Erste Amtstage von Annalena Baerbock

Zwischen Anspruch und Realpolitik

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Außenministerin Annalena Baerbock geht nach der Landung am Frederic-Chopin-Flughafen die Gangway vor dem Airbus A319 der Luftwaffe hinunter.
Außenministerin Annalena Baerbock besucht nach Paris und Brüssel die polnische Hauptstadt Warschau für politische Gespräche. © picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
Jana Puglierin im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 13.12.2021
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Kaum im Amt, reiste Außenministerin Baerbock nach Paris, Warschau, Liverpool und Brüssel zu Antritts- und Verbündetengesprächen. Dabei habe sie durchweg einen gelassenen, klaren und positiven Eindruck hinterlassen, meint die Politologin Jana Puglierin.
Zeit, sich langsam im neuen Job einzufinden, hatte die neue Außenministerin Annalena Baerbock nicht. Fünf Tage nach Amtsantritt war sie schon in Paris, in Liverpool, in Warschau und gerade zum zweiten Mal in Brüssel, beim EU-Außenrat. Baerbock muss laut der Politologin Jana Puglierin erst mal Fuß fassen, aber auch schon erste Akzente setzen. Das sei ihr in den ersten Tagen gut gelungen. Dazu gehöre auch ihre gelassene Haltung beim schwierigen Polenbesuch und ein positives Signal gegenüber den NATO-Verbündeten.

Zwickmühle bei der Haltung zu China

Im Hinblick auf einen politischen Boykott der anstehenden Olympischen Winterspiele in China befinde sich Baerbock gleichwohl in einer Zwickmühle, sagt Puglierin. "Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, alles europäisch abzustimmen, insbesondere die China-Politik. Es gibt also den Anspruch: Deutschland macht es nicht alleine."
Die EU ist aber in dieser Frage gespalten. Während beispielsweise Großbritannien und Litauen sich an die Seite der USA stellen, haben Frankreich und Italien angekündigt, sich keinem politischen Boykott anzuschließen.
"Dadurch steht Baerbock im Spannungsfeld zwischen ihrem wertegeleiteten Anspruch und realpolitischen Überlegungen, die vielleicht von anderen Teilen der Bundesregierung und auch aus ihrer eigenen Partei kommen", sagt Puglierin. Sie nimmt an, dass Baerbock ihrem Herzen nach durchaus für einen Boykott wäre.

Demokratien und Autokratien im Systemwettbewerb

Der "grüne Blick" auf China und Russland ist laut Puglierin sehr realpolitisch. "Die Systeme werden so betrachtet wie sie sind und nicht wie wir sie gerne hätten." Man müsse sich fragen, welche Beziehungen zu China oder Russland man eingehen wolle, denn es gebe solche, "die unsere politische Handlungsfreiheit einschränken, die uns erpressbar machen, wie zum Beispiel bei Nord Stream 2, oder ob wir realpolitisch daraufschauen und sehen, dass wir uns in einem Systemwettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien befinden."
Die fehlende Einigkeit innerhalb der EU stehe dem Ziel entgegen, Europa zu einem stärkeren Akteur in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu machen. "Man muss an zwei Fronten arbeiten: Europa schneller und handlungsfähiger zu machen und mehr auf Einigkeit zu drängen. Gleichzeitig muss man mehr darüber nachdenken, ob man in flexibleren Koalitionen vorangeht. Wenn es nicht zu siebenundzwanzigst geht, dann muss es in kleineren Formaten gehen."

(rja)
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