Britischer Wahlkampf

Abkehr von der Weltpolitik

Das britische Parlament tagt im Westminster-Palast in London.
Das britische Parlament tagt im Westminster-Palast in London. © AFP/ Max Nash
Simon Green im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.03.2015
Heute beginnt mit der Auflösung des britischen Parlaments die heiße Phase des Wahlkampfs in Großbritannien. Am wichtigsten seien Fragen der Steuerpolitik, Gesundheit, Bildung sowie die Frage der Führungskompetenz der Parteivorsitzenden, sagt der Politikwissenschaftler Simon Green.
Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Simon Green, Professor an der Aston University Birmingham, wird sich der Wahlkampf für die Parlamentswahl vom 7. Mai in Großbritannien vor allem um die "klassischen innenpolitischen Themen" drehen. Am wichtigsten seien Fragen der Steuerpolitik, Gesundheit, Bildung sowie die Frage der Führungskompetenz der beiden Parteivorsitzenden, sagte er. Außenpolitische Fragen hingegen werden Green zufolge keine nennenswerte Rolle im Wahlkampf spielen, genauso wenig die Frage der EU-Mitgliedschaft.
EU-Referendum noch unsicher
Der Herausforderung durch die rechtspopulistische Ukip begegneten die Konservativen mit einem "Spagat", so der Politikwissenschaftler weiter. Einerseits versuchten sie mit "immer kräftigeren und stärkeren Parolen zur Zuwanderung" zu punkten und sich andererseits als wirtschaftsfreundliche Partei zu präsentieren. Für einen großen Teil der britischen Wirtschaft sei die EU-Mitgliedschaft jedoch sehr wichtig.

