Brain Computer Interfaces

Wie man Gedanken hacken kann

In den Gehirnströmen verbergen sich Muster. Um die für das Computersystem erkennbar zu machen, müssen 129 Elektroden einzeln gegelt und an der Kopfhaut angebracht werden
In den Gehirnströmen verbergen sich Muster. Um die für das Computersystem erkennbar zu machen, müssen 129 Elektroden einzeln gegelt und an der Kopfhaut angebracht werden © Piotr Heller
Von Jochen Dreier · 06.04.2017
Mit unseren Daten machen wir uns transparent, die Kontrolle darüber haben wir aber meist nicht. So ähnlich könnte es bald unseren Gedanken ergehen: Bisher waren sie unerreichbar, doch Wissenschaftler wollen mit Hilfe von Brain-Computer-Interfaces in Gehirne eindringen.
− "Das Spiel, an dem wir gerade arbeiten, ist das persönlichste Horror-Überlebens-Spiel aller Zeiten. Es findet heraus, wie man jemanden mit seinem eigenen Geist erschreckt."
− "Wow. Das hört sich echt krank an. Ich kann es kaum erwarten."
− "Der Upload des neuronalen Netzpaketes beginnt..."
In der Science-Fiction-Serie "Black Mirror" probiert ein freiwilliger Proband ein neues Spiel aus. Das Spiel speist sich komplett aus seinen eigenen Ängsten. Diese werden im Gehirn abgelesen und dann in einer virtuellen Projektion zurückgespiegelt. Beispiel: Sieht er eine Spinne, so reagiert er darauf, das Computerprogramm lernt dies aus seinen Gehirndaten und wird ihn daraufhin noch mehr mit Spinnen ängstigen.
− "Heilige Scheiße, verdammt!
− "Ein so harter Kerl hat also Angst vor Spinnen?"
− "Ja, ich bin nicht gerade ein Fan."
− "Das System hat herausgefunden, dass Sie an Arachnophobie leiden."

Das EEG auf der Kopfhaut

Diese Vision ist noch Zukunftsmusik. Aber längst wird daran geforscht. Elektroenzephalografie-Geräte, kurz EEGs, messen auf der Kopfhaut Spannungsschwankungen, die entstehen, wenn man sich bewegen möchte, Gerüche oder Geräusche wahrnimmt. Wenn wir denken, werden elektrische Signale im Gehirn verarbeitet.
Die Spannungsschwankungen sind allerdings extrem schwach – und die Messungen daher eine Herausforderung für die Geräte.
Algorithmen analysieren die Daten und können bereits verschiedene gedankliche Absichten erkennen – man stellt sich zum Beispiel vor, seine rechte Hand zu bewegen und kann mit diesem Gedanken dann ein Objekt auf dem Bildschirm steuern.
Die Steuerung von Prothesen körperlich beeinträchtigter Menschen wäre so möglich. Auch Menschen mit einem Locked-In-Syndrom sollen sich eines Tages über solche Schnittstellen wieder mitteilen können.
Doch längst wird die Technik auch für den breiten Konsumentenmarkt ausgerollt.
In Japan waren Necomimi-Ohren vor ein paar Jahren Verkaufsschlager. Kleine plüschige Ohren, die durch Sensoren rudimentär Gehirnwellen ablesen und sich nach Gemütslage aufstellen, anliegen oder wackeln. Sensitive Gehirndaten auslesen für ein bisschen Spaß?

