gemeinsamen Asiens, schrieb aber weiter auf Deutsch. 1946 erschien "Jerusalem wird verkauft" auf Hebräisch. Dass dieses kleine literarische Juwel nun auch in deutscher Sprache erschienen ist, verdankt sich der Initiative "Europa in Israel", der neuen Reihe des Arco-Verlags, an der drei Institutionen beteiligt sind: das Archiv der national Library of Israel in Jerusalem, die Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur der Universität Hamburg und das Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel. Der Grund für die Initiative liegt in den zahlreichen noch ungehobenen literarischen Schätzen, die in israelischen Archiven lagern.

Schrittweise sollen die Werke nun erforscht werden

Hoeflich-Ben Gavriêl ist ein gutes Beispiel: Viele jüdische Autoren und Autorinnen, die vor den Nationalsozialisten nach Palästina geflohen waren, schrieben dort weiterhin auf Deutsch, weil sie des Hebräischen nicht mächtig waren. Doch Deutsch war im späteren Israel die Sprache der Täter, die nur selten übersetzt wurde. Diese noch verborgene Literatur soll nun schrittweise erforscht werden.
Im ersten Buch der Reihe, "Jerusalem wird verkauft", ernennt das oberste Armeekommando den Ich-Erzähler Leutnant Dan zum Leiter der Etappe, also eines Versorgungsstützpunkts, in Jerusalem. Deutsche und österreichische Verbände waren im Ersten Weltkrieg den Truppen des Osmanischen Reichs unterstellt. Nicht von ungefähr lautet der Untertitel des Buches: "Gold auf der Straße". In der Einleitung zu seinem Roman schreibt der Autor:
"Dieses Buch erzählt nichts von den Schlachten oder von den militärischen Bewegungen. Es ist die erste Darstellung der in aller Historie wohl ersten Plünderung dieser Heiligen Stadt nicht durch den Feind, sondern durch den Freund. Deutsche, Österreicher und Türken führten hier bis zum Einzug Allenbys einen Krieg nicht um eine Idee, nicht von Mann gegen Mann, sondern einen Kampf um die höchsten Goldkurse, gegen eine Bevölkerung, die infolge dieses Krieges der militärischen Spekulanten in unvorstellbarer Weise hungerte."

Völkermord an den Armeniern und Duldung durch das deutsche Heer

Der Offizier aus Wien lernt bei seinem Einsatz die Brutalität der türkischen Truppen, den Völkermord an den Armeniern, die Duldung dieses Tuns durch das deutsche Heer, aber auch die Ignoranz der eigenen Armee kennen.
"Ein Offizier zeigt mir mit stolz eine Flöte, geschnitzt aus den Knochen eines armenischen Kindes, die er für das Hofmuseum in Wien mitbringt."
Schon die ersten Eindrücke am neuen Dienstort Jerusalem, angelehnt an ein österreichisches Feldlazarett, zeigen Leutnant Dan die Diskrepanz zwischen Einwohnern und Militärs. Die Handvoll Krankenschwestern prostituiert sich allnächtlich für den einen oder anderen Offizier. Die Herren mit dem Gold am Kragen wiederum haben nichts Wichtigeres im Sinn, als mit Gold zu spekulieren und den eigenen Reichtum zu mehren. Dazwischen wird Müßiggang im Hinterland der Front bei Gaza gepflegt.
"Die Schwester lag im Bett und neben ihr ein Unteroffizier. In der anderen Ecke des Zimmers saß mein Bursche vor einer Flasche Wein und spielte das schöne Lied 'Scheint die liebe Sonn' am Titicacasee'."
Der in Tagebuchepisoden strukturierte Roman lässt oft schmunzeln. Man ist beim Lesen an Joseph Roth, Roda Roda, Max Brod oder Arthur Schnitzler erinnert. Wären da nicht rund um die gefüllten Magazine der Armee Krieg und Not, die das Schmunzeln im Handumdrehen gefrieren lassen.
"Hunderte Spitzel durchstreifen Tag und Nacht die Stadt; Tag für Tag, Nacht für Nacht verschwinden Menschen. Ein Tauber wird ausgeschickt, einen verlaufenen Esel zu suchen. Weder er noch der Esel kommen je zurück. Einer geht über die Straße ins Bad: Er krepiert irgendwo in Anatolien an der Ruhr, an der Cholera, an Hunger oder an einer Kugel oder an allem zusammen. Arabische Soldaten liegen vor den Depots und heulen tagelang nach einem Stück Brot und fressen die Nilpferdpeitschen ihrer diebischen Offiziere. In den Synagogen verhungern alte Männer und alte Weiber, wahnsinnig geworden, reißen sich die Kleider vom Leib. Schwarze Abessinier-Mönche fallen vor ihrer prächtigen Kathedrale verhungert um. Und die Muftis kommen nicht mehr in die Moscheen zurück, weil Cholera und Hunger die Araber zu Hunderten in die beinweißen Friedhöfe zerrt, die am Blumentor liegen und dem Ölberg gegenüber."

Ein rares Zeitdokument

Schon die ungewöhnliche Grundkonstellation – jüdischer K.-und-k.-Offizier im Ersten Weltkrieg an der Front im Nahen Osten – macht den Roman als rares Zeitdokument fesselnd. Ganz nebenbei erzählt er vom latenten Antisemitismus in der Gesellschaft, doch bezeugt er auch den großen Patriotismus der jüdischen Österreicher, deren Loyalität nicht einmal zwei Jahrzehnte später mit offener Verfolgung beantwortet wurde.
Ein zweiter Titel der Reihe "Europa in Israel" heißt "Verluste – Antonia gewinnt" und wurde von Lea Goldberg geschrieben, die 1935 nach Palästina emigriert war und dort unmittelbar mit der Arbeit an dem Roman begann. Darin geht es um einen Dichter im Berlin der 1930er-Jahre. Auch dieses Buch erscheint zum ersten Mal auf Deutsch.
Mehr zum Thema