Böll-Stiftung in Moskau

Arbeiten unterm Damoklesschwert

Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, auf einem Bild aus dem Jahr 2012.
Jens Siegert gibt die Leitung des Moskauer Büros der Böll-Stiftung an Johannes Voswinkel ab, der für "Die Zeit" als Russland-Korrespondent tätig war. © picture alliance / Heinrich-Böll-Stiftung / Andrea Kroth
Von Florian Kellermann · 14.07.2015
Die russische Staatswanwaltschaft kann ausländische Organisationen mittlerweile des Landes verweisen. Noch stehe die Böll-Stiftung in Moskau nicht unter Druck, sagt der scheidende Leiter, Jens Siegert. Er zieht eine enttäuschte Bilanz, will aber die Hoffnung nicht aufgeben.
Jens Siegert hat die Böll-Stiftung in Russland zu einer festen Größe gemacht. Über 500 junge Menschen haben die Sommerschule durchlaufen, die sie jährlich mitorganisiert - haben von bekannten Politologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftlern gelernt. Die Stiftung hat Projekte unter anderem zum Umweltschutz gestartet, auch zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Doch die Bilanz nach 16 Jahren fällt für Siegert bitter aus.
"Im Moment bricht uns gerade ein großer Teil unserer Arbeit weg - durch die Folgen des sogenannten NGO-Agentengesetzes, eventuell durch die Folgen des Gesetzes über unerwünschte Organisationen. Wenn ich heute gefragt werde, könnte man fast sagen, wir haben fast gar nichts erreicht, weil es ist schlechter als es Anfang der 90er Jahre war."
Zwei Gesetze machen den Stiftungen die Arbeit in Russland immer schwerer. Das Anfang 2013 beschlossene Agentengesetz belastet die Zusammenarbeit mit russischen Nicht-Regierungsorganisationen. Diese sollen sich heute als ausländische Agenten registrieren lassen, wenn sie Geld aus dem Ausland annehmen. Die allerwenigsten wollen diesen Schritt gehen: Sie betrachten die Bezeichnung "Agent" als diffamierend und falsch.
Und noch ein restriktiv-autoritäres Gesetz
Die Stiftungen hätten andere Wege gefunden, mit den russischen Organisationen zusammenzuarbeiten, so Siegert. Doch vor knapp zwei Monaten kam der nächste Schlag, das nächste restriktive Gesetz trat in Kraft. Die Staatsanwaltschaft kann künftig ausländische Organisationen für unerwünscht erklären, wenn sie die Sicherheit des Landes bedrohen. Vor wenigen Tagen legte der Föderationsrat, das Oberhaus des Parlaments, eine erste Liste mit solchen Organisationen vor - als Vorschlag. Deutsche Organisationen sind nicht dabei - ob das so bleibt, wisse niemand, sagt Jens Siegert.
"Das ist eine Frage der politischen Opportunität. Wenn die russische Führung zu dem Schluss kommt, dass der eingeschlagene konfrontative Weg mit dem Westen nun auch die EU und insbesondere Deutschland stärker treffen soll als bisher, dann werden sie das machen. Im Moment scheinen wir eher in einer Phase zu sein, wo versucht wird, einen neuen Modus vivendi von der russischen Seite zu finden. So nach dem Motto: Die Krim ist unser, jetzt lass uns mal über die Ukraine reden, vielleicht kriegen wir so eine Art neutralen Status hin. Das würde die russische Seite gerne haben, und dazu braucht man einen Gesprächspartner, und als Haupt-Gesprächspartner dafür wird Deutschland gesehen. Das ist etwas, was uns im Moment schützt."
Eine ausländische Organisation, die für unerwünscht erklärt wird, muss Russland verlassen.
Insofern hängt ein Damoklesschwert über den Moskauer Vertretungen der deutschen Stiftungen. Ein schweres Erbe also, das der künftige Leiter des Böll-Büros in Russland antritt. Johannes Voswinkel war langjähriger Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" in Moskau. Die Böll-Stiftung werde sich den Mund nicht verbieten lassen, verspricht er. Trotzdem müsse sie über neue Themen nachdenken, um die Menschen weiterhin zu erreichen.
"Das könnte, um ein Beispiel zu nennen, aus dem Umwelt-Bereich, Ökologie, das Thema Energie-Effizienz sein. Auf der einen Seite sind Umwelt-Organisationen in Russland einem heftigen Druck ausgesetzt. Auf der anderen Seite stellen manche fest, dass dann doch wieder an bestimmten Orten ein großes Interesse daran besteht, mehr Know-how zu bekommen über Energieeffizienz, über lokale Maßnahmen zur Energieeinsparung etc. Da gibt es vielleicht auch Ansatzpunkte, und da gibt es auch häufig Menschen, die aktiv werden wollen, solange man sie nicht zu sehr verschreckt."
Dem Westen werden pauschal böse Absichten unterstellt
Mehr Fingerspitzengefühl also wird in Zukunft gefragt sein - nicht nur im Umgang mit den Mächtigen, sondern mit allen Bürgern. Denn die staatliche Propaganda geht an der Gesellschaft nicht spurlos vorbei. Sie unterstellt dem Westen pauschal und insbesondere den Nicht-Regierungsorganisationen böse Absichten in Russland.
Das glauben viele Menschen. Trotzdem will der noch amtierende Büro-Leiter Siegert nicht nur schwarz malen. Die Gesellschaft habe sich entwickelt in den vergangenen 15, 20 Jahren, sagt er. Viele Menschen hofften nicht mehr nur auf den Staat und einen guten Zar. Sie seien überzeugt, dass sie ihr Schicksal selber in die Hand nehmen und für ihre Interessen eintreten können.
"Ich bin überzeugt davon, dass diese Auffassung in Russland heute wesentlich weiter verbreitet ist, als das vielleicht im Moment auf den ersten Blick zu sehen ist. Zumindest kann ich das behaupten für die große Gruppe von Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Und ich glaube, das lässt sich auch durch die repressiven Maßnahmen, die wir in den letzten Jahren sehen, nicht mehr so einfach zurückdrehen. Das, würde ich sagen, ist unser größter Erfolg."
Zum Blog von Jens Siegert - dem Russland-Blog
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