Brennstoffzellenfabrik bei Stuttgart

Grüne Technologie gegen grüne Wiese

07:45 Minuten
Ein Plakat auf einer Weise bewirbt die Stimmabgabe für den Bürgerentscheid in Weilheim
Falls Weilheims Bürger für das Vorhaben stimmen, soll dort das größte Industriegebiet Baden-Württembergs für Brennstoffzellentechnik entstehen. © IMAGO/Arnulf Hettrich
Von Katharina Thoms · 22.04.2022
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Für Lkw mit Wasserstoffantrieb soll in Weilheim bei Stuttgart eine Brennstoffzellenfabrik gebaut werden. Doch das kommt nicht nur gut an, denn das Industriegebiet soll auf Ackerboden am Ortsrand gebaut werden – ein Bürgerentscheid steht an.
Vor der Stadthalle von Weilheim hält die schwarze Limousine von Ministerpräsident Kretschmann. Endlich – denn Bürgermeister Johannes Züfle hat schon eine Weile nervös gewartet. Es geht um was, heute bei der Bürgerversammlung: für ihn, für die Stadt und für das Land.

Im Mittelpunkt: Ein großer Acker, ein paar Hundert Meter weiter am Ortsrand von Weilheim. Dort soll ein großes Gewerbegebiet hin, für lokale Firmen, vor allem aber für eine Brennstoffzellenfabrik, die Wasserstoff-Antriebe für Lastwagen serienmäßig bauen will.
Für Dirk Unkelbach ist das eine Katastrophe: „30 Hektar können sie hindrehen, wie sie wollen: Es sind am Ende – wir reden ja lieber von Fußballfeldern – ungefähr 50 Fußballfelder.“
Zwei Frauen und ein Mann stehen an einem Verkehrsschild vor einer Wiese
Engagiert gegen das Industriegebiet: Naturschützer Dirk Unkelbach und zwei Mitstreiterinnen.© Katharina Thoms

Unkelbach ist ehrenamtlicher Naturschützer und Sprecher der örtlichen Bürgerinitiative gegen das neue Gewerbegebiet. Ohne sie hätte der Gemeinderat vielleicht schon im Herbst ziemlich geräuschlos entschieden, dass hier gebaut wird, sagt Unkelbach. Aber: „Da gab es relativ viel Widerstand. Es gab Fragen, für die es keine plausiblen Antworten gab, bis heute nicht.“

Kosten und Einnahmen bleiben unklar

Zum Beispiel über Kosten und Einnahmen. Inzwischen rechnet die Stadt mit weit mehr als einer halben Million Euro an Gewerbesteuern im Jahr. Wenn es denn klappt. Vor einem halben Jahr ist im Nachbarort ein ähnliches Projekt gescheitert, auch an einem Bürgerentscheid. Die Bürgerinitiative in Weilheim hofft jetzt, sagt Unkelbach:

„Es gibt eigentlich keinen Grund, warum wir immer neue Flächen bebauen, mehr Flächen hier versiegeln, denn dafür wird nichts anderes entsiegelt.“

Ackerfläche steht für Ernährungssicherheit

Auf dem Acker in Weilheim wird seit Jahrzehnten Getreide angebaut, etwa Mais. Und eine Baumschule steht hier. „Wir haben natürlich im Moment eine Situation, wo vielen Leuten klar wird, dass das mit der Ernährungssicherheit vielleicht nicht mehr ganz so klar ist, wie es immer war. Die beste Sicherung unserer Ernährung ist, wenn wir sie vor Ort haben können.“
Emma Schank verteilt auch die Faktenchecks der Initiative. Die 16-jährige Schülerin darf zum ersten Mal mit abstimmen. Sie hat sich geärgert, weil die Stadt das Anliegen so durchwinken wollte: „Ich bin hier Anwohnerin und habe das erst nicht durch die Stadt erfahren, sondern durch Bekannte. Das hier ist für uns Erholungsgebiet. Und ich finde es einfach krass, nebenan 30 Hektar zu verbauen.“
Allerdings: Es gab runde Tische. Ein Bürgerbeteiligungsverfahren ist inzwischen üblich in Baden-Württemberg. Die Empfehlung am Ende fällt für den Bau aus. Den Gegnern war das zu einseitig, zu intransparent. Im Februar hat der Gemeinderat dann doch für einen Bürgerentscheid gestimmt.