Malware für das Gehirn

Die aus Kroatien stammende und an der Universität Washington arbeitende Forscherin Tamara Bonaci warnte Anfang des Jahres deshalb vor der Möglichkeit, Gehirne zu hacken:
"Es zeigt sich, dass diese Signale durchaus gefährlich sein können, sie verraten viel über uns. Und die Geräte, die mit den Signalen interagieren, können zu Malware für das Gehirn führen."
Schadsoftware für das Gehirn? Tamara Bonaci gibt selbst zu, das klingt nach einer Sci-Fi-Horror-Story. Die reelle Gefahr ist viel subtiler, aber nicht weniger gruselig.
Durch unsere Smartphones und dem täglichen Surfen im Netz produzieren wir laufend Information, die aufgezeichnet und analysiert wird. Auf einer abstrakten Ebene ist uns dies bekannt, doch wie genau Algorithmen unsere Persönlichkeit danach einschätzen, verstehen nur die wenigsten. So sei es auch bei Brain-Computer-Interfaces. Denn diese sind im Endeffekt nichts anderes als ein Kommunikationsmittel:
"Du hast die elektrischen Signale, die auf deiner Kopfhaut gemessen werden, diese werden digitalisiert, dann analysiert, eine Maschine lernt, was sie meinen, und aufgrund dieser Informationen wird eine Aktion durchgeführt."

Der virtuelle Wal

Tamara Bonaci hat in einem eigenen Experiment die Möglichkeiten von solcher Gehirn-Schadsoftware ausprobiert. Als Beispiel wählte sie ein Spiel, in dem man mit einem virtuellen Wal durch ein Meer und an Küsten vorbeischwimmen kann − gesteuert natürlich über ein Brain-Computer-Interface. Während des Spiels wurden dann für wenige Sekundenbruchteile Symbole von Caféhaus-Ketten, berühmten Personen, Nummern oder Fotos von Orten eingeblendet. Bewusst nimmt ein Mensch dies nicht wahr − zu schnell für das Auge. Doch das Gehirn selbst ist sehr viel aufmerksamer:
"Man sieht deutlich: Die Person hat reagiert. Das gezeigte Logo hat einen Bedeutung für die Person. So kann man private Informationen herausfinden. Eine Caféhauskette ist weniger ein Problem, aber das geht auch mit religiösem Glauben, politischen Einstellungen und Gesundheitsdaten."
Und hier kommt der Konsumentenmarkt zurück ins Spiel. Denn der Mensch ist fasziniert von den Möglichkeiten, die solche Schnittstellen bieten.
Für rund 800 Dollar sind bereits recht leistungsstarke Brain Computer Interfaces zu kaufen. Wie in einem Appstore können Spiele und Applikationen heruntergeladen werden, über Bluetooth oder W-Lan werde die Daten auf das private Smartphone oder Tablet übertragen. Der Sprung zum Massenmarkt scheint nur eine Frage der Zeit.

Facebook ist begeistert

Mark Zuckerberg: "Ich denke, in ein paar Jahrzehnten werden wir Gedanken aufnehmen und sie, wie heute ein Foto, teilen. Da gibt es schon viel Forschung, die zeigt, das wird möglich sein."
Mark Zuckerberg zeigte sich schon 2015 begeistert von zukünftigen Möglichkeiten von Brain Computer Interfaces. Und natürlich forscht sein datenhungriges Unternehmen längst selbst an solchen Schnittstellen. Sein Geschäftsmodell ist nun mal auf den Verhaltensprofilen seiner Nutzer aufgebaut.
Theoretisch müsste Facebook die nötigen Elektroden sogar nur in die Kopfhalterung von ihrer Virtual Reality Brille Occulus Rift einbauen, sie sitzt fast schon medizinisch perfekt. Virtual Reality und Gedanken lesen in einem − klingt stark nach der Vision aus der Serie "Black Mirror"?
Es gibt also gute Gründe für die Forderungen von Tamara Bonaci, jetzt schon Regeln festzulegen, wie solche Nutzer-Daten eines Tages genutzt werden dürfen:
"Wir müssen jetzt darüber nachdenken, während der Forschung direkt mit Rechtswissenschaftlern, Soziologen und Ethikern zusammenzuarbeiten. Nur dann haben wir die Chance, sichere und ethische Geräte zu entwickeln."
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