Bringt Corona Frauen an den Herd?

Wo bleibt die Geschlechtergerechtigkeit?

91:24 Minuten
Eine Frau steht mit dem Rücken zum Betrachter in einer modernen Küche am Herd. Im Vordergrund ist in der Unschäre ein kleiner Junge an einem Laptop zu sehen.
"Wir erleben eine entsetzliche Retraditionalisierung", sagt Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. © imago images / photothek / Ute Grabowsky
Moderation: Vladimir Balzer · 16.01.2021
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Kinder, Küche, Homeoffice – Corona reaktiviert überholt geglaubte Rollenbilder. Unbezahlte Haus- und Familienarbeit bleiben überwiegend an den Frauen hängen – ein Karrierekiller. Wie schaffen wir Geschlechtergerechtigkeit? Diskutieren Sie mit!
Corona ist wie ein Brennglas für viele Defizite, auch in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit: Wie fair verteilen Paare und Eltern Familienarbeit? Wer steckt zurück, wenn Kinder auf die Welt kommen oder wenn – wie gerade jetzt – Homeoffice und Homeschooling vereinbart werden müssen?
Studien zeigen: Zwar leisten auch Männer in der Pandemie mehr Familienarbeit. Die größte Last aber tragen – wie schon zuvor – die Frauen. Sind sie die Verlierer der Pandemie?

Rolle rückwärts durch Corona?

"Wir erleben eine entsetzliche Retraditionalisierung", sagt Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin und eine der renommiertesten Soziologinnen des Landes. "Väter treten deutlich seltener zurück, bleiben bei ihrem Arbeitsleben, auch dann, wenn sie im Homeoffice arbeiten oder in Kurzarbeit sind."
Mütter stiegen generell nach der Geburt eines Kindes viel länger aus ihrem Job aus als Väter und kehrten in den meisten Fällen nur noch in Teilzeit zurück. "Das ist das Hauptübel und sorgt für eine ganze Bandbreite von Geschlechterungleichheiten", so die Wissenschaftlerin. Diese Ungleichheiten und ihre Folgen beschreibt sie in ihrem aktuellen Buch "Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen".

32-Stunden-Woche für alle

Darin fordert sie auch politische Maßnahmen, damit Paare die Familienzeit gerechter aufteilen können: Zum Beispiel vier statt nur zwei Vätermonate bei der Elternzeit.
"Der aus meiner Sicht bessere Weg besteht darin, dass Männer ihre Erwerbsarbeit reduzieren und damit endlich einen aktiven Schritt auf die Frauen zu machen. Ziel ist eine etwa 32-Stunden-Woche für alle, berechnet als Schnitt über den gesamten Lebensverlauf, mit Phasen niedrigerer oder höherer Arbeitszeit."

Männer gewinnen durch Gleichstellung

"Wenn etwas politisch gefordert wird, geht es schnell um Geschlechterkampf", sagt der Psychologe Thomas Altgeld. "Ich glaube, dass Männer etwas gewinnen, wenn sie mehr zu Hause und weniger im Büro sind", so der Vorstandsvorsitzende des Bundesforums Männer. Der Interessenverband setzt sich für geschlechtergerechte Belange von Männern ein.
Motto des Forums: "Gleichstellung kann nur erfolgreich sein, wenn alle Geschlechter berücksichtigt werden."

Die Rolle des Familienernährers

Heutige Väter wollten sich stärker einbringen, nicht nur "Feierabend-Papa" sein. In der Realität würden sie aber aus finanziellen Gründen oft in die alte Rolle des Familienernährers gedrängt, so Thomas Altgeld.
"Eine der größten Hürden ist die beitragsfreie Mitversicherung von Frauen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das wirkt noch stärker als das Ehegattensplitting." Es dränge sich die Frage auf: "Sind das Steuer- und Sozialrecht auf Gleichstellung aus oder favorisieren sie die traditionellen Rollen?"

Bringt Corona Frauen an den Herd? Wo bleibt die Geschlechtergerechtigkeit?
Darüber diskutiert Vladimir Balzer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Soziologin Jutta Allmendinger und Thomas Altgeld vom Bundesforum Männer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de. Besuchen Sie uns auch auf Facebook, Instagram und Twitter!

(sus)
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