Bischof Franz-Josef Overbeck

"Du sollst nicht töten lassen"

Der katholische Bischof von Essen, Franz-Josef Overbeck
Der katholische Bischof von Essen, Franz-Josef Overbeck © dpa / picture alliance / Jan-Philipp Strobel
Moderation: Kirsten Dietrich · 16.11.2014
Das Friedenspotenzial von Religion sei grundsätzlich größer als das Gewaltpotenzial, meint der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck. Die Gewalt der Terror-Miliz "Islamischer Staat" könne allerdings nur mit Gewalt beendet werden.
Kirsten Dietrich: ... Religion, die wird immer öfter zusammen betrachtet mit Fanatismus, Krieg und Gewalt. Nicht erst seit der Schreckensherrschaft der Gruppe Islamischer Staat in Irak und Syrien, aber seitdem eben besonders. Welches Eingreifen von außen sinnvoll und nötig ist, wird heftig diskutiert. Und auch die Frage, welche Rolle die Religion im Konflikt spielt, steht seitdem ganz neu auf der Tagesordnung. Zu einer Diskussion über Krieg und Gewalt im Namen der Religion hat der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck in dieser Woche eingeladen.
Overbeck hat in diesen Fragen durchaus klare Positionen: Der ehemaligen protestantischen Ratsvorsitzenden Margot Käßmann warf er Lifestile-Pazifismus vor, als diese sich vor einigen Monaten leidenschaftlich gegen Militäreinsätze aussprach. Ich wollte vom katholischen Militärbischof wissen, warum eigentlich zurzeit hinter einem Veranstaltungstitel kein Fragezeichen mehr steht, die Verbindung von Religion und Gewalt also fraglos erscheint!
Franz-Josef Overbeck: Es kann so sein, und was sein kann, wird immer irgendwann auch Wirklichkeit. Und das gilt eben dafür, dass keine Religion aus sich heraus gewalttätig ist, aber dass die Umstände, unter denen Religion gelebt wird, auch Gewalttätigkeit hervorbringen. Das Friedenspotenzial von Religion ist immer größer als das Gewaltpotenzial. Aber überall da, wo die Religion nicht von ihrem Wesen her gelebt wird – das Wesen ist immer friedfertig –, ist das Potenzial, Gewalt anzuwenden oder gewalttätig zu werden, leider Gottes groß. Und das kann man in der Geschichte an vielen Religionen sehen.
Dietrich: Wie kommt es, dass man im Moment vor allen Dingen das Gewaltpotenzial der Religion wahrnimmt? Also an dem im Moment wahrscheinlich deutlichsten Beispiel, die Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat in Syrien und Irak?
Overbeck: Innerhalb der Geschichte kann man ein solches gewalttätiges Lied leider Gottes auch singen müssen vom Christentum, in vielfacherer Weise. Momentan in ist die historische Situation der Auseinandersetzung im Mittleren Osten halt die, dass man in einer gewissen Form von Islam sehen kann, dass er mit äußerster Gewalt auftritt. Das ist so selbstredend, dafür braucht es keine Diskussion.
"Das Christentum ist eine absolut gewaltfreie Religion"
Dietrich: Das Argument zu sagen, dann wird Religion nicht richtig wahrheitsgemäß oder ihrem Wesen gemäß gelebt, wenn es gewalttätig wird, zieht man sich damit nicht ein bisschen schnell aus der Affäre? Also, die religiösen Gründe, die da angeführt werden, die muss man doch auch irgendwie auch erst mal ernst nehmen, oder?
Overbeck: Erst mal geht es immer um das Wesen einer Religion, das zu unterscheiden, von der Art und Weise, wie diese Religion dann übersetzt wird in ganz konkrete Umstände und auch Lebensweisen. Das heißt, es ist immer auch der Kontext, in dem Religion gelebt wird, zu bedenken. Das Christentum gerade auch von Jesus selbst her ist eine absolut gewaltfreie Religion, also eine Rückbindung an Gott, auch der Islam ist von seinem Wesen her, und die allermeisten Gläubigen des Islam – so nehme ich sie wahr – leben diese Religion gewaltfrei. Eben eine Religion, die sagt, dass der Mensch und seine Freiheit zu achten ist.
Das Zweite ist, Religion, überall wo sie auftritt, provoziert die Frage nach der Wahrheit. Und mit der Frage nach der Wahrheit sind Lebenskonzepte, Lebensumstände und auch Lebenshaltungen betroffen, die wiederum erzeugen dann immer wieder eine Konkurrenz und den Konflikt. Insofern ist ganz schnell religiöse Überzeugung ideologisch und fördert all das, was möglicherweise mit Gewalt zusammenhängt, aber nicht zusammenhängen muss. Unter den politischen Bedingungen, unter den Kontextbedingungen, die wir momentan erleben, ist das eines der großen auch nicht nur allein zu bedauernden, sondern auch, soweit wir es können, zu verhindernden Ausdrücken von Religion, nämlich gewalttätig zu werden.
Dietrich: Welche Rolle spielt der aktuelle Konflikt um den Islamischen Staat und sein Handeln? Ist das so diese Wendemarke, als die sie oft wahrgenommen wird, dass man jetzt noch mal das Verhältnis zu militärischer Gewalt anders bedenken muss?
