Nora Bossong widerspricht Habermas

„Er sieht uns ein bisschen naiver, als wir sind“

08:53 Minuten
Porträtfoto der Schriftstellerin Nora Bossong.
Hat ein Buch über ihre eigene Generation verfasst: die Schriftstellerin Nora Bossong. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Nora Bossong im Gespräch mit Julius Stucke · 29.04.2022
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Der Philosoph Jürgen Habermas hat Verständnis für die Politik von Olaf Scholz im Ukraine-Krieg geäußert und schrille Töne in der Debatte moniert. Die Autorin Nora Bossong findet diese Kritik an ihrer Generation nicht differenziert genug.
In einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" verteidigt der Philosoph Jürgen Habermas die Politik von Kanzler Olaf Scholz im Ukraine-Krieg. Der Philosoph zeigt sich etwas irritiert über die moralische Entrüstung in der Debatte. Er nimmt einen schrillen Meinungskampf und moralische Erpressungsversuche wahr.
Die Schriftstellerin Nora Bossong findet, dass Habermas hinsichtlich der öffentlichen Kritik an Scholz nicht deutlich genug unterscheidet. Dass der Kanzler abwägend vorgehe, sei konsensfähig, glaubt die Schriftstellerin. Aber: „Zögerlich zu bleiben, das ist ein anderer Punkt.“ Kritisiert werde überdies auch Scholz‘ „Mangel an Kommunikation“.
Es sei völlig klar, dass im Kanzleramt auch bestimmte Dinge hinter verschlossenen Türen verhandelt und abgewogen werden, so die Autorin. „Aber das, was Olaf Scholz wirklich momentan nicht besonders stark zeigt, ist eine Kommunikation nach außen.“

Völkermord in Ruanda prägte eine Generation

Durch den Krieg sei – so Habermas – die Generation von Außenministerin Annalena Baerbock aus der pazifistischen Illusion herausgerissen worden. Dem widerspricht Bossong, mit 40 Jahren fast gleich alt wie Baerbock. Der Völkermord in Ruanda sei für ihre Generation „durchaus prägend“ gewesen. Und Baerbock sei ganz sicher von Joschka Fischer geprägt worden. Der habe Ende der 90er-Jahre mit Blick auf den Völkermord von Srebrenica in seiner berühmten Rede gesagt: „Ich habe gelernt 'nie wieder Krieg'. Ich habe auch gelernt, 'nie wieder Auschwitz'.“ Diese Sätze seien für ihre Generation sehr, sehr prägend gewesen. Zu Habermas sagt Bossong: „Ich glaube, er sieht uns ein bisschen naiver, als wir tatsächlich sind.“

Kritik an der Linken

Der Philosoph kritisiere auch dezidiert die Linke, die aus seiner Sicht vormals pazifistisch gewesen sei, so die Schriftstellerin. Für die SPD könne das gelten. Die Grünen hätten indes schon seit Ende der 90er-Jahre einen „sehr deutliche Richtungswechsel vorgenommen“. So habe auch Robert Habeck schon im Sommer 2021 über die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine öffentlich nachgedacht.
Bossong ist allerdings mit Habermas der Ansicht, dass „diese moralische Empörung und dieser schrille Ton, den er anspricht, sehr, sehr kontraproduktiv ist.“
(tmk)

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