Olympia 2024

Breakdance wird olympisch

22:50 Minuten
Breakdance wird olympisch.
Breakdance ist im kommenden Jahr erstmals olympische Disziplin. Das hat noch kein Tanzsport davor geschafft. © dpa / picture alliance / Bruno Levesque
Von Fritz Schütte · 22.10.2023
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Mit Breakdance wird 2024 erstmals ein mit der Hip-Hop-Bewegung verbundener Tanzsport olympisch. Breaker kämpfen dann mit ihren Kopfstand-Pirouetten um Medaillen. Aber passt Olympia eigentlich zur Hip-Hop-Szene?
Deutsche Meisterschaft im Breakdance: Zwei Moderatoren heizen dem Publikum ein. Startberechtigt sind Breakdancer, B-Girls und B-Boys, die die deutsche Staatsangehörigkeit zumindest beantragt haben und Mitglied eines Vereins sind, der zum Deutschen Tanzsportverband gehört.
In den ersten Runden zeigen die Breaker noch nicht alles, was sie draufhaben.

Eine fünfköpfige Jury vergibt Punkte

Akrobatische Kopf- und Handstandpirouetten, sogenannte power moves, heben sich die Stars fürs Finale auf. Eine fünfköpfige Jury vergibt Punkte, die wichtig sind fürs Ranking, für die Aufnahme in den Bundeskader und eventuell die Teilnahme an Olympia.
Der Mann am Mikrofon ist „Khan Kid 7“. Der MC, master of ceremonies, ist fester Bestandteil bei Wettkämpfen, den Battles. Khan Kid 7 kennt viele Breaker, die hier antreten.
„Leider sehen sich viele Leute auch sehr ähnlich. Das ist jetzt gar nicht so vorwurfsvoll gemeint, wenn du so alt bist wie ich und so lange dabei bist wie ich, kannst du dich noch dran erinnern, wie du früher jemanden gesehen hast und konntest sagen: Der kommt aus Frankreich. Heute ist das nicht mehr so ausgeprägt, aber dafür ist einfach das Niveau allgemein unglaublich hoch.“
Die Finals 2023 Breaking Männer bei den Deutsche Meisterschaften in Duisburg
Die Deutsche Meisterschaft dient auch als Vorbereitung für Olympia.© dpa / picture alliance / Norbert Schmidt
Nach der Entscheidung, dass Breakdance olympisch wird, musste der Deutsche Olympische Sportbund schleunigst Strukturen schaffen.

Marco Baaden ist der Bundestrainer

Breakdance wurde dem Deutschen Tanzsportverband angegliedert und mit Marco Baaden, bekannt als "Mallekid", ein Bundestrainer gefunden. 
„Ich tanze schon sehr lange, habe mein Standing in der Szene - und warum nicht? Es muss sich alles entwickeln. Warum immer alles von vornherein abblocken? Ich möchte die Bühne nutzen, um den Menschen da draußen zu zeigen, was das alles noch beinhaltet, auch politisch. Hip-Hop ist die größte Jugendkultur. Und was da alles noch drinsteckt, auch pädagogisch, das ist massiv.“
Marco Baaden, Bundestrainer der deutschen Breaking-Mannschaft
Marco Baaden ist Bundestrainer der deutschen Breaking-Mannschaft.© dpa / picture alliance / Christian Charisius
B-Girls und B-Boys halten sich in einem Raum unterhalb der Bühne warm.
„B-Boy Flo“ schaut auf dem Bildschirm der Konkurrenz zu:

Für ungeübte Zuschauer sind natürlich die akrobatischen Sachen erst mal eindrucksvoll. Aber je mehr man sich das ansieht, desto mehr achtet man auf die kleinen Details, auf die Körperhaltung, die Musikalität. Das ist ein bisschen wie ein Boxer, der seine Schlagkombinationen vorbereitet hat. So haben wir natürlich unsere Bausteine und Puzzleteile, die wir verbinden können. Und da gibt es Leute, die sich ein ganzes Set machen, von vorne bis hinten alles auswendig, und Leute, die versuchen mit ihren Puzzleteilen frei zu arbeiten, während sie tanzen.

„B-Boy Flo"

Breakdance ist kein Zauberwerk

Im Hintergrund wirft ein Jugendlicher seinen Basketball auf den Korb. Hier in der Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg ist Hakan zu Hause.
„In der Szene kennt man mich als ‚Khan Kid 7‘. Ich bin bekannter, ehrlich gesagt, als ‚MC‘, als derjenige, der Events moderiert, als als B-Boy. Aber das ist eigentlich so meine erste Leidenschaft.“
Hakan ist in Bremerhaven aufgewachsen. Als die dort stationierten GIs Anfang der 80er-Jahre aus den USA den Hip-Hop mitbrachten, war er noch ein kleiner Junge. Es dauerte nicht lange, bis auch einheimische Jugendliche dahinterkamen, dass Breakdance kein Zauberwerk ist.    
„Das Coole war, mein Bruder hat mir einen Trick beigebracht, der nennt sich ‚hand glide, wo du dich dann mit einer Hand abstützt, den Körper auf den Ellenbogen drückst und mit der anderen Hand so pushst, sodass du dich auf der einen Hand drehst. Das hat er mir, da war ich ein kleines Kind, gezeigt.“
Damals gehörten Breakdance-Shows auf den Straßen zum Stadtbild. Doch dann kamen sie aus der Mode. Breaken war out und wurde erst Jahre später wiederentdeckt.

"Haben wir uns Olympia verdient? Hundertpro"

Mit der Zeit wurde es auch leichter, an Videos zu kommen und sich Bewegungen abzuschauen. Hakan trainierte und versuchte, mit Breaken Geld zu verdienen.
„Irgendwann habe ich gemerkt: Das ist einfach gar nicht so für mich. Du bist ja als Tänzer in der Unterhaltungsindustrie. Die Wertschätzung liegt noch unter der Topfpflanze auf der Bühne."
Den Kontakt zur Szene hat er aber nie verloren. Er ist immer noch aktiv im Jugendclub Naunynritze.

Früher haben die Leute wirklich genauso hardcore trainiert wie jeder Athlet. Da war immer so ein bisschen dieser Streit: Sport oder Tanz? 2024 in Paris sind wir dabei. Ich mache mir da keine Sorgen. Ich bin aber auch nicht so hype darüber wie andere Leute so. Für mich ist es einfach so: Haben wir uns das verdient? Hundertpro. Finde ich das gut oder schlecht? Ich werde es dir 2024 sagen, nachdem ich es gesehen habe.

"Khan Kid 7"

Was Breaken von anderen Tanzstilen unterscheidet

Von allen anderen Tanzstilen unterscheidet Breaken, dass sehr viel am Boden passiert. Von im Stehen getanzten Schritten, Top Rocks, geht es runter zu Floor und Foot Works.
"B-Boy Flo" unterrichtet an der Flying Steps Academy, vor 16 Jahren gegründet von Mitgliedern der Berliner Crew Flying Steps. Das Kursangebot reicht von Ballett bis Voguing, Popping, Whacking und Breaking.
„B-Boy Flo“ ermutigt Anfänger, mit dem bereits Erlernten zu improvisieren. Seine Bewegungen sind elegant, leicht und fließend, aber auch explosiv. Ergebnis jahrelangen Trainings.
„Ganz am Anfang war es einmal in der Woche im Jugendclub, und dann haben wir überall, wo man irgendwie trainieren konnte, trainiert: in Treppenhäusern, draußen auf der Straße. Irgendwann haben wir die Jugendclubs kennengelernt. Ich komme aus dem Wedding. Wir sind nach Kreuzberg gefahren und nach Neukölln. Und so hatte man eigentlich jeden Tag einen Ort, an dem man trainieren konnte.“

"Das reicht natürlich nicht zum Leben"

