Briefwechsel eines Politischen

08.11.2011
Thomas Mann war weniger "unpolitisch" als sein Ruf. Der dritte Band seiner umfangreichen Briefe zeigt den Schriftsteller als tagespolitisch interessierten Menschen, der schon vor dem Hitlerputsch 1923 Stellung gegen die Nazis bezog.
Thomas Mann war ein immens aktiver Briefschreiber. Nachmittags gehörte die Beantwortung von Briefen zu seinem täglichen Ritual, es zählte programmatisch zu seinem Autorenmarketing. Bereits seine Figur Gustav Aschenbach im "Tod in Venedig" sagt anspielungsreich, er habe gelernt, "von seinem Schreibtische aus zu repräsentieren, seinen Ruhm zu verwalten."

Aus den Jahren zwischen 1924 und 1932 liegen jetzt 523 Briefe vor, unpersönliche Grußadressen und ähnliches ausgenommen. Das sind ungefähr 300 mehr als in der bisherigen Briefausgabe von Erika Mann für denselben Zeitraum. Vor allem die umfassende Kommentierung, die Erhellung des Zeit- und Mentalitätshintergrunds in der "Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe" ist eine enorme Erweiterung des bisherigen Wissens über Thomas Mann – zumal der Autor die dazugehörigen Tagebücher vernichtet hat.

Es ist die Zeit des großen Ruhms für Thomas Mann: er schließt den "Zauberberg" ab und schreibt die ersten beiden Teile des Zyklus "Joseph und seine Brüder". 1929 erhält er als Höhepunkt den Nobelpreis. In Deutschland wird er zum umstrittenen und vielerorts angefeindeten Repräsentanten, eindeutig aber zum international bekanntesten Schriftsteller. 1922 hatte er sich zum ersten Mal öffentlich zur Republik bekannt und zog seitdem den immer stärkeren Hass und Vernichtungswillen des völkisch-nationalistischen Lagers auf sich. Es gibt gelegentlich immer noch die Auffassung, Thomas Mann sei im Grunde eher unpolitisch gewesen und nur von außen gezwungen worden, sich politisch zu verhalten.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse dieses großen Briefbandes ist, dass dem keineswegs so war. Mann interessierte sich zunehmend für die tagespolitischen Abläufe, für die schmutzigen Prozesse, für den Willen zur "Restauration", den er als das Grundübel der Deutschen ansah. Immer wieder prangert er "krassesten nationalistischen Unfug" an und nimmt eindeutig Stellung gegen die Nationalsozialisten, zum ersten Mal noch vor dem Hitlerputsch 1923. Der Brieffreundin Ida Herz schreibt er 1932, dass der Humanismus in Deutschland nur bei der Arbeiterklasse zu finden sei und nicht im Bürgertum, er ergreift offen Partei für die SPD.

Auch privat ergibt sich ein differenziertes Bild des Patriarchen. Seinen beiden ältesten Kindern Klaus und Erika gegenüber verhält er sich tolerant und freizügig, auch wenn sie ihn mit ihrem bohèmehaften Lebenswandel, unter anderem einer Weltreise als literarische Thomas Mann-Kinder, gelegentlich in die Bredouille bringen. Und ein Meisterstück ist sein Brief an den Rivalen und Fast-Freund Gerhart Hauptmann, als dieser sich im Mynheer Peeperkorn des "Zauberbergs" böse karikiert sah. In einer Mischung aus Aufrichtigkeit und Verschlagenheit bringt er Hauptmann dazu, ihm zu verzeihen und ihn gar zum Nobelpreis vorzuschlagen.

Sein Briefwechsel nehme "immer grässlichere Dimensionen" an, klagt seine Frau Katia gegenüber der Tochter Erika 1931. Für uns aber ist das jetzt eine große Bereicherung.

Besprochen von Helmut Böttiger

Thomas Mann: Briefe 3. 1924-1932
Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Band 23.1 und 23.2
S. Fischer-Verlag
Band 1: 673 Seiten, Band 2, Kommentar: 859 Seiten, 95 Euro
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