Solarenergie in Bayern

Durch den Bürokratiedschungel

07:14 Minuten
Solarpanels stehen im Freien, die Sonne scheint.
Das Genehmigungsverfahren für Solaranlagen zieht sich in die Länge. © picture alliance / blickwinkel / McPHOTO M. Gann
Von Michael Watzke · 01.12.2021
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Der Wille zu sauberen Solaranlagen ist groß. Das Ziel der Ampelkoalitionäre: 80 Prozent Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien bis 2030. Doch die Richtlinien für Zertifzierungen und Genehmigungen sind kompliziert, zeigt das Beispiel Bayern.
Wenn Unternehmer Ulrich Müller aus seinem Bürofenster in Bayerisch-Schwaben schaut, dann blickt er auf eine Solarstromanlage, die er geplant und gebaut hat.
Müller arbeitet für den Photovoltaik-Anbieter "Energie-Service Schwaben Kempfle" aus Leipheim, für Privat- wie Gewerbekunden.
Derzeit, sagt er, interessierten sich besonders viele Unternehmen für eine eigene Solarstromanlage. Dafür gebe es zwei Gründe: zum einen die steigenden Strompreise, zum anderen die drohende Kohlendioxid-Abgabe. Denn: "Die CO2-Abgabe kann man sich als Aufschlag auf den Strompreis errechnen. Und mit einer ökologischen Eigenversorgung bin ich eben nicht in der CO2-Abgabe.“

Monatelang nicht ans Netz

Was Müller ärgert: Dass manche der Anlagen, die bereits fertiggestellt sind, monatelang nicht ans Netz gehen können, weil sie neuerdings aufwändig zertifiziert werden müssen. Der Bundesverband Solarwirtschaft nennt sogar Beispiele von einem Jahr Wartezeit auf die Zertifizierung.
Verbandsgeschäftsführer Carsten Körnig klagt, "dass in der jüngeren Vergangenheit immer mehr bürokratische Hemmnisse aufgebaut werden, es also den Unternehmen immer schwerer gemacht wird, für die Energiewende tätig zu werden."
Die Zertifizierungspflicht galt früher nur bei größeren Solaranlagen ab einem Megawatt Leistung. Seit einiger Zeit müssen sich aber auch kleinere Anlagen ab 0,13 Megawatt durch den Bürokratiedschungel kämpfen. Das sind Solarflächen einer Größe von rund 800 Quadratmetern. Das entspricht einem kleineren Fabrikhallen-Dach.

Praxisferne Regelungen

Ulrich Müller hält die Regelung für praxisfern und kann die Begründung nicht nachvollziehen: "Es wird argumentiert, dass die Anlage eine entsprechende Qualität zur Einhaltung der entsprechenden DIN-Normen erfüllen muss. Was ja selbstredend ist, weil die Produkte, die verkauft und verbaut werden, ja alle schon eine entsprechende Qualitätsprüfung durchlaufen haben.“ Zudem gebe es zu wenige Zertifizierungsstellen, die mit den vielen Anträgen überfordert seien.
Martin Stümpfig, energiepolitischer Sprecher der bayerischen Grünen, kritisiert die Noch-Bundesregierung. Für ihn hat die Zertifizierungspflicht System: "Dem Herrn Altmaier, dem früheren Wirtschaftsminister – jetzt ist er ja noch geschäftsführend – waren halt diese vielen Einspeiser, diese vielen Bürger, die mit Anlagen ins Netz kamen, suspekt. Sie wollten wieder zurück in diese alte Welt, in der es ein paar Große gibt, bei denen das Ganze liegt. Die GroKo hat die Bürgerenergie ganz bewusst ausgebremst, wo es nur ging, und mit Bürokratie überhäuft."

