Biografie eines großen Journalisten
"Leben eines Grenzgängers" von Paul Lendvai ist die spannende Biografie eines großen Journalisten, der vor allem Entwicklungen in Ost- und Südosteuropa analysierte. Vor allem mit dem ungarischen Kommunismus ging er hart ins Gericht.
Der ungarische Originaltitel heißt "Drei Leben". Paul Lendvai datiert diese Phasen zunächst in die Zeit bis 1957, als der 1929 geborene Publizist in Budapest lebte. Dann nach seiner Flucht folgten 40 Jahre in Wien. Und schließlich die jetzige Zeit, in welcher er vor allem zwischen Wien und Budapest hin- und herpendelt.
Und, so lässt er den Leser schon im Vorwort wissen, dieses dritte Leben stehe auch im Kampf gegen Bosheit, Hass und Dummheit und habe ihn zu diesem Interviewbuch mit der prominenten ungarischen Publizistin Zsofia Mihancsik angeregt.
Herausgekommen ist die äußerst spannende und abwechslungsreiche Biografie eines großen Journalisten, der zeitlebens für nationale und internationale Blätter und Agenturen geschrieben hat und weiterhin schreibt, zudem beim österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF verantwortliche Führungspositionen innehatte und mit Sachkunde vor allem Entwicklungen in Ost- und Südosteuropa analysierte, kritisierte und bisweilen auch, wie er einmal sagt, aus persönlicher Betroffenheit wertete.
Ein publizistischer Zeitzeuge also, der als eingefleischter Sozialdemokrat und Europäer sich von nichts und niemand das Reden oder Schreiben verbieten ließ, was ihm ein schwieriges aber umso interessanteres Leben bescherte.
Vor allem mit dem ungarischen Kommunismus unter Kadar geht Lendvai, der nach dem Ungarnaufstand von 1956 anno 1957 nach Österreich floh, hart ins Gericht; immerhin hatte er Anfang der Fünfzigerjahre drei Jahre wegen Regimekritik im Gefängnis gesessen.
""Ich zog gleich Konsequenzen, habe tabula rasa gemacht, anders als diejenigen, die in Ungarn geblieben sind, die Lehren ihres früheren Lebens für sich aufgearbeitet haben und auf ihre Weise gegen die fehlende Freiheit im Kadar-Regime kämpften.
Ich bin außer Landes gegangen, und habe mich in Wien nicht damit beschäftigt, wann ich bei mir erste Anzeichen des Zweifels entdeckt haben könnte. Ich versuchte, mich in meinem Metier zu behaupten und auf meine Weise, nämlich mit journalistischen Mitteln, dem Westen zu erklären, was für ein Regime in Ost-Mitteleuropa herrschte.""
Eine wahrhaft mahnende Stimme, die über Jahrzehnte auch dazu beitrug, dass der im Westen so verharmlosende Begriff des ungarischen "Gulaschkommunismus" mit latenten Freiheiten nicht missverstanden wurde.
In Österreich fand Lendvai all die Freiheiten, die er in Ungarn vermisst hatte, machte schnell eine beachtliche Medien-Karriere. Und schloss Freundschaften zu hochgestellten Persönlichkeiten und Politikern wie etwa Bruno Kreisky, dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler. Kreisky ermöglichte ihm auch als Begleiter die Wiedereinreise nach Ungarn anno 1964:
""Damals war ich auch beim Kongress der patriotischen Volksfront, wo unter anderem Kadar sprach. Merkwürdigerweise war ich lange Zeit der Meinung, dass man mich deshalb nicht nach Ungarn einreisen ließ, weil ich in meinen Artikeln wirklich umfassend darüber berichtete, wo das Regime seine Grenzen hatte und wie weit es bei der Gewährung kleiner Freiheiten gehen durfte, ohne die Sowjetunion zu verstimmen.
Ich bin immer davon ausgegangen, dass dem Kadar-Regime das Optimum des unter sowjetischer Besatzung in Mitteleuropa erreichbaren gelang. Dieser Meinung bin ich noch heute. Das versuchte ich auch im Westen klarzumachen, wobei ich natürlich auch nicht verschwieg, dass es sich trotz kleiner Freiheiten in Ungarn immer noch um eine Diktatur handelte.
Später stellte sich dann heraus, dass nicht meine Berichte die Ursache meiner Aussperrung gewesen waren, sondern dass mich die Ostblockstaaten auf ungarische Initiative hin auf ihre gemeinsame schwarze Liste gesetzt hatten.""
