Thomas Blubacher: Die vielen Leben der Ruth Landshoff-Yorck
Insel Verlag, Berlin 2015
380 Seiten, 24,95 Euro
Ihre Bühne war Berlin
Ruth Landshoff-York war ein Liebling der mondänen Gesellschaft in den "Goldenen Zwanzigern". Sie war Schauspielerin, Journalistin und eine fabelhaft aussehende Frau. In der Biografie von Thomas Blubacher wird auch erzählt, wie sie nach 1933 zu einer politisch wachen Schriftstellerin wurde.
Lange Zeit war sie nur Kennern der deutschen Exilszene ein Begriff, bis vor einigen Jahren ihre unveröffentlichten Romane ausgegraben wurden: flapsig-amüsante Geschichten aus der Boheme der 1920er-Jahre. Die noch fehlende Biografie erzählt der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher.
Ruth Landshoff, geboren 1904 in Berlin, geschiedene Gräfin Yorck, versuchte sich zunächst als Schauspielerin, was sie nach glücklosen Theaterauftritten und einer Nebenrolle in Murnaus "Nosferatu" bald aufgab. Ihre Bühne war das mondäne Leben der Hauptstadt. Die Nichte des Verlegers Samuel Fischer kannte praktisch jeden, der in der Berliner Kulturszene Rang und Namen hatte. Kokoschka porträtierte sie, ein verheirateter Staatsminister riskierte Kopf und Kragen für eine Affäre mit ihr, während sie Joseph von Sternberg mit Marlene Dietrich zusammenbrachte und Charlie Chaplin durchs Berliner Nachtleben lotste.
Langjährig liiert mit dem 26 Jahre älteren Bühnenautor und schwerreichen Erben einer schwäbischen Textildynastie, Karl Vollmoeller, mangelte es ihr materiell an nichts: Sie spielte Tennis, war mit Motorrad oder einem schwarzen Adler-Cabriolet unterwegs und führte bis zu ihrer Emigration 1937 "ein Jet-Set-Leben" zwischen Nizza, Venedig, St Moritz, Paris.
Mit Kurzhaarschnitt und maskuliner Kleidung war sie eine typische, wie Fotos zeigen, fabelhaft aussehende Vertreterin der androgynen "Neuen Frau". Sie liebte das Spiel mit den Geschlechterrollen, hatte Affären u.a. mit einer Carl-Sternheim-Tochter und verlobte sich mit Francesco von Mendelssohn, dem "glamour-boy" der Berliner Schwulenszene und direkten Nachfahren des Aufklärungsphilosophen.
Die Brüche werden ausgeleuchtet
Thomas Blubacher, Autor einer Doppelbiographie über Francesco und seine Schwester Eleonora sowie einer Monografie über Gustaf Gründgens ist wahrlich zuhause in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Entsprechend griffig sind die Passagen über das Berliner Kulturleben jener Epoche. Auch die Brüche im Leben Ruth Landshoffs leuchtet er aus, mit Hilfe von Tagebüchern und Briefwechseln (mit Ehemann, Familie, Freunden), die sich im bislang unzugänglichen Nachlass befunden hatten.
So schildert er, wie sie, der Liebling der jeunesse dorée, aus einer Laune zum Schreiben kam; sie begann mit Reisereportagen, flockigen Feuilletons für Ullstein-Blätter wie Die Dame, Tempo, Berliner Illustrirte Zeitung. Romane folgten, nur einer davon konnte 1933 noch veröffentlicht werden. Nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland wurde das Schreiben zur Überlebensfrage, sie wandelte sich zu einer politisch wachen Autorin, verfasste Bühnenstücke über Widerstand, Rassismus, Homophobie, mit wenig Erfolg, wie viele ihrer Kollegen. Auch das wird eindringlich beschrieben.
Leider verliert sich der Autor gern in weit verzweigten Details, bleibt oftmals allzu sachlich und bombardiert die Leser mit einer Überfülle an Namen. Dennoch ist das Buch eine lohnenswerte Lektüre. Und es macht richtig Lust, die Schriftstellerin Ruth Landshoff-Yorck kennenzulernen: die Romane einer fröhlichen Snobistin, alle fünf hintereinander weg.