Blogging-Plattform Tumblr

Niedergang eines Giganten

05:49 Minuten
Auf Smartphone sind Apps "facebook", "whats app", "instagram", "Twitter", "Tumblr", "Snapchat" und "Messenger" zu sehen.
Die Zeiten, in denen Tumblr standardmäßig neben Facebook, Instagram und Twitter auftauchte, sind vorbei © dpa/Britta Pedersen
Von Hagen Terschüren · 17.08.2019
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Tumblr galt als eines der wichtigsten Social Networks. 2013 wurde es für 1,1 Milliarden US-Dollar an Yahoo verkauft. Jetzt wechselte das soziale Netzwerk den Besitzer – anscheinend für nur wenige Millionen US-Dollar. Das Netz ist voller Häme.
Tumblr, das ist eine Mischung aus Blogging-Plattform und Social Network, die nicht nur sehr viele Menschen, sondern auch das Internet an sich geprägt hat. Zu Hochzeiten wurde die Plattform für über eine Milliarde Dollar an Yahoo verkauft, wo man anscheinend überhaupt nicht wusste, was man mit Tumblr überhaupt wollte. Und so begann die Seite nach und nach an Relevanz zu verlieren, bis sie diese Woche wieder in die Schlagzeilen kam: Denn jetzt wurde Tumblr von Automattic, der Firma hinter Wordpress übernommen. Laut Gerüchten für nicht einmal 3 Millionen US-Dollar.
Als die Meldung über den Kaufpreis durch das Netz ging, war vor allem Häme zu sehen. Buzzfeed hat eine Liste von New Yorker Wohnungen, die teurer als Tumblr waren, veröffentlicht. Twitter überschlägt sich mit Memes und allgemein scheinen sich alle darüber zu freuen, dass die bisherigen Tumblr-Besitzer sehr viel Geld verloren haben.

Ein Ort der Selbstfindung für Teenager

Doch hinter den Witzen merkt man auch den Schmerz, den die Community verspürt. Denn als Tumblr 2013 damals für 1,1 Milliarden Dollar gekauft wurde, versprach Yahoo noch: Wir werden es auf keinen Fall vermasseln. Ein Versprechen, das nicht gehalten wurde. Um zu verstehen, wie sich das für die User angefühlt hat, muss man wissen, wie wichtig Tumblr für die Selbstfindung vieler Teenager war. Das beschreibt auch die Geschichte von Cin, die von vielen geteilt wird:
"Ich habe wahnsinnig viel Bildung mitgenommen von Tumblr in meiner Teenagerzeit. Im Sinne von: Aktivismus, verschiedenen Lebensrealitäten, Dokumentationen über das Leben von anderen Menschen und auch unglaublich viel von der queeren Community. Was man vielleicht in irgendwelchen Büchern oder wissenschaftlichen Texten gar nicht liest, sondern sehr nah an den Menschen dran ist, was sie erleben und wie sie ihr Leben im Internet darstellen."
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Tumblr ein Ort wurde, wo viele junge Leute die eigene Identität erkunden konnten. Denn die Plattform wurde von Grund auf als Ort gestaltet, der zu positiven Erlebnissen führt. Es gibt keine downvotes wie auf Reddit und noch wichtiger: Es gibt keine Kommentare, sondern nur Reblogs, wo man Beiträge mit eigenen Anmerkungen auf seinem eigenen Tumblr teilen kann.
Diese relativ geschützte Atmosphäre und Anonymität hat die Plattform zu einem Ort gemacht, wo sich vor allem junge, queere Menschen über ihr Leben und ihre Erfahrungen austauschen konnten.

