Bob Dylan, Rolling Stones, Neil Young

Die einstigen Protestler scheffeln jetzt Geld

Eine Leuchtreklame mit typischen Rolling Stones Logo einer rausgestreckten Zunge und dem Schrift der Band flankiert von zwei Champagner-Flaschen.
Das Retro- und Erinnerungsgeschäft mit der Popkultur boomt. Davon profitieren nicht zuletzt die Boomer der Rolling Stones. © imago / Mavericks
Überlegungen von Sonja Eismann · 25.01.2022
Songs von Bob Dylan, Neil Young und den Rolling Stones waren der Soundtrack für Protest- und Bürgerbewegungen. Inzwischen verkaufen die Stars ihre Musikrechte für viel Geld an Konzerne: Die einst rebellische Musik gilt als krisensicheres Investment.
In England gibt es ein neues Produkt der Rolling Stones: kein Musikalbum, sondern eher etwas für eine andere Art von Album. Die Royal Mail gibt eine umfassende Briefmarken-Sonderedition anlässlich des 60. Bandgeburtstags heraus. David Bowie wurde hierzulande zu seinem 75. Geburtstag ähnlich geehrt: Seit Anfang des Jahres ist er für 85 Cent auf einer Briefmarke der Deutschen Post zu haben.
Das Retro- und Erinnerungsgeschäft mit der Popkultur boomt. Apropos: Kurz nach seinem Tod vor sechs Jahren wurde Bowie in einem Nachruf ein „leading edge boomer“ genannt. Damals sollte das wohl ein Zeichen von Ehrerbietung sein.
Heute wäre es wohl eher eine Beleidigung. Auch seine Fans würden sich aktuell wahrscheinlich nicht mehr liebevoll selbst „Bowie’s Baby Boomers“ nennen. Denn die Generation der zwischen 1946 und 1964 Geborenen ist zwischenzeitlich ordentlich in Misskredit geraten.

Der Ich-Gestus der Boomer ist überholt

Davon zeugen nicht nur zahllose Internet-Memes rund um den lakonischen Ausspruch „OK Boomer“, sondern auch handfeste Auseinandersetzungen zu Klimaerwärmung, Identitätspolitik oder digitale Medien. Bemerkenswert dabei ist vor allem, dass die üblichen Mechanismen des Streits zwischen Alt und Jung gleichzeitig außer Kraft gesetzt und doch fortzuwirken scheinen.
Denn während die Generation Boomer sich im Glanz ihres 68er-Erbes sonnt und sich dabei immer noch rebellisch fühlt, geht sie mitunter autoritär und unsolidarisch mit der von ihr „Generation Snowflake“ benannten Jugend um.
Eigenschaften wie Kompromisslosigkeit, Selbstverwirklichung oder Selbstdarstellung mögen in der Blütezeit der Boomer als Gipfel des künstlerischen Konventionenbruchs gegolten haben – im Zeitalter der neoliberalen Ausbeutungs- und Verwertungslogiken haben sie für die Jüngeren einen deutlich negativen Beigeschmack bekommen.

Alternde Rockstars setzen aufs Steuersparen

Neben den Briefmarkeneditionen, die die detailverliebte Sammelwut von Philatelisten und Retromusikfans auf fast parodistische Weise zu parallelisieren scheinen, sind alternde Rockstars in den letzten Jahren aber vor allem durch eins in die Schlagzeilen geraten: den Verkauf ihrer Songrechte für astronomische Summen.
So war zum Beispiel Bowies kompletter Songkatalog dem Label Warner Music Anfang des Jahres 250 Millionen Dollar wert. Auch andere gealterte Poplegenden wie Bob Dylan, Neil Young oder Bruce Springsteen haben ihre Songrechte für unfassbare Beträge an große Firmen verhökert.
Durch diesen einmaligen Deal konnten sie sich Millionen an lästigen Steuern sparen, die durch eine von Joe Biden angekündigte Reform sicherlich bald fällig geworden wären. Doch diese Transaktionen zeigen auch, wie sehr Popkultur im Retrogewand zum musealen Staubfänger geworden ist.
Und wie mutlos das Festhalten an Altbekanntem wirkt, das früher rebellisch gewesen sein mag, heute aber der Konservierung eines dominanten Geschmacks, sowie der Gewinnmaximierung dient.

Boomer-Musikrechte gelten als krisenfeste Anlage

Denn Musik gilt Major Labels oder Unternehmen wie Hipgnosis, die ganze Songkataloge explizit als Anlagestrategie aufkaufen, mittlerweile primär als krisensicheres Investment. Das Bedürfnis nach Musik, so die Strategie, sei im Gegensatz zum nervösen Technologiemarkt schwankungsresistent. In neue, unbekannte Artists zu investieren, gilt in der Branche dagegen als wirtschaftlich unklug, wo doch etablierte Acts 70 Prozent des Streamingvolumens ausmachen.

So werden die Stones, Dylan, Young und Bowie als „Marke“ mit Songzeilen wie „Ain't singing for Pepsi, ain't singing for Coke” zu „Finanzinstrumenten“ für erfolgreiche Boomer-Investor:innen, die damit ihren zehnfachen Vermögensvorsprung vor den Millennials noch mal ausbauen können – während sich die Generationen Y, Z und A ja immerhin eine Briefmarke kaufen können. Für ein paar Cent.

Sonja Eismann ist Mitbegründerin und -herausgeberin des „Missy Magazine“ und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt, referiert und unterrichtet zu Themen rund um Feminismus und Popkultur. Zuletzt gab sie im März 2019 gemeinsam mit „Missy“-Chefredakteurin Anna Mayrhauser die Literaturanthologie „Freie Stücke. 15 Geschichten über Selbstbestimmung“ heraus.

Porträt von Sonja Eismann
© Katja Ruge
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