Boris Pahor

"Ich wäre gern noch einmal jung, aber heute und nicht damals"

Der Schriftsteller und Überlebende mehrerer Konzentrationslager, Boris Pahor, spricht am 25.06.2014 in Hamburg in der KZ Gedenkstätte Neuengamme bei der Eröffnung der Ausstellung «Letzte Zeugen - Erinnerungen von Häftlingen der faschistischen Lager».
Der Schriftsteller und Überlebende mehrerer Konzentrationslager, Boris Pahor, aufgenommen 2014. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Thomas Migge · 26.08.2014
Boris Pahor gilt als einer der bekanntesten Vertreter der slowenischen Gegenwartsliteratur. In Kürze soll sein Buch "Das rote Dreieck" über das Schicksal der politischen KZ-Häftlinge erscheinen. Er selbst hat zahlreiche Lager überlebt.
"Ich habe begonnen zu schreiben, um das wiederzugeben was ich im Konzentrationslager erlebt habe. Ich wollte nicht vom Holocaust sprechen. Den habe ich nicht erlebt. Den haben ja die Juden erleiden müssen. Ich war ja dort, weil ich zu den Antinazisten gehörte."
Boris Pahor sitzt in einem Café in Triest und spricht über das Vergangene, ohne große Emotionen. Nur eines fällt auf: dieser sonst so ruhige und sanft lächelnde Mann mit seinem biblischen Alter bekommt, wenn er von seiner Zeit in den KZ’s Dachau, Natzweiler-Struthof, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen spricht, ganz wache Augen, und sein Gesichtsausdruck bekommt etwas Abfälliges. Er wirkt dann wie jemand, der, gegen seinen Willen, etwas in Worte fasst. Sein Sprachrhythmus wird schneller. Es scheint, also ob er das Beschriebene, die Erinnerung von sich weg schleudern will.
"Das waren ja auch Arbeitslager. Auch dort starb man. An Hunger, an Krankheiten, man wurde aufgehängt. Es darf nicht vergessen werden, dass diese Menschen, die dort inhaftiert waren, für die Freiheit gekämpft haben. Menschen, die ja wussten, was sie riskierten."
Das wusste auch der als Österreicher in Triest geborene Slowene Boris Pahor, als er sich 1943 den Antifaschisten anschloss. Was Faschismus bedeutete, wusste er nur allzu gut. 1920, zwei Jahre bevor Mussolini in Rom die Macht ergriff, Pahor war fünf Jahre alt, zündeten militante Faschisten in Triest das slowenische Kulturhaus an.
"Dieses Kulturhaus verfügte auch über ein Theater, Lesesäle, das war unsere slowenische Kulturinsel. Es gab einen Sportsaal und ein Café, ein Hotel. Das war ein großes Gebäude, sechs Etagen. Noch zwei weitere Kulturzentren gingen in Flammen auf."
Von der Heimat getrennt
Während Pahors Schulzeit verbot das faschistische Regime den Gebrauch aller nicht-italienischen Sprachen. Slowenisch sprach man daheim, berichtet der Schriftsteller mit leiser Stimme und geschlossenen Augen:
"Das war die düsterste Zeit der slowenischen Geschichte. Als Triestiner waren wir nach 1918, nachdem die Stadt Italien zugeschlagen wurde, von unserer Heimat getrennt. Ein Viertel unseres Landes war nun Teil Italiens. Wir sollten andere werden. Wir wurden gezwungen Italiener zu werden."
Pahor durfte offiziell nicht mehr slowenisch sprechen und lesen. Während seiner Zeit an der Universität, er studierte einige Jahre Theologie, stand er in engen Kontakten mit jungen slowenischen und antifaschistischen Intellektuellen, wie dem Dichter Stanko Vuk und Zorko Jelinicic, der sich auch einen Namen als Mitbegründer der nationalslowenischen Terrororganisation TIGR war.
1940 schickte das Kriegsministerium Pahor nach Libyen. Dort erlebte er wie brutal das italienische Heer gegen die einheimische Bevölkerung vorging. Nach dem Sturz Mussolinis im Sommer 1943 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Die Deutschen hielten Nord- und Mittelitalien besetzt. Sie behandelten nun die Bürger des ehemaligen Achsenpartners als Feinde. Es kam zu zahllosen Massakern an der Zivilbevölkerung. Aus Pahors Abneigung dem Faschismus gegenüber wurde offener Hass auf das NS-Regime. Deshalb schloss er sich der antifaschistischen Befreiungsbewegung an. Nur wenige Monate nach dieser Entscheidung wurde er verhaftet:
"Ich wurde denunziert von Kollaborateuren, die die Deutschen aus Ljubljana nach Triest geschickt hatten. Sie gründeten ein politisches Zentrum Aufspüren von Antifaschisten. Die wussten, dass ich gegen sie war, denn ich hatte ja bereits in Ljubljana etwas in der Zeitschrift der Christsozialen veröffentlicht, die ein Organ der nationalen Befreiungsorganisation war."
Sein Antifaschismus war nie kommunistisch geprägt
Nach Kriegsende engagierte sich Pahor in Triest in verschiedenen katholischen und dezidiert nicht-kommunistischen Kulturorganisationen. Sein Antifaschismus war nie kommunistisch geprägt. Pahor ging es damals vor allem um die Schaffung einer slowenischen Nation. Er studierte Literaturwissenschaften in Padua und lehrte später italienische Literatur. Seine literarischen Interessen bewegten sich immer im politischen, als antikommunistischer slowenischer Nationalist, und im historischen Bereich. 1967 erschien sein wohl berühmtestes Buch, der autobiografische Roman "Necropoli". Darin schildert er mit dramatischen, aber nie ins Rührselige abrutschenden Worten seine Erfahrungen in Konzentrationslagern. In diesem ergreifenden Buch setzt sich Pahor auch mit der existenziellen Frage auseinander, ob man überhaupt in Worte fassen kann, was einem als unbeschreiblich erscheint. Seine schonungslos reflektierende Schreibweise erinnert an die Werke von Imre Kertész und Primo Levi - Autoren, die ähnliche Schicksale durchmachen mussten und literarisch umsetzten.
Auf seinen 101. Geburtstag angesprochen rollt Boris Pahor mit den Augen und lächelt. Ja, er wäre gern noch einmal jung - aber heute und nicht damals, und ohne die schwerwiegenden Erinnerungen an jene Zeit:
"Wenn ich 20 Jahre wäre, oder auch 30, dann würde ich das machen, was Saviano macht. Der Enthüllungsjournalist Roberto Saviano, der über die Mafia in Süditalien schreibt, oder zu politischen Themen arbeiten, zu Berlusconi zum Beispiel. Es geht doch nicht an, dass der immer noch mitmischt, jemand der nur an seine eigenen Interesse denkt."
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