Die besprochenen Titel:
Oliver Hilmes: Das Verschwinden des Doktor Mühe
Penguin Verlag, München 2020
240 Seiten. 20 Euro.
Anne Stern: Fräulein Gold. Schatten und Licht
Rowohlt Polaris, Hamburg 2020
400 Seiten. 16 Euro
Anne Stern: Fräulein Gold. Scheunenkinder
Rowohlt Polaris, Hamburg 2020
448 Seiten. 16 Euro. Erscheint am 13. Oktober.
Uta Seeburg: Der falsche Preuße
Harper Collins, Hamburg 2020
352 Seiten. 22 Euro
Alex Beer: Unter Wölfen
Limes Verlag, München 2019
368 Seiten. 16 Euro
Alex Beer: Unter Wölfen. Der verborgene Feind
Limes Verlag, München 2020
352 Seiten. Erscheint am 12. Oktober
Robert Brack: Dammbruch
Ellert & Richter, Hamburg 2020
240 Seiten. 12 Euro
Leonard Bell: Der Petticoat-Mörder
Ullstein, Berlin 2020
432 Seiten. 9,99 Euro
"Fiktionale Gegenwelt mit immer denselben Elementen"
10:06 Minuten
Kriminalromane mit historischen Stoffen sind ein Trend, befeuert durch Volker Kutschers Bücher und deren Verfilmung als TV-Serie "Babylon Berlin". Doch viele fiktionale Elemente seien schon zu Stereotypen geworden, kritisiert die Journalistin Sonja Hartl.
Volker Kutscher und seine historischen Krimis aus den 1930er-Jahren sind enorm beliebt – und spätestens seit der Verfilmung in der Blockbuster-TV-Serie "Babylon Berlin" ist der Schriftsteller in aller Munde. Daneben gibt es aber mittlerweile eine ganze Reihe weiterer erfolgreicher deutscher Krimiautoren und –autorinnen, die ihre Stoffe ebenfalls in historischen Zeiten ansiedeln.
Dieser Blick in die Vergangenheit sei bei Kriminalromanen deshalb so beliebt, weil dieses Genre besonders geeignet sei, "um alternative Lesarten von historischen Ereignissen zu liefern", sagt Journalistin Sonja Hartl, die sich durch eine ganze Reihe dieser Bücher gelesen hat.
"Ich meine damit nicht: Was wäre gewesen, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte", betont Hartl. Es gehe darum, "die Perspektiven zu verschieben, um vielleicht Aspekte in den Vordergrund zu rücken, die nicht so da sind in der Geschichtsschreibung".
"Rote Burg" und "Aschinger" in fast allen Büchern
Ein weiterer Grund für den Trend sei, dass man auf unterhaltsame Weise Wissen vermitteln könne. "Histotainment, wenn man so möchte." Außerdem sei es so, dass der Erfolg von Volker Kutschers historischen Romanen bei Verlagen den Wunsch wecke, an diesen Erfolg anzuknüpfen. Dann brächten sie Bücher heraus, die diesem Muster folgen.
Weil daher viele dieser Kriminalromane in derselben Zeit – der Weimarer Republik und den Jahren des Nationalsozialismus – und oft auch in Berlin spielen, gebe es inzwischen typische Elemente, die in so gut wie jedem dieser Bücher enthalten seien, moniert Hartl.
"Dass in jedem Kriminalroman die 'Rote Burg', also das Polizeipräsidium, vorkommt, das verstehe ich ja noch. Aber es scheint tatsächlich so, dass fast jeder, der in 30ern in Berlin gelebt hat, zu ‚Aschinger‘ essen gegangen ist."
Fiktion als authentisch wahrgenommen
Fast immer tauche Ernst Gennat, der Vater der Kriminalistik, mehr oder weniger prominent im Hintergrund auf. "Natürlich gehören auch die Nachtclubbesuche dazu, die dann sehr schweißgebadet sind, mit viel Musik und Drogen." Und es gebe viel Arbeitslosigkeit und Armut, die sich im Hintergrund abspielten.
"Da haben diese Romane, die in der Weimarer Republik und dann im Nationalsozialismus spielen, zusammen mit den Serien mittlerweile fast so eine fiktionale Gegenwelt aufgebaut, die immer aus denselben Elementen besteht. Und das ist auch das, was man als authentisch und realistisch wahrnimmt, obwohl es eigentlich durch Fiktion entwickelt wurde."
(abr)