Buch über Alexej Nawalny

Was den Kremlkritiker antreibt

06:57 Minuten
Eine drei Meter hohe Installation zeigt vor dem Brandenburger Tor einen "kleinen Alexej Nawalny", wie er den "übergroßen Wladimir Putin" tritt. Die Figur war Teil des Karnevalswagen des diesjährigen Düsseldorfer Rosenmontagszugs, den die Aktivisten von „Freies Russland NRW“ nach Berlin brachten. Entworfen hat sie der Düsseldorfer Künstler J. Tilly.
Nawalny sieht sich in erster Linie als Politiker, nicht als Dissident, sagt Jan Matti Dollbaum. © picture alliance / dpa /Jörg Carstensen
Jan Matti Dollbaum im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 02.08.2021
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Wieso ist der Kremlkritiker Alexej Nawalny freiwillig nach Russland zurückgekehrt, obwohl ihm klar war, dass er inhaftiert werden könnte? Vor Ort könne er mehr bewirken als vom Ausland aus, sagt Politikwissenschaftler Jan Matti Dollbaum.
Menschen einsperren, die sich der Staatsmacht nicht beugen, Tatbestände erfinden, um sie mundtot zu machen, Webseiten und Kommunikationskanäle blockieren: So stellt sich Wladimir Putins Russland dar, wenn es um Regierungskritiker wie Alexei Nawalny und seine Unterstützerinnen und Unterstützer geht.
Von außen betrachtet, erscheint es unverständlich, dass Nawalny aus dem Ausland freiwillig nach Moskau zurückgekehrt ist, prompt verhaftet und zu dreieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt wurde.

Warum ist Nawalny zurückgekehrt?

Wer Nawalny ist und was ihn antreibt, beschreibt der Politikwissenschaftler, Osteuropaexperte und Journalist Jan Matti Dollbaum in seinem neuen Sachbuch "Nawalny – seine Ziele, seine Gegner – seine Zukunft", das er gemeinsam mit Morvan Lallouet und Ben Noble veröffentlicht hat. Er hat über ein Jahr in Russland verbracht und ist Spezialist für Nawalnys Bewegung.
Warum ist Nawalny nach Russland zurückgekehrt, was vielen als Irrsinn erscheint? Nawalny sehe sich weniger als Dissident, sondern vor allem als Politiker, sagt Dollbaum. "Als Politiker muss er vor Ort sein, um dort Dinge zu verändern, wo er sie eben verändern will."
In Lagerhaft sei er seiner Sache "immer noch dienlicher als außerhalb Russlands. Denn wenn er außerhalb Russlands sitzt, dann ist er natürlich ganz schnell dem Vorwurf ausgesetzt, dass er versuche, aus dem Westen zu manipulieren, statt sich in Russland der Realität zu stellen."
Darüber hinaus habe seine Rückkehr auch für seine Anhängerinnen und Anhänger Signalwirkung gehabt. "Das wollte er seiner Bewegung nicht antun: Selbst im Ausland in Sicherheit sein, während seine vielen Unterstützerinnen und Unterstützer täglich Aggressionen abbekommen."

Polarisierende Persönlichkeit

Derzeit lägen die Beliebtheitswerte der Nawalny-Bewegung zwar unter denen für Putin, dennoch seit es dem Politiker über die Jahre gelungen, überall im Land Netzwerke aufzubauen. So betrachtet, seien die Unterdrückungsmaßnahmen der Regierung Präventivmaßnahmen, um zu verhindern, dass die Bewegung an Einfluss gewinne, erläutert Dollbaum.
Nach wie vor sei Nawalny eine polarisierende Persönlichkeit, der von den einen als demokratischer Held, von den anderen als Nationalist und Rassist wahrgenommen werde. In seinem Buch versuche er, auch Zwischentöne zu liefern, so Dollbaum.
Wie Russland unter einem Präsidenten Nawalny aussähe – darüber könne man nur spekulieren. Niemand wisse, ob er Versprechungen umsetze – "oder sich möglicherweise verändern wird". Das kenne man von vielen Revolutionären, "die, kaum haben sie die Macht, nicht wiederzuerkennen sind".
Auch Nawalnys Reden sind erschienen
Außerdem sind vor kurzem vier Reden, die Nawalny vor Gericht gehalten hat, im Droemer-Verlag erschienen. Die Veröffentlichung gestattet "einen sehr lebendigen Einblick in die Atmosphäre an russischen Gerichten bei politischen Prozessen", sagt die Journalistin Gesine Dornblüth [AUDIO]. "Man kann sich das, was da passiert, kaum vorstellen, wenn man nur deutsche Gerichtsverhandlungen kennt."
Die Richter wiesen fast alle Anträge der Anklage ab, übernähmen weitgehend die Anklageschrift in ihren Urteilen und versuchten, den formalen Anschein eines echten Verfahrens zu wahren. "Nawalny macht ihnen da einen Strich durch die Rechnung, indem er sich gar nicht lange mit juristischen Argumentationen aufhält, sondern das Unrecht vor Gericht als solches benennt und dabei politisch argumentiert" - und dies auf klare, scharfe und humorvolle Weise.

Es sei zwar wichtig, diese Reden zu lesen, weil sie einem vor Augen führten, was ein Rechtsstaat wert sei und dass man sich für ihn einsetzen müsse, meint Dornblüth. Allerdings ordne das Buch Nawalny politisch nicht ein und liefere keine Informationen zu seiner Vergangenheit.
(mkn/leg)

Jan Matti Dollbaum, Morvan Lallouet und Ben Noble: "Nawalny – seine Ziele, seine Gegner – seine Zukunft"
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021
288 Seiten, 20 Euro

Alexei Nawalny: "Schweigt nicht! Reden vor Gericht"
Übersetzt von Alexandra Berlina
Droemer Verlag 2021
96 Seiten, 8 Euro

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