Bov Bjerg: "Serpentinen"

Abrechnung mit den Scheißvätern

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Das Bild zeigt das Cover vom neuen Buch von Bov Bjerg. Es heißt "Serpentinen".
Ein Buch mit starken, aber auch einigen schwachen Momenten: Bov Bjergs "Serpentinen". © Claassen / Deutschlandradio
Von Rainer Moritz · 01.02.2020
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Bov Bjergs Coming-of-Age-Geschichte "Auerhaus" war ein Bestseller. Nun folgt mit "Serpentinen" ein Roman, der sehr viel düsterer ist. Er erzählt von Vätern, die nicht zu retten sind, von der Herkunft, der man nicht entkommt, und von Depressionen.
Ein Vater, Anfang 50, unternimmt mit seinem kleinen Sohn eine Reise zu den Orten der Kindheit. Es geht auf die Schwäbische Alb hinter Göppingen, und von Anfang ist klar, dass es keine erinnerungsselige Fahrt sein wird.

Auf der Familie scheint ein Fluch zu liegen

Auf dieser Familie nämlich scheint ein Fluch zu liegen, dem sich der Vater – Soziologieprofessor von Beruf – entgegenstemmen will. "Urgroßvater, Großvater, Vater. Ertränkt, erschossen, erhängt", so setzt Bov Bjergs Roman "Serpentinen" ein und lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Trip zum Kampf gegen diese scheinbar unausweichliche Selbstmordkette wird.
Bjerg gelang – durch das "Literarische Quartett" befördert – mit seinem zweiten Roman "Auerhaus" (2015) der Durchbruch. Obschon "Serpentinen" motivlich auf dieses Erfolgsbuch verweist, ist der Tonfall nun ein ganz anderer, ein düsterer.
Während Vater und Sohn mit ihrem Wagen die kurvenreichen Albsträßchen – die Serpentinen – hinauffahren, steigen Familienerinnerungen an die Oberfläche. Es sind keine beglückenden Kindheitsaugenblicke, die sich da breitmachen, keine heiteren Anekdoten. Nach diesem "Familienbla", diesem "wiederkehrenden Gerede", steht dem Vater, der als Ich-Erzähler fungiert, nicht der Sinn.

Grausamkeit und Verzweiflung

Er will die Generationen vor ihm durchleuchten, will den "Schwarzen Gott" der Depression, der diese Familie heimsucht, ergründen und abwehren. So erinnert er sich an die Reise, die er mit seiner Mutter in den Böhmerwald unternahm – ihre Heimat, aus der sie nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete. Und so zeichnet er ohne Beschönigung das Bild seines Vaters, der ein "Nazi der Meinung" war, diese Haltung nie ablegte und 1968 bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg zu den 9,8 Prozent NPD-Wählern gehörte.
"Serpentinen" ist eine Abrechnung mit den "Scheißvätern" und deren "Scheißwut", die sich "gegen sich, gegen alle" richtete. Und eine zärtliche Hinwendung zum Sohn, dem das Schicksal seiner männlichen Vorfahren um jeden Preis erspart werden soll.
Der Schriftsteller Bov Bjerg bei der Premiere des Films "Auerhaus" in Köln
Der Schriftsteller Bov Bjerg bei der Premiere des Films "Auerhaus" in Köln© picture alliance / Geisler-Fotopress / Jens Krickler
Bjerg glücken dabei bewegende Szenen, Momentaufnahmen, die den Erzähler etwa als kleinen Jungen zeigen, wie er seinem Vater beim kreisenden Gang um den Esstisch folgt, um auf ihn "aufzupassen". Grausamkeit und Verzweiflung nisten sich in solche Sätze ein, und Bjerg überzeugt, wenn er darauf vertraut. Dass der Strick, mit dem sich der Vater des Erzählers aufhängt, selbstverständlich weiterverwendet wird, ist ein Motiv, das unvergesslich bleibt – wie die lapidare Erkenntnis: "Der Vater hatte nicht leben wollen. Ich war nicht Grund genug."

Überall Nazis

Leider belässt es Bjerg nicht dabei. Er will mehr, er präsentiert seinen – ständig Bier trinkenden – Erzähler als einen unwilligen, sich selbst kasteienden Kommentator. Überall sieht dieser Spuren einer braunen Vergangenheit, wettert gegen den Autobahnausbau am Albaufstieg, gegen "prototypische Faschismusbächlein", die sich durch die Dörfer ziehen, und gegen "Schwabenkitsch". Und natürlich gegen sein bourgeoises Professorendasein, das er zusammen mit seiner Frau, einer Anwältin, führt und das er in einer der schwächsten Passagen, bei einem Honoratiorenempfang, wohlfeil denunziert.
So regt sich der Verdacht, dass "Serpentinen" trotz seiner großen Momente ein Buch ist, das vor allem Eindruck machen will – mit seinem Suizidthema, seiner "Alles Nazis überall"-Perspektive und seinem parataktischen Stil, der Bedeutung suggeriert, wo nicht immer eine ist.

Bov Bjerg: "Serpentinen". Roman
Claassen, Berlin 2020
272 Seiten, 22 Euro

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