Brutalismus-Ausstellungen in Bochum

Die Rückkehr der Betonmonster

Brutalistischer Sozialwohnungsbau vor Grünflächen in Triest.
Sozialwohnungen in Triest – zu sehen in der Ausstellung "SOS Brutalismus" © Ruhr-Uni Bochum / Paolo Mazzo
Jasmin Gierling im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.09.2019
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Die Ausstellung "SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster" ist zurzeit in Bochum zu sehen. Die dortige Ruhr-Uni gilt als Musterbeispiel für diesen Baustil, der gerade eine Renaissance erlebt. Aber was fasziniert so viele an den grauen Betonklötzen?
Liane von Billerbeck: Eine große Brutalismus-Ausstellung tourt seit einigen Jahren durch die Republik: "SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!". Und jetzt ist sie in Bochum angekommen und wird dort zu sehen sein, denn die Ruhr-Uni Bochum ist geradezu ein Musterbeispiel für diesen Baustil. Brutalismus kommt ja nicht von brutal, sondern vom französischen Ausdruck für Sichtbeton. Und daraus wurde dann nach dem Zweiten Weltkrieg im Englischen New Brutalism und im Deutschen eben Brutalismus.
Und Studierende der Kunstgeschichte haben dazu jetzt in Bochum ihre Ausstellung gearbeitet, eine zweite also, und die heißt "RUB – Brutal schön?". Gestern Abend wurde sie eröffnet. Jasmin Gierling ist Studentin der Kunstgeschichte dort in Bochum, 22 Jahre alt, seit drei Jahren ist sie dort, und sie war Teilnehmerin in einem Seminar zu diesem Thema, das dann zu einer Ausstellung wurde. Schönen guten Morgen!
Jasmin Gierling: Morgen!
Billerbeck: Für diejenigen, die die Bochumer Uni tatsächlich nicht kennen sollten, was natürlich unverzeihlich wäre, was ist das Brutalistische an deren Architektur?

Groß, massiv, hässlich

Gierling: Der erste Eindruck, würde ich sagen, ist erst mal Betonklotz. Groß, massiv, Sichtbeton, den meisten würde wahrscheinlich hässlich direkt einfallen. Und man sollte vielleicht mal darüber nachdenken, warum oder ob das überhaupt wirklich hässlich ist, und vielleicht einzelne Gebäude mal anders wahrnehmen als der erste Stempel, den man sich so überlegt.
Billerbeck: Aha. Da hört man schon eine gewisse Faszination. Worin liegt die denn für Sie, wenn sie auf diesen Unicampus gucken?
Gierling: Wir haben uns natürlich ein bisschen intensiver damit beschäftigt, aber das Faszinierende ist eigentlich, wie die Funktion von Architektur und die Kommunikation von Architektur sich tatsächlich zeigt, darstellt, ohne das großartig zu verfälschen. Also die Architektur sagt sozusagen, was Sache ist.
Billerbeck: Das Konzept für den Unibau kam ja vom Architekten Helmut Hentrich, ein Zitat, Hafen im Meer des Wissens, das sollte die Ruhruniversität Bochum werden, das hat er damals gesagt. Eine schöne Metapher. Ist denn das für Sie architektonisch aufgegangen?
Gierling: Also, dieses Zitat wurde ja im Nachhinein, nach der Konzeption, auf den ganzen Campus sozusagen gelegt. Dementsprechend kann man sich schon denken, dass das nicht ganz zutrifft.
Billerbeck: Also Sie sagen?
Gierling: Nee. Würde ich nicht sagen. Es ist natürlich schön, sich sowas zusammenzureimen, und das trifft vielleicht auch auf zum Beispiel die Institutsgebäude zu, dass die wie ein Ozeandampfer aussehen sollen. Aber letztendlich war das nicht die Idee des ganzen Campus.
Billerbeck: In dem Seminar, von dem ich vorhin gesprochen habe und das ja die Grundlage ist für die Ausstellung, die Sie zusammen mit Kommilitonen erarbeitet haben, hatte jeder ein Gebäude als Thema. Welches haben Sie sich denn von Ihrer Uni genauer angesehen?
Gierling: Das Parkhaus tatsächlich.

Parkhaus als Basis des Campus

Billerbeck: Das Parkhaus … Okay – und?
Gierling: Spannend, weil man gerade das Parkhaus als Gebäude zuerst vernachlässigt, würde ich sagen. Es ist eben da, man benutzt es, ohne irgendwas zu hinterfragen dabei. Und wenn man sich Parkhäuser ansieht – nass, dunkel, dreckig, ungemütlich, schnell wieder raus – sind sie letztendlich doch der erste und letzte Ort, den man wahrnimmt, wenn man mit dem Auto zum Campus kommt – was bei einer Pendleruni natürlich viele tun. Und deshalb ist es einen näheren Blick wert.
Billerbeck: Inwieweit ist denn dieses Parkhaus typisch für die besondere Architektur der Uni?
Gierling: Das Parkhaus liegt unter der Mittelachse des Campus. Das bedeutet, es trägt die Gebäude oben drüber und ist damit auch symbolisch eine Basis. Organisierend von dort aus wird über den ganzen Campus verteilt, jeder geht von dort aus gesammelt zu seinen einzelnen Punkten. Es ist quasi der Unterbau, symbolisch, aber natürlich auch architektonisch.
Billerbeck: Seit Sie sich genauer damit beschäftigt haben, gucken Sie sich Ihre Uni anders an, ist das ein anderes Gefühl, wenn man da Morgen für Morgen kommt?

Sinnbild der Funktion

Gierling: Ich fand den Campus nie furchtbar, muss ich sagen. Der hatte immer so seine ganz eigene Romantik, wenn man zum Gebäude läuft über die klackernden Betonplatten, jeder RUB-Student kennt es wahrscheinlich. Aber natürlich, man entdeckt neue Orte, die man vorher nicht kannte oder nicht so wahrgenommen hat, das Parkhaus natürlich auch, und findet dann doch seine Punkte, die man zuvor vielleicht nicht wahrgenommen hat oder nicht für sich entdecken konnte.
Billerbeck: Nach Ihren Beschäftigungen mit Ihrer eigenen Uni die Frage: Man sieht ja, dass der Brutalismus oder auch der Beton, um es ein bisschen zurückzunehmen, seit einigen Jahren ja so eine Art Renaissance erfährt. Wie erklären Sie sich das?
Gierling: Ich denke, das, was wir heute mit dem Beton bauen, sind diese klaren Linien, das tatsächlich auch Rohe. Aber es wird natürlich auch viel mit Glas gearbeitet. Die Funktion, das Funktionale, was heute in der modernen Architektur auch stark wichtig ist, das Rationale wird dadurch an der Fassade oder am ganzen Bau deutlich – also auch Sinnbild der Funktion.
Billerbeck: Frau Gierling, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Gierling: Ja, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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