Bundesfreiwilligendienst

Als Bufdi nach Deutschland

07:37 Minuten
Eine junge Frau steht hinter einer Theke und reicht jemandem einen Teller mit einem Kuchenteilchen.
Die Bundesfreiwillige Claribel Gomez Dias aus Mexiko verkauft Lebensmittel im Kiosk des Bildungszentrums Schopf der Stiftung Bethel in Bielefeld. © picture alliance / Robert B. Fishman
Von Étienne Roeder  · 28.12.2020
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Seit fast zehn Jahren gibt es den Bundesfreiwilligendienst: Die Möglichkeit, sich sozial, ökologisch oder kulturell zu engagieren, ist auch für junge Menschen aus dem Ausland attraktiv, die Deutschland kennenlernen möchten.
"Zeit, das Richtige zu tun" – mit diesem Slogan wirbt der Bundesfreiwilligendienst. Seit fast zehn Jahren gibt es ihn und für viele junge Menschen ist er eine Chance, sich für das Allgemeinwohl in sozialen, ökologischen und kulturellen Bereichen zu engagieren und sich auszuprobieren. Für einige bedeutet er jedoch auch, durch die Arbeit eine komplett neue Kultur kennenzulernen.

Von Usbekistan nach Hamburg

"Mein Name ist Mirkomil Gofurov. Ich komme aus Usbekistan. Ich bin im Jahr 2018 nach Deutschland gekommen, als Praktikant im sogenannten Bundesfreiwilligendienst von EOS. Als ich nach Deutschland neu kam, konnte ich kaum Deutsch sprechen."
Gofurov hat in Usbekistan Allgemeinmedizin studiert, er ist angehender Arzt. Als er seinen Bundesfreiwilligendienst in einer Hamburger Einrichtung für Behindertenassistenz begann, war er 30 Jahre alt. So wie er entdecken immer mehr Menschen aus dem Ausland den Freiwilligendienst in Deutschland für sich. Und hier bringen sie positive Impulse in ihre Einsatzstellen.
Zentral verwaltet das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der als Bildungsjahr deklariert ist. Die pädagogische Betreuung der Freiwilligen übernehmen sogenannte Trägerorganisationen. EOS Freiwilligendienste ist so ein Träger und Christian Lutz ist dort als Bildungsreferent zuständig für die Inlandsvermittlung der Freiwilligen. Dafür, dass immer mehr internationale junge Menschen in Deutschland einen BFD-Platz erhalten, hat er eine einfache Erklärung:
"Das liegt vor allem daran, dass junge Deutsche immer seltener Lust haben, hier in Deutschland einen Freiwilligendienst abzuleisten. Und junge Menschen aus dem Ausland merken, dass das eine tolle Möglichkeit ist, Deutschland kennenzulernen, indem man hier einen Freiwilligendienst macht."

Immer mehr Freiwillige kommen aus dem Ausland

"Incomer": So heißen internationale junge Menschen, die nach Deutschland kommen, um hier einen Freiwilligendienst abzuleisten. Sie kommen entweder direkt in den Freiwilligendienst oder starten ihre Zeit in Deutschland mit einem Au-Pair-Programm. Bei EOS machen die Incomer mittlerweile ein Drittel aller Freiwilligen aus. Tendenz steigend, betont Christian Lutz.
"Wir haben zum Beispiel viele junge Leute, die vorher schon Germanistik studiert haben und jetzt mal Deutschland kennen möchten. Dann gibt es auch viele junge Leute, die sich bei sich zu Hause sozial engagiert haben oder eine Ausbildung in diesem Bereich gemacht haben und jetzt mal kennenlernen wollen, wie das in Deutschland funktioniert."
Auch Olga Krizhanovskaya hat im russischen Jaroslawl bereits an einer pädagogischen Hochschule studiert. Als ihre Stiefmutter eines Tages von dem Au-Pair-Programm erzählte, das jungen Menschen anbietet, ein Jahr lang bei einer Familie im Ausland zu wohnen, keimte in ihr die Idee, nach Deutschland zu kommen.
"Das war für mich irgendwie unvorstellbar, weil ich nie in meinem Leben Deutsch gelernt habe und mir nie darüber Gedanken gemacht habe, ob ich irgendwo anders wohnen kann."

