Boris Johnson, Nero & Co.

Männer, die an Stühlen kleben

Premier Boris Johnson sitzt an einem Tisch mit anderen Politikern beim G7-Treffen und hält seinen Daume hoch.
Daumen hoch! Noch ist Boris Johnson Premier. Doch seine Tage sind gezählt. Hier: beim G7-Treffen im Schloß Elmau. © picture alliance / empics / Paul Chiasson
Ein Einwurf von Paul Stänner |
Lange hat Boris Johnson an seinem Amt geklebt. Zu lange für einen ehrenvollen Abgang, findet der Journalist Paul Stänner. Doch dieses Schicksal teile er mit zahlreichen Staatenlenkern: toxische Männer, die sich so der Lächerlichkeit preisgeben.
Boris Johnson muss seinen Sitz als Premierminister aufgeben. „Clownfall“ – der Absturz einer Lachnummer – titelte der „Economist“. Aber Johnson wollte nicht gehen. Er klebte an seinem Stuhl wie die „Letzte Generation“ am Autobahn-Asphalt. Finger für Finger muss man sie vom Klebstoff befreien, damit sie die Straße frei geben. Und auch Boris musste man Finger für Finger aus den Polstern ziehen, damit er seinen Stuhl frei gibt. 
Johnson wählte sich den großen Winston Churchill zum Vorbild. Dieser wurde während seiner letzten Amtsperiode nicht jünger, blieb aber ein Trinker und Kettenraucher. Eines Morgens soll ein Vertrauter beobachtet haben, wie sein Chef rauchend im Bett saß, auf seinem Kopf ein Kanarienvogel, dem er ab und zu aus einem Whiskeyglas zu trinken gab. „Wir brauchen einen neuen Premier“, soll der Vertraute spontan beschlossen haben. Vielleicht war Johnsons Abgang in die Lächerlichkeit schon absehbar, als man hörte, wen er zu seinem Krafttier erkoren hatte.

Die Illusion von Popularität und Ruhm verführt

Vielleicht war Johnsons Abgang in die Lächerlichkeit schon absehbar, als man hörte, wen er zu seinem Krafttier erkoren hatte. Der unerschütterliche Glaube an die eigene Brillanz und Unersetzbarkeit, gepaart mit der Illusion von Popularität und Ruhm verführt Männer dazu, dem Nero-Syndrom zum Opfer zu fallen.
Nero war römischer Kaiser und – nach eigener Wahrnehmung – Gott und umjubelter Harfenspieler und gefeierter Dichter und preisgekrönter Olympia-Sportler. Er wollte von seinem Thron nicht lassen und musste gewaltsam entfernt werden. Von sich selbst begeistert bis zur letzten Sekunde soll er „Welch ein Künstler stirbt mit mir!“ ausgerufen haben, als seine Verfolger ihn erreichten.
Während der große Cäsar noch sein „Veni, vidi, vici“ deklamieren konnte – Ich kam, ich sah, ich siegte – blieb für Nero nur die Parodie dieser Prachtrolle. Veni, vidi, violini – ich kam, ich sah, ich habe es vergeigt, urteilte die Nachwelt über ihn. Damit wären wir eigentlich wieder bei Boris Johnson, aber bleiben wir noch einen Augenblick bei den blutigen Figuren.

Einfach abdanken geht als Monster nicht

Ebenfalls viel zu spät aus dem Sessel geholt wurden der deutsche Künstler, Welt-Politiker und Größte-Feldherr-aller-Zeiten Adolf Hitler, desgleichen Herren wie Hussein, Gaddafi oder Ceausescu, das selbst ernannte „Genie der Karpaten“.
Zu ihrem Verständnis muss man anführen, dass sie aus politischen Kulturen stammten, in denen man als Monster und Fossil nicht einfach abdanken und sich mit gerafftem Gold und jugendlichen Geliebten in den Ruhestand zurückziehen konnte. Zu viele Gegner waren erschossen, vergiftet, erschlagen oder in einem entlegenen Lager versenkt worden.
Jetzt kommt einem Präsident Putin in den Sinn. Warum auch immer. Bekanntermaßen wählte er den Zaren Peter den Großen zum Vorbild. Vielleicht, weil der in der holländischen Gluthitze mit schweißglänzendem Oberkörper Schiffsplanken zurechtgehauen hatte und später zum Opernheld avancierte, was ja alle moskowitischen Herrscher leidenschaftlich anstreben. Mit dem Großen Peter verbindet Wladimir eine frühe Freude an schmucken Jachten und die Lust, in blutigen Kriegen seinen Herrschaftsbereich zu vergrößern.

In jedem toxischen Mann steckt ein Clown

Mit Reformen nach dem Vorbild europäischer Länder scheint es dem Präsidenten nicht so dringend zu sein wie dem Zaren. Einig wiederum sind sie sich in der dauernden Sorge um ihr Überleben. Auch Putin kann sich der Freuden seiner Oligarchenjacht nicht sicher sein, wenn sich in der russischen Nomenklatura herumspricht, dass er den Krieg vergeigt hat und die Reichtümer seiner Oligarchen westlichen Sanktionen zum Opfer gefallen sind. Zu viele in Lagern versenkt, zu oft den Tee vergiftet, und so weiter…
Also wird er an seinem Stuhl kleben bleiben und den Krieg fortführen, bis alles in Trümmern liegt. Wie kann er sonst sicher sein, dass er nicht wie Nero auf einer Landstraße entsorgt wird. Friedrich Nietzsche schrieb: Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: Das will spielen. Wir lernen heute: In jedem toxischen Mann, der nicht loslassen kann, steckt ein kleiner Clown, der sich lächerlich machen möchte.

Paul Stänner wurde in Ahlen in Westfalen geboren, hat in Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte studiert. Er arbeitet als Rundfunkjournalist und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Agatha Christie in Greenway House“.

Paul Stänner
© privat
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