50 Prozent der Energie für den Selbstverbrauch

Stümpfig nennt als weiteres Beispiel das dieses Jahr geänderte Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Früher sicherte das EEG mittelgroßen Solaranlagen bis 750 KW Peak weitgehend die Stromabnahme zu. "Seit diesem Jahr müssen die auch in eine Ausschreibung oder sie müssen mindestens 50 Prozent des Stroms selber verbrauchen. Das hat dazu geführt, dass wir dieses Jahr einen massiven Einbruch feststellen konnten bei diesen größeren Dächern, die eigentlich die letzten zwei, drei Jahre das große Zugpferd waren. Weil: Wenn ich da mal schnell 500 KW Peak auf ein Dach machen kann, sind das schon Strommengen, die wir dringend brauchen.“
Vor allem dann, wenn der Anteil der erneuerbaren Energie in Zukunft massiv steigen soll. Die Ampel, also die kommende Bundesregierung, hat in ihrem Programm gerade das Ziel verkündet, in Deutschland bis 2030 etwa 80 Prozent des Stroms regenerativ zu erzeugen.

Die Bürokratie-Ampel schaltet hoffentlich auf Grün

Der grüne Landtagsabgeordnete Stümpfig aus Bayern hofft, dass die Ampel auch in Sachen Bürokratie von Rot auf Grün schaltet: "Wenn wir jetzt von einer 'Fortschrittskoalition' sprechen, dann ist das die große Hoffnung, diese ganze Bürokratie – wenn man einfach eine Solaranlage aufs Dach schrauben will, wie unglaublich kompliziert das ist, und für die größeren Anlagen umso mehr – deutlich zu erleichtern." Diese Absicht scheint die neue, rot-grün-gelbe Koalition zu haben.
Im neuen Regierungsprogramm steht im Kapitel "Erneuerbare Energien": "Bürokratische Hürden werden wir abbauen und Wege eröffnen, um private Bauherren finanziell und administrativ nicht zu überfordern. Dazu beseitigen wir alle Hindernisse. Unter anderem werden wir Netzanschlüsse und die Zertifizierung beschleunigen."
Das klingt ambitioniert und wird eine enge Abstimmung mit den Netzbetreibern erfordern. Die halten nämlich weiter an der Zertifizierungspflicht auch bei kleineren Energie-Erzeugern fest. Die Begründung: Im Stromnetz muss sicher gestellt sein, dass keine zu großen Spannungs-Schwankungen auftreten.

Alle Einspeiser einbinden

Jörg Stechert von der Mitteldeutschen Netzgesellschaft "Mitnetz" aus Halle sagt: "Es ist wichtig, das Schwarmnetz aus allen Einspeisern – Photovoltaik, Wind, Biomasse-Anlagen – wirklich stabil zu halten. Und da ist es schon wichtig, wirklich alle Anlagen in der Mittelspannung einzubinden über eine Zertifizierung."
Solarenergie ist nicht grundlastfähig, das bedeutet: Sie steht nur zu bestimmten Tageszeiten und entsprechendem Wetter zur Verfügung. Im Sommer mehr, im Winter weniger und nachts gar nicht.  Diese Energie in ein stabiles Netz einzuspeisen und durch ganz Deutschland zu transportieren, ist nicht nur teuer.  Es braucht vor allem eine durchsetzungsstarke Politik, die Genehmigungsverfahren beschleunigt. Nicht nur bei der Solaranlagenzertifizierung.

Solaranlagen bald auch auf Äckern?

Ulrich Müller, der bayerische Solaranlagenbauer aus dem sonnigen Süden, hält das 80-Prozent-Ziel erneuerbarer Energien technisch für machbar. Er sagt: "Was viel eher diese 80 Prozent in Frage stellt, ist, die notwendigen Flächen zur Verfügung zu stellen für Photovoltaikanlagen. Zwar wären grundsätzlich genügend Flächen vorhanden, wichtig aber ist, dass die Eigentümer dieser Flächen die Bereitschaft haben, selbige bereitzustellen."
Die 80 Prozent grüner Strom bis 2030 sind nur dann erreichbar, wenn große Solarflächen in Zukunft nicht nur auf Dächern, sondern immer öfter auch auf Feldern, Äckern und Wiesen gebaut werden. Dazu findet sich im Regierungsprogramm der Ampelkoalition bisher nichts. Kein Wunder: Solche riesigen Solarparks sind sowohl in der Bevölkerung als auch unter Naturschützern umstritten und nicht gerade beliebt.

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