Freiwillige helfen sich untereinander

In Deutschland angekommen, trat Krishanovskaya mit anderen russischsprachigen Freiwilligen in Kontakt:
"Es gibt viele Foren im Internet. Ich habe viel Austausch nicht nur mit russischen Freiwilligen, auch aus der Ukraine oder auch aus Weißrussland. Da schreiben normalerweise natürlich Ausländer, die ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Au-Pair-Jahr machen oder studieren oder irgendwas in Deutschland machen. Und da kann man immer Hilfe bekommen."
So kam sie dann zum Trägerverein EOS und fand ihre Einsatzstelle in der Hamburger Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Franziskus. Hier half sie freiwillig ein Jahr lang Menschen mit Assistenzbedarf im Alltag. Hilfe beim Aufstehen, Essen und Anziehen.
"Wir haben auch manchmal Freizeitaktivitäten organisiert. Wir haben zum Beispiel am Abend Bücher gelesen oder sogar gesungen. Und ich war auch beim Sport dabei. Das habe ich immer sehr gemocht."

Lesen, Singen, Betreuung und Pflege. Die Aufgabenfelder für die Incomer sind vielfältig. Die größte Herausforderung, so beschreibt es auch Olga, war die deutsche Sprache:
"Manchmal war es schwierig für mich, schnell zu reagieren, vor allem auf Deutsch. Manchmal habe ich mehrmals gefragt, ob die Sätze wiederholt werden können. Und da ich auch mit Menschen mit Assistenzbedarf gearbeitet habe, war es auch schwierig für mich, sie zu verstehen."

Die Incomer sind gern gesehen

Die Rahmenbedingungen sind für in- und ausländische Freiwillige zunächst gleich. Einziger Unterschied: das Visum. Die Incomer kommen oft aus Nicht-EU Ländern wie Indonesien, Madagaskar oder Russland und benötigen für ihr Visum einen Einsatzort, an dem auch die Unterkunft gestellt werden kann. Das sind dann meistens große Einrichtungen wie Krankenhäuser, Pflegeheime oder die Behindertenhilfe. Allesamt Einrichtungen mit einem hohen Pflegeanteil im Freiwilligendienst.
Während die Arbeit dort bei inländischen Freiwilligen wenig populär ist, sind die Incomer in den Einsatzstellen gern gesehen.
Christian Lutz von EOS: "Bisher haben wir nur positive Erfahrungen mit Incomern gemacht. Das mag daran liegen, dass das ein besonderer Schlag Mensch ist, der sich traut, eine neue Sprache zu lernen, in ein neues Land zu reisen und dann auch noch in einen Freiwilligendienst zu starten."
Durch die Corona-Einreisebeschränkungen saßen nun seit März 2020 viele Incomer auf gepackten Koffern und warteten mit unterschriebenem Vertrag auf ihre Einreise nach Deutschland. In ihren Einsatzstellen beobachtete man ihr Ausbleiben mit Sorge. Erst eine EU-Richtlinie, die neben Studierenden auch Freiwilligen aus dem Ausland Sonderregelungen einräumte, konnte Klarheit schaffen.

Deutsche Bufdis brechen oft ab

Für deutsche Bufdis ist das freiwillige Jahr oft auch die Möglichkeit, Leerläufe im Lebenslauf sinnvoll zu füllen. Sobald ein lukrativer Job lockt, ein Praktikum, eine Ausbildung oder ein Studienplatz, den man im Nachrückverfahren erhält, kann sofort gekündigt werden. Ein Drittel aller Bufdis beendet das Jahr daher vorzeitig. Da der BFD für Incomer an ihren Aufenthalt gekoppelt ist, sind sie für ihre Einsatzstellen eine "sichere Bank". Denn mindestens sechs und bis zu 18 Monate kann der BFD dauern.
Auch für die ausländischen Freiwilligen ist die Arbeit hier in Deutschland ein Gewinn. Beruflich und sozial. Manche bleiben gar in Deutschland, so wie Olga Krishanovskaya, die hier ihre große Liebe gefunden hat und jetzt Olga Schuhmacher heißt. Mittlerweile studiert sie Logistik in Hamburg. Auf Deutsch, auch wenn es schwierig ist:
"Ich habe sogar eine 2,1 als durchschnittliche Note. Das ist verrückt, wirklich. Das Studium ist an sich nicht leicht, aber das schaffe ich."
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