Blixa Bargeld beschallt den Flughafen Tegel

Im utopischen Flug nach Nirgendheim

11:57 Minuten
Blixa Bargeld steht in nachdenklicher Pose mit Blick nach oben am Mikro
Blixa Bargeld, hier in einer Aufnahme von 2018. Für den Flughafen Tegel hat er aus Alarmsignalen ein Orchester zusammengestellt. © picture alliance /Photoshot/Gonzales Photo/Christian Hjorth
Blixa Bargeld im Gespräch mit Christine Watty · 20.08.2021
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Bevor der Berliner Flughafen Tegel endgültig einem neuen Stadtviertel weicht, findet hier das Klangkunstfestival "Sonambiente" statt. Blixa Bargeld lässt in seiner Komposition unter anderem den Philosophen Ernst Bloch abheben.
Schnell erreichbar, kurze Wege und dann diese futuristisch anmutende Architektur: Insbesondere die Westberliner liebten ihren Flughafen Tegel. Zu Mauerzeiten war er für sie das Tor zur weiten Welt.
Für Blixa Bargeld war er einer der schönsten Flughäfen der Welt. Der Sänger der Berliner Band Einstürzende Neubauten muss es wissen: "Ich verbringe sehr viel Zeit in Flugzeugen und Flughäfen. Der Beruf des fahrenden Musikers ist ein sitzender Beruf." Den Tegel-Architekten gelang damals ein ästhetischer Coup: Alles "war durchgestaltet, vom Waschbecken bis zum Sitzmöbel über den Fußboden."
Doch Tegel ist Geschichte. 2020 ging der letzte Flug. In naher Zukunft soll hier ein Hi-Tech-Stadtviertel enstehen.
Derzeit dient das Gelände als Impfzentrum – und jetzt auch als Ort für Kunst und Kultur: Vom 20. August 2021 bis zum 5. September findet hier das Klangkunstfestival Sonambiente statt. Ein Gespräch mit Matthias Osterwold, einem der Kuratoren, hören Sie hier [AUDIO] .

Aus Liebe zum braunen Klinkerstein

In den leeren Terminals und Gates gibt es Arbeiten von Emeka Ogboh, Susan Philipsz und Blixa Bargeld zu hören. Damit stehen sie in bester Tradition: Brian Enos "Music for Airports" (1978) ist eines der stilbildenden Alben der Ambient Music.
Geht es dabei auch um den melancholischen Abschied von einer Berliner Institution? "So bin ich da nicht rangegangen", sagt Blixa Bargeld. Das Hexagon im Terminal A des Flughafens zu beschallen, war ihm aber Herzenssache, verrät er: Insbesondere an den Originalfußboden aus braunem Klinkerstein hatte er einst sein Herz verloren.

Sonambiente Berlin TXL [AUDIO] - hören Sie hier die Radiofassungen der Klangkunstarbeiten von Blixa Bargeld, Emeka Ogboh und Susan Philipsz. Die Lautsprecheranlage des stillgelegten Flughafens Berlin Tegel wird zum Instrument. Kurz vor dem Umbau des Gebäudes entstehen Klangkunst-Arbeiten für einen Ort des Übergangs. Weitere Informationen zu den Arbeiten finden Sie hier.

"Ich habe da mit utopischen Ideen gespielt und Ansagen geschrieben", erzählt der Berliner Künstler. "Im Prinzip sind das alles unmögliche Flüge: Der Interflug 68 nach Westberlin, der nie von Tegel gestartet wäre. Der wird immer wieder verlegt, am Schluss wird er gecancelt. Die Leute werden gebeten, ihr Gepäck am Gate A16 abzuholen, das es gar nicht gibt".
Historische Ansagen des Flughafens standen ihm zwar ebenfalls zur Verfügung. Diese dienten jedoch nur zur Orientierung.

Ernst Bloch, bitte zum Check-In

Auch Fluggäste werden in Bargelds Arbeit ausgerufen. Eine illustre Schar: Vermisst wird einmal der Psychoanalytiker C.G. Jung, auch der Philosoph Ernst Bloch wird ausgerufen für den Flug Utopos 00 nach Nirgendheim - "ein Witz in sich selbst", sagt Bargeld und verweist auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes "Utopie": Nicht-Ort. In Blochs Philosophie ist die Utopie ein zentrales Thema.
Die Ansagen vermengen sich schließlich mit typischen Sphärenklängen, wie sie auf Flughäfen oft vor und nach den Ansagen zu hören sind. "Irgendwann verdichtet sich das so weit, dass man das als Musik wahrnimmt."

Ein Orchester aus Alarmsignalen spielt auf

Sphärische Musik von einem, dessen Band einst berühmt damit wurde, selbst noch aus Baustellenlärm Musik zu machen? Freunde des Dissonanten und Schrillen kommen zumindest live vor Ort auf ihre Kosten: In einer "Live-Intervention" werde er auch aus dem Archiv sämtlicher für Tegel komponierter Alarmsignale schöpfen, verspricht Bargeld.
"Aus diesem Vorrat habe ich ein Orchester komponiert. Die meisten davon wurden glücklicherweise wahrscheinlich nie verwendet. Da gibt es unter anderem Alarm für Geschützangriffe, für Angriffe mit biologischen Waffen. Es haben ja Menschen daran gearbeitet, diese Signale herzustellen. Jetzt, wo der Flughafen zu ist, kann man sie ja wenigstens einmal alle abspielen."
(thg)
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