Mit großer Sorge beobachtete der Sohn jüdischer Eltern später in Österreich, wo er sich wirklich frei und wohl fühlte, den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg des rechtsradikalen Rassisten Jörg Haider und dessen Freiheitliche Partei Österreich. Paul Lendvai, der in der neutralen Alpenrepublik den Begriff Freiheit kennen und schätzen gelernt hatte, sah schon im Parteinamen eine unerträgliche Perversion des Freiheitsbegriffs.
Trotz seiner Gegnerschaft zu Haider verteidigte er den damaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gegen die massive Kritik aus der europäischen Gemeinschaft wegen dessen Koalition mit den so genannten Freiheitlichen:
""Ich habe damals Schüssel gegen die Angriffe aus Europa in Schutz genommen, nicht nur weil ich sie für nicht gerechtfertigt und für kontraproduktiv hielt, sondern auch, weil Haider gar nicht ins Kabinett kam und weil der Kanzler mit der Rechtsaußenpartei keine Kompromisse einging.
Im Ausland wissen viele bis heute nicht, dass es Wolfgang Schüssel war, der die überfälligen Entschädigungszahlungen für ausländische Zwangsarbeiter und für jüdische Opfer durchgesetzt und sogar die Zustimmung der FPÖ erzwungen hat.""
Hart ins Gericht geht Lendvai indessen mit der augenblicklichen ungarischen Regierung unter Viktor Orban, die in den letzten Monaten wesentliche demokratische Grundrechte außer Kraft gesetzt hat. Zudem wirft er der rechts-nationalistischen Machthaber in Budapest einen latenten Antisemitismus vor.
""Ich glaube nicht dran, dass man dem Antisemitismus oder irgendeiner Form des Rassismus in einer wehrlosen Gesellschaft nur dadurch Einhalt gebieten kann, dass ein paar Intellektuelle ihre Stimme erheben.
Viel wichtiger wären eine beispielsgebende Haltung der an der Macht Befindlichen und durch Gesetze gewährte Handlungsspielräume. Ungarn aber befindet sich diesbezüglich in einem beklagenswerten Zustand.
Jobbik ist eine ganz offen antisemitische Partei und die Fidesz begnügt sich mit ein paar lässigen Gesten nach außen , also nach Europa hin, während sie zugleich den durch Jobbik und manchen eigenen Abgeordneten geschürten Antisemitismus und rassistische Äußerungen in schönster Kumpanei duldet, ja sogar für sich nutzt.""
Nicht zuletzt an diesen Äußerungen lässt sich ablesen, wie sehr Lendvai trotz seines mehr als 40-jährigen Exils an seiner ungarischen Heimat hängt. Es ist wahrlich das Buch eines Grenzgängers, der nicht schweigen kann und will. Eine äußerst lesenswerte Lektüre.
Und, so lässt er den Leser schon im Vorwort wissen, dieses dritte Leben stehe auch im Kampf gegen Bosheit, Hass und Dummheit und habe ihn zu diesem Interviewbuch mit der prominenten ungarischen Publizistin Zsofia Mihancsik angeregt.
Herausgekommen ist die äußerst spannende und abwechslungsreiche Biografie eines großen Journalisten, der zeitlebens für nationale und internationale Blätter und Agenturen geschrieben hat und weiterhin schreibt, zudem beim österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF verantwortliche Führungspositionen innehatte und mit Sachkunde vor allem Entwicklungen in Ost- und Südosteuropa analysierte, kritisierte und bisweilen auch, wie er einmal sagt, aus persönlicher Betroffenheit wertete.
Ein publizistischer Zeitzeuge also, der als eingefleischter Sozialdemokrat und Europäer sich von nichts und niemand das Reden oder Schreiben verbieten ließ, was ihm ein schwieriges aber umso interessanteres Leben bescherte.
Vor allem mit dem ungarischen Kommunismus unter Kadar geht Lendvai, der nach dem Ungarnaufstand von 1956 anno 1957 nach Österreich floh, hart ins Gericht; immerhin hatte er Anfang der Fünfzigerjahre drei Jahre wegen Regimekritik im Gefängnis gesessen.
""Ich zog gleich Konsequenzen, habe tabula rasa gemacht, anders als diejenigen, die in Ungarn geblieben sind, die Lehren ihres früheren Lebens für sich aufgearbeitet haben und auf ihre Weise gegen die fehlende Freiheit im Kadar-Regime kämpften.
Ich bin außer Landes gegangen, und habe mich in Wien nicht damit beschäftigt, wann ich bei mir erste Anzeichen des Zweifels entdeckt haben könnte. Ich versuchte, mich in meinem Metier zu behaupten und auf meine Weise, nämlich mit journalistischen Mitteln, dem Westen zu erklären, was für ein Regime in Ost-Mitteleuropa herrschte.""
