Buch "Was ist afrikanische Kunst?"
© Wallstein Verlag
Geschichte einer Projektion
06:24 Minuten
Peter Probst
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Uwe Hebekus
Was ist afrikanische Kunst? Eine kurze GeschichteKonstanz University Press, 2024337 Seiten
34,00 Euro
Das neue Buch des Kunsthistorikers Peter Probst über „afrikanische Kunst“ hat das Zeug zum Standardwerk und gibt den Reizthemen Raubkunst und Restitution ein wissenschaftliches Fundament.
Mehr als 50 Länder, jedes mit einer eigenen Kultur, Gesellschaft und Geschichte: Schon ein flüchtiger Blick auf den Kontinent, der auf den Namen Afrika hört, offenbart eine Vielfalt, die sich nicht unter einem einzigen Begriff fassen lässt.
Wenn der Kunsthistoriker Peter Probst in seinem Buch trotzdem nach der „afrikanischen Kunst“ fragt, dann nicht, weil er einer essenzialistischen Idee von ihrem unveräußerlichen Wesen anhängt. Der in Deutschland geborene und an der Bostoner Tufts Universität lehrende Wissenschaftler will vielmehr den Blick auf die soziohistorischen Bedingungen lenken, die diesen Begriff erst erschaffen haben.
In drei Großkapiteln verfolgt er die Formierung des Begriffs und des Feldes „afrikanische Kunst“: Vom Kolonialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts über die Nachkriegszeit und die 1980er-Jahre bis zur post- und dekolonialen Phase am Übergang zum 21. Jahrhundert.
Der Begriff „afrikanische Kunst“ ist eine Geschichte der Projektionen von außen: Seinen Ursprung hatte er in erst kolonialer, später auch philanthropischer Sammlertätigkeit. Er entstand in Museen außerhalb des Kontinents: dem British Museum in London, Berlins Ethnologischem Museum oder dem damaligen Museum of Primitive Art in New York. Auch die afrikanische Kunstgeschichte entstand in den USA.
Alle drei Phasen, so Probsts These, kennzeichnete die Fixierung auf subsaharische Kultobjekte und das Kunsthandwerk. Deren Analyse und Bewertung orientierte sich an den Maximen der westlichen Moderne. Es war ein weiter Weg von der anonymen „Stammeskunst“ bis zur Subsumption zeitgenössischer Werke individueller Künstler:innen der transkontinentalen, schwarzen Diaspora unter das Etikett „afrikanische Kunst“.
Der weite Weg zur Anerkennung
Dieser Weg führte von dem deutschen Ethnografen Leo Frobenius und seiner Erforschung der berüchtigten Benin-Bronzen zu dem Wortführer der postkolonialen Ästhetik, dem nigerianischstämmigen US-Kurator und späteren documenta-Kurator Okwui Enwezor.
Probsts atemberaubend gutes Buch hat das Zeug zum Standardwerk. Es gibt kein anderes Werk, das so kenntnisreich, präzise, zugleich aber spannend und lesbar die verzweigte globale Diskursgeschichte nachzeichnet.
Den Reizthemen Raubkunst und Restitution gibt er überhaupt erst das wissenschaftliche Fundament. Probst will nicht politisch anklagen, sondern den widersprüchlichen Prozess von der erst räuberischen, dann kulturellen Aneignung bis hin zur ästhetischen Wertschätzung nachvollziehbar machen. Letztere folgte im Nationalismus des frühen 20. Jahrhunderts wie auch später im Kalten Krieg freilich immer politischem Kalkül.
An dem Grunddilemma „afrikanischer Kunst“ hat der mühsame Prozess nichts geändert. Auch wenn in Kapstadt 2017 das weltweit größte Museum afrikanischer Gegenwartskunst eröffnet hat: Die Diskurshoheit darüber liegt noch immer bei der westlichen Wissenschaft. Und so wie einst die allmähliche Bewunderung der „afrikanischen Kunst“ als Quelle neuer Kreativität nichts an der transatlantischen Kolonialpolitik änderte, will der Westen die Landsleute der international gefeierten, postkolonialen Künstler:innen heute nicht in das eigene Land lassen.