Kretschmann wirbt für das Industriegebiet

Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle von den Freien Wählern lädt zum kleinen Rundgang ein. Die örtlichen Abgeordneten, Gewerbetreibenden, Bürger und Bürgerinnen, Presse und der Ministerpräsident sollen sich vor Ort überzeugen, dass Weilheim der ideale Standort ist: „Es wird dir hoch angerechnet, dass du diesen Termin machst, Winfried. Das ist auch wichtig für die Unterstützung dieses Vorhabens.“
Eine Frau und mehrere Männer stehen über eine Karte gebeugt auf einer Wiese
Ministerpräsident Kretschmann beim Rundgang: Auf der Ackerfläche soll der 30 Hektar große Industriepark entstehen.© Katharina Thoms
Auch Parteikollege und Grünenfraktionschef im Landtag Andreas Schwarz wirbt bei Kretschmann für seinen Wahlkreis. Kretschmann ist schon überzeugt:

„In der Regel mische ich mich auch nicht in Bürgerentscheide ein. Aber hier wird eine Entscheidung getroffen, die ist nicht nur für Weilheim wichtig, sondern für das ganze Land.“

400 neue Arbeitsplätze sollen hier geschaffen werden. Es geht um den Erhalt des Wohlstands in der Region, sagen alle Befürworter. Und um eine Investition in eine klimaneutrale Industrie.
Bürgermeister und Firmenvertreter erklären am Feldrand mit dem Plan in der Hand, wo was stehen soll. Und dass die Streuobstwiese bleibt. Und sie werben für die neue Umgehungsstraße. Für die Bürgerinitiative eher ein Zusatzproblem, erläutert Dirk Unkelbach: „Dadurch, dass insgesamt mehr Verkehr kommt, wird auch die Innenstadt umso mehr Verkehr bekommen. Weil, wo sollen die Leute hin?“

Unternehmen verspricht Ausgleichsflächen

Matthias Jurytko, der Chef von Cellcentric, versucht am Wunsch-Bauort nochmal klar zu machen, dass die Firma sich der Ökoproblematik durchaus bewusst ist:
„Das Einzige, was höher sein wird: das Parkhaus. Um da natürlich Versiegelung zu reduzieren. Wir haben uns als Unternehmen auch entsprechend Ausgleichsmöglichkeiten vorgenommen. Dazu gehört die gesamte Begrünung unserer Dachfläche. Wir werden dabei dann auch entsprechend Photovoltaik von 40.000 Quadratmetern draufbauen. Die nicht versiegelten Flächen werden wir natürlich mit Biodiversität versehen.“
In vier Jahren soll laut Cellcentric, der Tochterfirma von Daimler und Volvo, die Serienproduktion von Brennstoffzellen starten. Wann das alles mit grünem Wasserstoff, also erzeugt aus erneuerbaren Energien möglich sein wird, ist noch unklar. Aber die Zeit dränge. So sieht es auch der Ministerpräsident. Und dafür könne man auch auf landwirtschaftlicher Fläche bauen, sagt Kretschmann:
„Wenn man über den Tellerrand hinausguckt und sieht, dass man damit gegen den Klimawandel kämpft, dann tut man das Richtige.“

Aufruf zur Erneuerung

Bei seiner Rede auf der Bürgerversammlung in der Weilheimer Stadthalle wird er dramatischer: „Der gegenwärtige Wandel hat die Kraft, die Industrielandkarte völlig neu zu schreiben. Denn wenn wir keine neuen Unternehmen von außerhalb gewinnen und wir dann auch noch unseren alteingesessenen Unternehmen nicht den nötigen Raum geben, dann haben wir richtig schlechte Karten. Wenn daraus ein Trend wird, kann das den Abstieg von Baden-Württemberg einläuten. Im Ruhrgebiet konnte sich das auch niemand vorstellen, als es noch in voller Blüte stand.“
Danach geht der Ministerpräsident von Tisch zu Tisch. Der örtliche Gewerbeverein wirbt für ein Ja beim Bürgerentscheid. Die Bürgerinitiative versucht, an Kretschmanns grünes Gewissen zu appellieren, wann man aufhöre  „auf der grünen Wiese“ zu bauen. Es gebe kein bestehendes, ausreichend großes Industriegebiet, sagt Kretschmann:
Nein, wir haben keins! Das habe ich Ihnen schon öfters gesagt! Wir haben keine so große Industriebrache, die zur Verfügung steht, die ist nicht da. Und drum wird das so entschieden! Das sind Global Player, die können überall hin auf der Welt.“

Bürgerinitiative wirbt weiter

Cellcentric hat auf jeden Fall schon einen Plan B in der Schublade, sagt der Firmenchef, für den Fall, dass beim Bürgerentscheid eine Mehrheit gegen die Bebauung in Weilheim stimmen sollte.
Auch wenn die Bürgerinitiative den Ministerpräsidenten nicht umstimmen konnte – sie hofft auf mehr Erfolg vor Ort. Und wirbt bis zum Schluss für ein Nein.

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