Ob es überhaupt zu einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft kommen werde, sei derzeit noch nicht sicher, sagte Green. Dies hänge in erster Linie davon ab, ob es wieder eine konservative Regierung geben werde. "Denn zum Beispiel Labour hat sich dafür ausgesprochen, keine Volksabstimmung zu führen."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Großbritannien hat sich eigentlich immer als Weltmacht gesehen, auch nach dem Ende des British Empire immer großen Wert auf seine Rolle in der Weltpolitik gelegt. Nun beginnt mit der heutigen Auflösung des britischen Parlaments die heiße Phase des Wahlkampfs und man hat den Eindruck, da spielt Weltpolitik gar keine Rolle. Ich hab deshalb vor der Sendung den britischen Politologen Simon Green von der Aston University in Birmingham gefragt, ob der Eindruck korrekt ist, dass England sich nur noch mit sich selbst beschäftigt.
Simon Green: Ich glaube, dieser Eindruck ist zutreffend. Das liegt daran, dass Großbritannien zurzeit eine doch sehr nach innen gerichtete Diskussion über die Zukunft der britischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union führt. Und dadurch ist natürlich dann nicht mehr ganz so viel Zeit und auch nicht mehr ganz so viel Energie dafür übrig, auch mit in der großen Weltpolitik mitzumischen. Das ist der eine Grund.
Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Grund, und das ist, dass Großbritannien natürlich auch ein sehr starkes Austeritätsprogramm, also sehr starke Einschnitte in den öffentlichen Ausgaben erlebt hat seit der großen Rezession von etwa 2008, 2009. Und es fehlen ganz einfach in vielerlei Hinsicht die Kapazitäten, zum Beispiel in der Militärpolitik, aber auch zum Beispiel im Außenministerium, diesem klassischen Vehikeln für die Außenpolitik.
Kassel: Aber wenn Sie gerade schon über Austerität sprechen: Was mich ja doch wundert, ist, dass Großbritannien auch keine große Rolle spielt bei den Diskussionen in Europa über die Schuldenkrise in Griechenland. Großbritannien spielt keine Rolle, oder keine große zumindest, bei dem Versuch, die Krise in der Ukraine beizulegen, und, und, und. Das passt für mich, trotz aller Begründungen, die Sie gerade geliefert haben, eigentlich nicht zum britischen Selbstverständnis.
Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland sind nicht positiv
Green: Sie haben in dieser Hinsicht natürlich auch recht. Aber Griechenland und Ukraine sind so gesehen zwei unterschiedliche Themen. Natürlich nimmt Großbritannien nicht so stark an der Diskussion um Griechenland teil, weil es natürlich nicht Mitglied der Eurozone ist. Und das ist natürlich, letzten Endes ist Griechenland eine interne Diskussion für die Eurogruppe und nicht für die Länder, die nicht im Euro sind.
Bei der Ukraine ist es dann wiederum noch ein ganz anderes Thema. Die Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland sind insgesamt nicht positiv. Sie scheinen sich auch nicht besonders jetzt gebessert zu haben in den letzten Jahren. Aber ich glaube, da liegt es auch einfach daran, dass vor allem Deutschland und auch Frankreich sich in diesem Bereich mehr engagieren. Großbritannien hat sich in den letzten Jahren dann mehr mit Themen wie Afghanistan beschäftigt und natürlich auch mit Iran.
Kassel: Nun kommt der Wahlkampf ja nun gerade in seine heiße Phase mit der Auflösung des Parlaments - am 7. Mai wird gewählt. Spielen denn im Wahlkampf außenpolitische Fragen, jetzt mal jenseits der Frage, EU-Mitglied bleiben oder nicht, spielen richtige außenpolitische Fragen gar keine Rolle?
Green: Wie in fast allen Wahlkämpfen in fast allen Ländern spielt auch in diesem Wahlkampf Außenpolitik keine nennenswerte Rolle. Und übrigens, auch die EU-Mitgliedschaft wird in diesem Wahlkampf keine nennenswerte Rolle spielen. Die Frage, ob Großbritannien Mitglied der EU ist oder nicht, ist als politisches Thema eigentlich nicht besonders wichtig. Und was in diesem Wahlkampf besonders wichtig sein wird, sind die klassischen innenpolitischen Themen, Steuerpolitik, Gesundheit, Bildung, all das, was man normalerweise in einem Wahlkampf hat. Das wird nur die - und natürlich auch die Führungsfähigkeiten von den beiden Parteivorsitzenden.
Kassel: Man kann Europa im Wahlkampf ignorieren, auch wenn man, was ja die Tories und Labour müssen, auch wenn man gegen eine Partei wie UKIP antritt?
Verlierer der Globalisierung
Green: UKIP hat eine ganz besondere Rolle im britischen Parteiensystem. Sie ist so gesehen das Äquivalent von der Front National und auch zum Beispiel von der AfD in Deutschland. UKIP hat es geschafft, die Ressentiments von denjenigen zu bündeln, die sich als zurückgelassen fühlen in dieser globalisierenden Welt. Es sind so gesehen die Verlierer der Globalisierung. Und der wirkliche taktische Coup von UKIP ist es, die EU-Mitgliedschaft mit der Kontrolle von Zuwanderung zu verbinden. Das heißt, dass man den Wählern verspricht, wenn Großbritannien die EU verlässt, dann wird man auch wieder Kontrolle über die Zuwanderung haben. Das ist natürlich nicht unbedingt bewiesen, aber wahltaktisch kommt es sehr gut an.
Kassel: Wenn wir über die UKIP sprechen: Wie gehen denn die anderen Parteien mit ihr und ihren Positionen um? Die beiden großen natürlich, aber auch kleiner Parteien wie die "Lib Dems" oder auch die Green Party?
Green: Die kleineren Parteien werden durch UKIP nicht so sehr betroffen, was ihre Wählerschaft angeht. Für Labour und für die Tories ist das natürlich ein ganz anderer Faktor, und die Konservativen insbesondere versuchen den Spagat vorzunehmen, indem sie erstens mit immer kräftigeren und stärkeren Parolen zur Zuwanderung zu punkten versuchen, aber dann gleichzeitig auch noch sich als eine wirtschaftsnahe und wirtschaftsfreundliche Partei präsentieren wollen. Wobei für die Wirtschaft natürlich die Frage der Zuwanderungsbegrenzung natürlich nicht besonders interessant ist.
Kassel: Für die Wirtschaft ist aber vielleicht doch die EU-Frage interessant, auch, wenn Sie schon gesagt haben, so groß ist die Rolle nicht, die die im Wahlkampf spielt. Es gab aber einen großen Gastartikel in der deutschen Tageszeitung "Die Welt" des ehemaligen britischen Premierministers Gordon Brown, und der hat da ausdrücklich gewarnt, Großbritannien drohe bei einem Ausstieg aus der EU der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Schreckt das niemanden in Großbritannien?
Im Dienstleistungsgewerbe ist die EU-Mitgliedschaft wichtig
Green: Also, Sie haben absolut recht, dass für die Wirtschaft die Frage der EU-Mitgliedschaft besonders wichtig ist. Das hängt natürlich dann auch wiederum vom Wirtschaftszweig ab, aber vor allem im produzierenden Gewerbe, aber auch im Dienstleistungsgewerbe außerhalb des Finanzsektors ist die EU-Mitgliedschaft besonders wichtig. Aber das - im Moment ist es ja noch nicht sicher, dass wir überhaupt eine Volksabstimmung zur weiteren Mitgliedschaft haben werden. Das hängt nämlich in allererster Linie davon ab, ob die Konservativen an der nächsten Regierung sein werden. Wir gehen davon aus, dass es so eine Volksabstimmung geben wird. Aber wenn die Konservativen nicht an der Regierung bleiben, dann ist noch mal alles ungewiss. Denn zum Beispiel Labour hat sich dafür ausgesprochen, keine Volksabstimmung zu führen.
Kassel: Sie bestätigen ja eigentlich mit allem, was Sie sagen, diese These, dass Großbritannien mit sich selber beschäftigt, und, ich formuliere es mal so flapsig, kaum noch Zeit hat für die Außenpolitik. Wird sich das wieder ändern, egal, wer regiert? Wird Großbritannien in Zukunft wieder eine wichtigere Rolle in der Außenpolitik, in der Weltpolitik spielen, oder erleben wir gerade einen Trend, der vermutlich sehr lange anhalten wird?
Green: Ich glaube, jetzt kommen gerade zwei besondere Sachen zusammen, die ich am Anfang unseres Gesprächs natürlich angedeutet habe. Erst mal die Tatsache, dass ganz einfach kein Geld zur Verfügung steht, und zweitens, dass wir jetzt ein mögliches In-Out-Referendum zur EU-Mitgliedschaft in den nächsten zwei Jahren führen werden. Wenn das erst mal alles vorbei ist, dann, glaube ich, wird sich schon Großbritannien wieder stärker in der Weltpolitik engagieren.
Kassel: Der britische Politikwissenschaftler Simon Green über die Rolle Großbritanniens in der Welt und bei sich selbst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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