"Hier geht es um eine politische Frage"
Overbeck: Es ist ein Konflikt, der noch einmal deutlich zeigt, dass sich der Islam neu zur Moderne verhält, da all diejenigen, die dort kämpfen, Konzepte im Blick haben, die zeigen sollen, dass der Islam eine Kraft hat in der modernen Welt. Das ist die eine Perspektive, die zu bedenken ist. Die andere Perspektive, die zu bedenken ist, wie ist mit einer solchen Form von Gewalt umzugehen: In dem, was wir da momentan erleben im Irak und in Syrien, ist so deutlich, dass das gegen grundsätzliche Menschenrechte ist, dass die Ziele durchaus auch bedeuten können, Gegner zu vernichten, wie wir ja sehen, dass man dort klar sagen muss, hier scheint eine gewaltbereite Form von Überzeugung nur die Sprache der Gewalt zu verstehen, damit diese Form der Gewaltausübung ein Ende nimmt.
Und das bedeutet, dass hier, wenn Sie gerade das Wort des Militärischen ansprechen, eben zu fragen ist: Wo muss denn hier Gewalt möglicherweise angewandt werden nach klaren dem Recht entsprechenden Vorgehensweisen, damit dieser Gewalt ein Ende bereitet wird?
Mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates hissen die Flagge der Miliz auf einem Hügel bei Kobane in Syrien.
Mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates hissen die Flagge der Miliz auf einem Hügel bei Kobane in Syrien.© AFP / Aris Messinis
Dietrich: Wenn Sie als katholischer Militärbischof dann Waffenlieferungen in solch einem Fall befürworten, entspricht das dann der Realisierung des Friedenspotenzials der Religion, in dem Fall der christlichen Religion?
Overbeck: Hier geht es um eine politische Frage und um das kritische Potenzial des Christentums, das immer zuerst darauf aus ist, mit friedlichen Mitteln Konflikte zu beenden und auch Wege zum Frieden zu finden. Wie wir in diesem, aber auch in manchem anderem Fall sehen, gibt es nicht immer diese Möglichkeit. Und dann entsteht die Frage, wie ist da zu handeln? Da die Menschen ein Recht haben auf Unversehrtheit von Leib und Seele und Geist, und wenn sie nicht selbst imstande sind, für diese Unversehrtheit zu sorgen, gilt nicht nur das Gebot "Du sollst nicht töten", sondern auch "Du sollst nicht töten lassen".
Und dann ist im Rahmen eines politischen Abwägungsprozesses, der jetzt nicht erst mal die Christen und auch den Bischof betreffen, zu entscheiden, welche Mittel sind dafür zu gebrauchen? Dass diese Mittel immer hoffentlich angemessen sind und – man bedenke das Ende von allen Handlungen – nicht dazu führen, dass es zu noch schlimmeren Konflikten kommt, ist in einer solchen immer wieder mit Schuld behafteten Situation das Dilemma, aus dem keiner herauskommt, der eine Entscheidung zu treffen hat.
Dietrich: Das heißt, Pazifismus ist im Moment dann nicht das Gebot der Stunde?
"Jeder Mensch braucht Religion"
Overbeck: Angesichts der unglaublichen Zahlen von Opfern kann ich dieses Wort dann nicht benennen als Lösungsmöglichkeit für einen solchen radikalen Konflikt.
Dietrich: Wie sehen Sie die künftige Entwicklung? Wie kann das weitergehen, wer erteilt Mandate, um zum Beispiel in solchen Konflikten einzugreifen? Also, wie kann man militärisches Handeln gemäß christlicher Grundsätze vielleicht neu formieren?
Overbeck: Hier geht es nicht um militärisches Handeln gemäß christlicher Grundsätze, hier geht es um internationales Recht, das anzuwenden ist. Und warum es Gott sei Dank in der Weltgemeinschaft die Vereinigten Nationen gibt mit entsprechenden Möglichkeiten, zu Entscheidungen zu kommen, die rechtlich abgesichert sind, wenn sogenannte Intervention stattfinden kann. Die muss aber als sogenannte Responsability to Protect, also als eine Schutzverantwortung wahrgenommen werden im Blick auf die Konsequenzen aus einem solchen unsäglichen Konflikt mit so unglaublichen Opfern.
Dietrich: Wofür brauchen Soldaten Religion?
Overbeck: Jeder Mensch braucht Religion, davon bin ich als Christ überzeugt. Und wenn Menschen anderer Überzeugung sind, dann mögen sie das natürlich auch frei leben. Und ich erlebe viele Soldaten und Soldatinnen, dass sie in ihren Gewissensentscheidungen – ich spreche jetzt vom Christentum – die Rolle der Kirche, das heißt den Rat einer Religionsgemeinschaft mit 2000-jähriger Erfahrung sehr wertschätzen und gleichzeitig daraus Kraft und Trost schöpfen für ihre eigene Aufgabe, für die eigenen Grenzen, aber auch für die eigenen Herausforderungen, die sie zu bestehen haben.
Dietrich: Krieg und Gewalt im Namen der Religion. Ich sprach mit dem katholischen Militärbischof Franz-Josef Overbeck.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema