Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Brauchen wir einen sozialen Pflichtdienst?

83:38 Minuten
Freiwilliges Soziales Jahr: Eine junge Frau kümmert sich in einem Wohnheim der Diakonie um einen behinderten jungen Mann. Dieser legt vertrauensvoll sein Gesicht an ihre Schulter.
Dienst an der Allgemeinheit: Im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres arbeiten Menschen auch in Behinderteneinrichtungen. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Moderation: Katrin Heise |
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Der Vorschlag von Bundespräsident Steinmeier für eine soziale Pflichtzeit für junge Menschen sorgt für Debatten. Was spricht dafür, was dagegen? Dient die Pflichtzeit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt? Oder beschränkt sie die Freiheit der Jüngeren?
Seit 2011 in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt und damit auch der Zivildienst abgeschafft wurde, wird immer wieder über eine allgemeine Dienstpflicht diskutiert. Vor dem Hintergrund von Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine hat Bundespräsident Steinmeier die Debatte erneut angestoßen. Es geht um die Frage, "ob es unserem Land nicht guttun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen“. Brauchen wir eine solche „soziale Pflichtzeit“?

„Einer für alle, alle für einen“

„Wenn wir nehmen, müssen wir auch ein stückweit geben, das ist das Prinzip der Solidarität“, sagt der Journalist Ben Krischke. Der Redakteur beim Magazin „Cicero“ spricht sich für eine soziale Dienstpflicht aus, auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen bei einem Praktikum in einer Einrichtung für psychisch Erkrankte. „Man nimmt Eindrücke mit, die einen prägen, man wird einfach mit ganz anderen Perspektiven konfrontiert. Und es vermittelt einem eine gewisse Erdung und Demut.“ Ein solcher Dienst könne auch bei der beruflichen Orientierung helfen.
Solidarität müsse aktiv gelebt werden, sagt Krischke. Es gehe eben nicht nur um „symbolische Solidarität“; ein Like auf Facebook oder das Unterschreiben einer Onlinepetition ersetzten nicht die helfende Hand. Und wer heute helfe, könne später auch hoffen, dass ihm Unterstützung zuteilwerde: „Alexandre Dumas lässt grüßen: Einer für alle und alle für einen.“

Besser freiwillig als fremdbestimmt

„Soziales Engagement ist gut, wenn es auf freiwilliger Basis betrieben und nicht fremdbestimmt wird. Unsere ganze Bürgergesellschaft geht in diese Richtung“, sagt Rainer Hub, Referent für freiwilliges soziales Engagement und Freiwilligendienste bei der Diakonie.
Der Sozialwissenschaftler ist gegen eine Dienstpflicht. „Die Hürden für eine solche Pflicht sind gewaltig und politisch hoch“, betont er. Für eine Gesetzesänderung brauche es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – das sei illusorisch.
„Der Spaß wäre zudem unsagbar teuer", sagt Hub. "Im Bundeshaushalt sind eine halbe Milliarde Euro für die 100.000 im Freiwilligen Sozialen Jahr veranschlagt. Bei der jetzigen Idee wären es 600.000 oder 700.000.“ Da kämen schnell acht bis zwölf Milliarden Euro zusammen. Die jungen Menschen müssten zudem angeleitet werden, gibt Hub zu bedenken. Angesichts der angespannten Personallage, zum Beispiel in der Pflege, könne das kaum jemand leisten.
Und: Es gebe bereits hinlänglich Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren, ob im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), bei Auslandsprogrammen wie dem entwicklungspolitischen Dienst „weltwärts“ oder beim Bundesfreiwilligendienst (BFD) – für alle Altersgruppen. Nur sei das noch nicht genug bekannt. „Jeder Jugendoffizier der Bundeswehr kann in die achte, neunte oder zehnte Klasse gehen und Werbung für die Bundeswehr machen – das wird bezahlt. Uns werden diese Kosten nicht refinanziert.“

Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Brauchen wir einen sozialen Pflichtdienst?
Darüber diskutiert Katrin Heise am 18. Juni mit Rainer Hub von der Diakonie Deutschland und dem Journalisten Ben Krischke. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.

(sus)
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