„B-Boy Flo“ lebt von Theatershows, vom Kurse geben und als Mitglied des Bundeskaders Breakdance von Sportförderung.
„Das sind 700 Euro im Monat. Dadurch kann ich ein paar Kurse abgeben und ein bisschen mehr trainieren. Aber das reicht natürlich nicht zum Leben. Ich habe auch ein Kind von fast drei Jahren. Deswegen muss ich natürlich trotzdem zusätzlich arbeiten. Aber ich versuche das so zu halten, dass ich immer noch viel Zeit zum Trainieren habe. Olympia ist jetzt nicht mein Lebenstraum, aber ich sehe das als Möglichkeit, selber ein bisschen mehr zu wachsen im Tanz, mehr herumreisen zu können.“

Für Olympia gibt es feste Bewertungskriterien

Schon immer entscheiden auch bei Battles in der Szene Kampfrichter, was ihnen besser gefallen hat. Rein subjektiv. Aber für Olympia gibt es feste Bewertungskriterien. Schwierigkeitsgrad und Sauberkeit der Ausführung sind nachvollziehbar. Aber was ist mit Musikalität, Ausstrahlung und Originalität?

Was ist originell? Das ist sehr, sehr subjektiv und kann nicht immer ganz klar eingeordnet werden. Deswegen sind auch die Ergebnisse nicht immer für alle verständlich. Für uns ist es eigentlich eher Kunst, was wir machen.

„B-Boy Flo“

„B-Boy Flo“ darf in den Räumen der Academy trainieren, zusammen mit seiner Crew ‚Lost Generation‘, zu der Tanzschüler gehören, die ihm positiv in Kursen aufgefallen sind. Gemeinsam besuchen sie auch Battles, die keine Rankingpunkte bringen.
„Es gibt zum Beispiel auch Battles wie dieses ‚Queen 16‘ in Leipzig. Da wurden wir angefragt, ob wir dahin kommen möchten als Crew, um da mitzumachen. Da ist der Fokus eher auf B-Girls, um die B-Girls-Szene ein bisschen mehr zu pushen.“
Generalprobe für ‚Hänsel und Gretel‘ - nach „Flying Bach“ die zweite Produktion von Opernregisseur Christoph Hagel zusammen mit dem Flying Steps Ensemble, dessen Gründungsmitglied Vartan Bassil zunächst skeptisch war.

Hänsel als Breaker, Gretel als Contemporary Dancer

Humperdincks Oper hat 130 Jahre auf dem Buckel und steht noch heute auf vielen Spielplänen - vorwiegend in der Adventszeit. Auf einer Pressekonferenz erläutern Vartan und Christoph Hagel, welchen Herausforderungen sich Hänsel und Gretel heute stellen müssen.

Es hat nicht lange gedauert, bis ich dann darauf kam und meinte so: Heutzutage die größte Herausforderung ist Social Media, dieses Hungern nach Aufmerksamkeit. Man kann nicht genug Follower haben, nicht genug Likes haben. Man kann sich darin verlieren, komplett verlaufen.

Vartan Bassil, Flying Steps Ensemble

Hänsel ist Breaker, Gretel Contemporary Dancer. Zum Ensemble gehört neben drei Influencerinnen-Hexen auch ein in Szene und Sport sehr bekannter Breakdancer: Louis Buss, alias „B-Boy Light“.
„Für die Olympiade 2024 habe ich sogar das Promotionvideo gedreht. Ich war das Vorzeigegesicht für die Olympiade für Deutschland. Ich war die ersten eineinhalb Jahre im Team dabei. Aber durch die ganzen Produktionen konnte ich nicht mehr wirklich alle competitions wahrnehmen, um Punkte zu sammeln und im System hochzukommen. Ich war zu ausgebucht, um mitmachen zu können.“
Im Jugendclub Naunynritze in Berlin-Kreuzberg haben sich drei Kreise mit jeweils sechs Tänzern gebildet. Wer mag und meint, dass er an der Reihe ist, tanzt hinein.
„Cyphern“ nennt man das. „Khan Kid 7“ gehört zum harten Kern der „Cyphersession" in der Naunynritze. Schon seit Ende der 80er-Jahre dabei sind „Crok“ und „Schmidt“. Damals war Berlin noch geteilt, und Kreuzberg und Wedding waren Westberliner Außenbezirke an der Mauer.
"Schmidt": „Du bist nicht zum Breaken gekommen, weil dich Breaken so sehr interessiert hat, sondern weil es so ein Crew-Ding war. Du warst mit den Leuten, mit deiner Crew, mit denen du immer zusammen warst. Und die hatten halt ein gemeinsames Hobby, und das war die Musik, den Hip-Hop.“
"Crok": „Das, was wir gelernt haben, von Hip-Hop gelernt haben in den 90ern, Ende 80er bei mir, war immer Familie. Und für mich ist es wichtig, dass die Kultur erhalten bleibt.“
Die 90er-Jahre waren die große Zeit der Berliner Breakdancer. Zusammen mit „Music Instructor“ landeten die „Flying Steps“ einige Hits.