Gerade die Queer-Community hat vor Tumblr profitiert

"Tumblr hat eine Möglichkeit gegeben, ab von unseren gesellschaftlichen Normen oder wie wir Körper in unserem täglichen Leben im Film, im Fernsehen oder auch auf Werbeflächen sehen, anders darzustellen. Und dementsprechend habe ich halt auch sehr viel mehr gesehen, wie Körper wirklich tatsächlich im Leben aussehen – ohne Airbrush oder ein bestimmtes Gewicht. Und Leute konnten selber bestimmen, wie sie Haut zeigen, was für Körper sie zeigen und dementsprechend ist es, glaube ich, eben nicht nur Porno, sondern eben auch Kunst und die Darstellung von echten Leben und echten Körpern."
Womit Cin zu dem Punkt kommt, an dem Tumblr in den Augen vieler "vermasselt" wurde: Am 17. Dezember 2018 kam das Verbot von Pornografie auf der Seite. Und auch wenn es erstmal harmlos klingt, weil es schließlich noch genug andere Orte mit Pornos im Netz gibt, hat Tumblr dadurch innerhalb von drei Monaten 30 Prozent seiner User verloren. Einerseits, weil der Filter nicht funktioniert und wild alles mögliche geblockt hat, nur weil es irgendwie hautfarben aussah, andererseits, weil auch die durchaus vorhandene explizite Pornografie nicht einfach nur dem Aufgeilen diente. Es war eben ein Ort für junge Menschen im Selbstfindungsprozess, zudem auch das Erfahren der sexuellen Identität gehört. Etwas, wovon in den Augen des Tumblr-Users Teal wieder gerade die Queer-Community profitiert hat.
"Was sich da in dem ganzen Kontext auch rausgebildet hat, war eine Identitätsfindung. Und jetzt kann man irgendwie Furrys alle albern finden, wie man will, aber da kam halt auch so viel anderes mit raus für queere Menschen, inter Menschen, trans Menschen, um einfach neue Kategorien zu schaffen, neue Worte zu finden, da hat Tumblr, finde ich, auch einfach einen superwichtigen gesellschaftlichen Dienst geleistet."

Die neuen Besitzer haben einen sehr guten Ruf

Das heißt allerdings nicht, dass Tumblr komplett tot ist. Immer noch tummelt sich hier eine aktive Community von gerade jungen Menschen, die dort Fanfiction, Memes und tagebuchähnliche Posts teilt und Hilfe bei der Selbstfindung erfährt.
Etwas, das auch Matthew Mullenweg, CEO von Automattic und neuer Besitzer von Tumblr erkennt. Ein Beispiel, das er nennt, ist die Monetarisierung der Seite, die bisher nur Verluste einfährt. Bisher gibt es auf der Plattform nur generische Werbung. Stattdessen sieht Mullenweg großes Potenzial in den Tumblr-Communitys selbst. Denn schon jetzt verkaufen die User in der Kunst-Bubble zum Beispiel Auftragsportraits. Andere Leute bezahlen Geld für Fanfiction mit ihren Lieblingscharakteren.
Doch weil Tumblr keine Tools dafür bietet, findet der Verkaufsprozess bisher über andere Plattformen statt. Um das zu ändern und selbst Geld zu verdienen, überlegt Automattic als eine Monetarisierungsoption jetzt Shop-Funktionen in Tumblr zu integrieren. Ein Zeichen dafür, dass die neuen Besitzer die Bedürfnisse der User verstehen und gemeinsam an einer Zukunft für die Plattform arbeiten wollen.
"Ich würde sagen: Guckt einfach in die Geschichte von Automattic. Wir haben eine gute Erfolgsbilanz, was solche Sachen angeht – inklusive einem Haufen Vertrauen von der Open-Source-Community, die normalerweise auch sehr skeptisch ist, was den Einfluss von Firmen angeht."
Mullenweg ist also sicher, gemeinsam mit der Community Tumblr retten zu können. Und seine Argumente scheinen auch bei den Usern anzukommen. Zumindest Cin und Teal sagen, dass sie mit dem neuen Besitzer tatsächlich noch eine Chance für Tumblr sehen.
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