Eine wahrhaft mahnende Stimme, die über Jahrzehnte auch dazu beitrug, dass der im Westen so verharmlosende Begriff des ungarischen "Gulaschkommunismus" mit latenten Freiheiten nicht missverstanden wurde.
In Österreich fand Lendvai all die Freiheiten, die er in Ungarn vermisst hatte, machte schnell eine beachtliche Medien-Karriere. Und schloss Freundschaften zu hochgestellten Persönlichkeiten und Politikern wie etwa Bruno Kreisky, dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler. Kreisky ermöglichte ihm auch als Begleiter die Wiedereinreise nach Ungarn anno 1964:
""Damals war ich auch beim Kongress der patriotischen Volksfront, wo unter anderem Kadar sprach. Merkwürdigerweise war ich lange Zeit der Meinung, dass man mich deshalb nicht nach Ungarn einreisen ließ, weil ich in meinen Artikeln wirklich umfassend darüber berichtete, wo das Regime seine Grenzen hatte und wie weit es bei der Gewährung kleiner Freiheiten gehen durfte, ohne die Sowjetunion zu verstimmen.
Ich bin immer davon ausgegangen, dass dem Kadar-Regime das Optimum des unter sowjetischer Besatzung in Mitteleuropa erreichbaren gelang. Dieser Meinung bin ich noch heute. Das versuchte ich auch im Westen klarzumachen, wobei ich natürlich auch nicht verschwieg, dass es sich trotz kleiner Freiheiten in Ungarn immer noch um eine Diktatur handelte.
Später stellte sich dann heraus, dass nicht meine Berichte die Ursache meiner Aussperrung gewesen waren, sondern dass mich die Ostblockstaaten auf ungarische Initiative hin auf ihre gemeinsame schwarze Liste gesetzt hatten.""
Mit großer Sorge beobachtete der Sohn jüdischer Eltern später in Österreich, wo er sich wirklich frei und wohl fühlte, den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg des rechtsradikalen Rassisten Jörg Haider und dessen Freiheitliche Partei Österreich. Paul Lendvai, der in der neutralen Alpenrepublik den Begriff Freiheit kennen und schätzen gelernt hatte, sah schon im Parteinamen eine unerträgliche Perversion des Freiheitsbegriffs.
Trotz seiner Gegnerschaft zu Haider verteidigte er den damaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gegen die massive Kritik aus der europäischen Gemeinschaft wegen dessen Koalition mit den so genannten Freiheitlichen:
""Ich habe damals Schüssel gegen die Angriffe aus Europa in Schutz genommen, nicht nur weil ich sie für nicht gerechtfertigt und für kontraproduktiv hielt, sondern auch, weil Haider gar nicht ins Kabinett kam und weil der Kanzler mit der Rechtsaußenpartei keine Kompromisse einging.
Im Ausland wissen viele bis heute nicht, dass es Wolfgang Schüssel war, der die überfälligen Entschädigungszahlungen für ausländische Zwangsarbeiter und für jüdische Opfer durchgesetzt und sogar die Zustimmung der FPÖ erzwungen hat.""
Hart ins Gericht geht Lendvai indessen mit der augenblicklichen ungarischen Regierung unter Viktor Orban, die in den letzten Monaten wesentliche demokratische Grundrechte außer Kraft gesetzt hat. Zudem wirft er der rechts-nationalistischen Machthaber in Budapest einen latenten Antisemitismus vor.
""Ich glaube nicht dran, dass man dem Antisemitismus oder irgendeiner Form des Rassismus in einer wehrlosen Gesellschaft nur dadurch Einhalt gebieten kann, dass ein paar Intellektuelle ihre Stimme erheben.
Viel wichtiger wären eine beispielsgebende Haltung der an der Macht Befindlichen und durch Gesetze gewährte Handlungsspielräume. Ungarn aber befindet sich diesbezüglich in einem beklagenswerten Zustand.
Jobbik ist eine ganz offen antisemitische Partei und die Fidesz begnügt sich mit ein paar lässigen Gesten nach außen , also nach Europa hin, während sie zugleich den durch Jobbik und manchen eigenen Abgeordneten geschürten Antisemitismus und rassistische Äußerungen in schönster Kumpanei duldet, ja sogar für sich nutzt.""
Nicht zuletzt an diesen Äußerungen lässt sich ablesen, wie sehr Lendvai trotz seines mehr als 40-jährigen Exils an seiner ungarischen Heimat hängt. Es ist wahrlich das Buch eines Grenzgängers, der nicht schweigen kann und will. Eine äußerst lesenswerte Lektüre.
Paul Lendvai: Leben eines Grenzgängers
Verlag Kremayr&Scheriau Orac Wien, 256 Seiten, 24,00 Euro
Verlag Kremayr&Scheriau Orac Wien, 256 Seiten, 24,00 Euro