Tina ist eine der besten deutschen B-Girls

In Berlin kennt sie nur eine Crew, die noch Open Air auftritt, sagt B-Girl „Tina the Turner“. Sie selbst könne sich das nicht vorstellen.
„Ich persönlich mag es nicht so. Ich fühle mich so ein bisschen clownhaft, als müsste ich die Leute entertainen. Man wird nicht so ernst genommen. Ich weiß nicht, vielleicht ist das auch nur für mich persönlich so.“
„Tina the Turner“ ist Anfang 20 und zählt zu den besten deutschen B-Girls und gehörte zum Breakdance-Bundeskader, der gelegentlich zusammengerufen wird. „Es ist kein Team in dem Sinn. Wir trainieren auch nicht wirklich zusammen außer drei-, viermal im Jahr. Da kriegt man ein paar neue Informationen, trainiert ein Wochenende zusammen und ist dann wieder drei Monate auf sich allein gestellt.“

Ein Bewertungskriterium ist Originalität

Es ist nicht so, dass jeder Vortrag mit Höchstschwierigkeiten gespickt sein muss wie im Eiskunstlauf. Ein Bewertungskriterium im Breakdance ist Originalität. Kann jeder Breakdancer wirklich eigene moves haben?

Die Leute unterschätzen es, wie viele Möglichkeiten es gibt. Es ist absolut möglich, dass jeder seine eigenen moves hat, die sonst keiner auf der Welt macht. Es gibt wirklich unendliche Kombination, denn es geht nicht nur darum, einen einzigen originellen move zu kreieren, sondern auch die Reihenfolge, so wie ich sie miteinander kombiniere.

„Tina the Turner“

Tina trainiert täglich und verbringt die meiste Zeit in der Flying Steps Academy.
Im Conne Island, dem Jugendclub in Leipzig-Connewitz, ist die Szene unter sich. "Queen 16" ist ein internationales B-Girl Battle, zu dem rund 20 B-Girls eingeladen wurden aus Italien, Spanien, Zypern, Estland, Polen, Kasachstan und sogar aus Brasilien.
Tina gehört zu den Organisatorinnen, die monatelang öffentliche Unterstützung und Sponsorengelder eingeworben, Tickets und Übernachtungsplätze gebucht haben. „Queen 16“ ist ein hochklassig besetztes Battle, bringt aber keine Rankingpunkte.
Es hat hier gar nichts mit irgendwelchen Strukturen von Olympia zu tun. Wir sind einfach drei ambitionierte B-Girls, die Bock hatten, ein Event zu veranstalten.

"Queen 16" als Einstieg in die Szene

Das jährlich stattfindende "Queen 16"  war Tinas Einstieg in die Szene. Jetzt kann sie etwas zurückgeben.
„Es ist nichts Kommerzielles. Wir machen es einfach, weil wir die Leute verbinden wollen, die Kultur zelebrieren wollen. Es kommt komplett vom Herzen.“
Zum Programm gehören Vorträge und Workshops. Nadia, ein B-Girl aus Russland, hat Tina sehr beeindruckt.
„Es war fast eine Philosophierunde. Sie hat viel über das Leben erzählt, über Ziele im Leben. Breaking kann man als eine Lebenseinstellung betrachten - als eine Lebensphilosophie, weil Breaken so einen großen Teil von unserem Leben einnimmt, Hip-Hop generell als Kultur, die Musik. Es ist wirklich tiefer gehend.“

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