Brüssel

Monsieur Collet liebt die Bücherwelt

Der Buchhändler Yves Collet in seinem Antiquariat "Bouquinerie Thomas"
Der Buchhändler Yves Collet in seinem Antiquariat "Bouquinerie Thomas" © Deutschlandradio - Johannes Kulms
Von Johannes Kulms  · 17.10.2014
Vom Reiseführer Antarktis bis zum Lonely Planet Sowjetunion: Das Antiquariat "Bouquinerie Thomas" in Brüssel führt auch die sonderbarsten Titel, verkauft Bücher in zahlreichen Sprachen und ist zugleich ein beliebter Treffpunkt für Mitarbeiter der EU.
Es sind bloß ein paar Schritte: Raus aus dem wuchtigen Gebäude der EU-Generaldirektion für Übersetzung, einmal über die Straße und hinein getreten in die "Bouquinerie Thomas" - schon ist man in einer anderen Welt.
Weit reicht der Verkaufsraum des Second-Buchladens in die Tiefe - wo er endet, lässt sich zwischen den unzähligen Bücherregalreihen gar nicht ausmachen.
Gleich am Eingang steht Yves Collet am Verkaufstresen. Seit bald 40 Jahren ist er Buchhändler, seit drei Jahren führt er den Laden in der Rue Froissart. Damit sitzt er nur weniger Hundert Meter entfernt vom Schuman-Kreisel - dem institutionellen Herz der Europäischen Union.
Rund ein Drittel seiner Kunden arbeitet bei der EU, schätzt Collet, der gerade dabei ist, ein frisch angekauftes Buch in Plastikfolie einzuschlagen.
"Die Leute von der EU sind leicht zu erkennen. Die tragen meist Anzug und Krawatte, das sieht man ja kaum noch in Belgien, wo viel sportlicher Dress getragen wird. Meistens sind die EU-Kunden auch sehr höflich, das finde ich natürlich gut."
Antiquariat "Bouquinerie Thomas"
Tausende Bücher in unterschiedlichen Sprachen gibt es im Antiquariat "Bouquinerie Thomas" © Deutschlandradio - Johannes Kulms
Rund sechs oder sieben Euro kostet ein Buch im Schnitt bei Monsieur Collet. Zwischen den unzähligen und gut sortierten Regalreihen findet man so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann - oder noch mehr. Z.B. einen Reiseführer über die Antarktis neben einem Lonely Planet über die Sowjetunion. Und es gibt tausende Romane, genauso wie Sachbücher zu Esoterik, Geschichte, Filmliteratur oder Comics. Und all dies natürlich in den unterschiedlichsten Sprachen.
"Am meisten verkaufe ich auf englisch, auch wenn Französisch ja eigentlich die offizielle Sprache bei der EU ist. Aber Englisch ist halt die Verkehrssprache. Manchmal kommen aber auch Leute von gegenüber vom Übersetzungsdienst, die kaufen Bücher in sechs oder sieben Sprachen. Da nimmt dann jemand was auf deutsch, schwedisch und dänisch mit - so was habe ich davor nie erlebt!"
Gleich mehrere Regale sind mit deutschsprachiger Literatur gefüllt. Daneben dann - in deutlich schmaleren Mengen - auch Bücher auf bulgarisch, slowenisch oder hebräisch.
Manche seiner Kunden kommen mehrfach die Woche vorbei. Doch wie denn das EU-Personal so tickt - das ist für Buchhändler Collet gar nicht so einfach zu beantworten. Schließlich würden die Beamten, Angestellten und Diplomaten nur wenig über ihr Privatleben preisgeben.
Treffpunkt Buchregal
Aber mancher gekaufte Buchtitel lasse auch Rückschlüsse über die Persönlichkeit seines Käufers zu. Doch möglicherweise zieht es gerade von der EU die Leute aus einem ganz anderen Grund in seinen Laden, glaubt Collet:
"Was ich merke ist, dass viele Leute allein sind. Sie wohnen alleine, sie haben niemanden. Und das hier ist noch ein Ort, an dem man sich treffen kann. Also, wenn Sie zum Beispiel zum deutschsprachigen Buchregal gehen, kann es sein, dass Sie da plötzlich jemanden aus Ihrem Heimatland treffen und sich daraus eine Freundschaft entwickelt. In einem großen Supermarkt geht so etwas natürlich nicht."
Das Antiquariat "Bouquinerie Thomas" in Brüssel
Treffpunkt für viele EU-Mitarbeiter: "Bouquinerie Thomas"© Deutschlandradio - Johannes Kulms
Weiter hinten im Laden steht Bonny, eine junge Kanadierin, die den EU-Beamten Englisch-Unterricht gibt. Auch ihr Mann arbeitet bei den Institutionen. Ob das hier eine Oase sei für jemanden, der sonst nur in den Unions-Gebäuden arbeitet?
"Ja sicher. Hören Sie doch! Da ist doch gar nichts! Für mich ist es das besondere Umfeld dieses Buchladens, der Geruch erinnert mich an meine Schulzeit, an ein ganz anderes Kapitel. Ja, der Laden nimmt einen mit in eine ganz andere Welt. Und im Vergleich zu anderen Buchläden ist hier weniger los und es ist einfach ruhiger."
Collet betreibt den Buchladen alleine. Jeden Tag steht er von 10 bis 19 Uhr hinter dem Tresen, sechs Tage die Woche, Mittagspause gibt es nicht - nur wenn gerade ein Stammkunde da ist, verlässt Collet sein Bücherreich, um sich mal schnell was zu essen zu holen.
Antiquariat "Bouquinerie Thomas"
Regale, Regale, Regale ...© Deutschlandradio - Johannes Kulms
"Ich liebe meine Arbeit"
Als Bouquinist ist Collet mittlerweile etwas besonderes: In den 70er-Jahren gab es noch rund 300 solcher Second-Handbuchläden in der belgischen Hauptstadt - heute seien es vielleicht noch ein Dutzend, schätzt Collet.
Auch wenn die großen Jahre vorbei seien, laufe sein Laden trotzdem ganz gut. Und Collet ist ein Überzeugungstäter:
"Ich liebe meine Arbeit, die Tage gehen schnell vorbei. Die Freiheit, die ich hier habe, ist etwas wertvolles. Und ich will nicht so wie die Leute drüben bei der EU den ganzen Tag im Büro sitzen. Zum Glück kann ich von meinem Job noch leben."