Billen: Zu wenig Beratungsstellen für Verbraucher in Deutschland

Gerd Billen im Gespräch mit Marcus Pindur · 14.04.2010
Die Bundesländer investieren zu wenig Geld in den Verbraucherschutz, sagt Gerd Billen, Vorstand des Bundesverbandes Verbraucherzentrale. Er forderte auch die Wirtschaft auf, sich an der Finanzierung zu beteiligen, da sie von der Beratung profitiere. "Ich habe den Eindruck, wir sind die steuerfinanzierte Beschwerdestelle der Telekoms, 1 & 1 und Vodafones und wie sie alle heißen", so Billen.
Marcus Pindur: Herr Billen, was fragen denn die Verbraucher bei Ihnen besonders nach derzeit?

Gerd Billen: Also, die Top-Themen im Moment ist nach wie vor Abzocke am Telefon, Gewinnspiele, es sind Energietarife, Energiewechsel und großes Thema zurzeit: Krankenkassen.

Pindur: Die Daseinsvorsorge – das rückt ja immer weiter ins Blickfeld der Verbraucher –, da geht es also um Altersvorsorge, Kreditberatung, Baukredite, Baufinanzierung, Energie haben Sie schon genannt. In Zeiten der Finanzkrise liegt die Frage nahe: Wo liegt denn der Hase bei Finanzberatung im Pfeffer?

Billen: Großes Thema ist hier natürlich die private Altersvorsorge. Das Problem für viele: Ich kann gar nicht erkennen, wenn ich mir zum Beispiel eine ... mich um die Riester-Rente kümmere, wie teuer kommt die mich, weil es gibt schlicht kein geeignetes Preisschild auf den Produkten. Und gerade beim Finanzmarkt stellen wir fest, bei Riester-Renten, aber auch bei vielen anderen Produkten: Es mangelt in Deutschland schlicht an einer Finanzaufsicht, die sich um diese Verbraucherfragen kümmert.

Pindur: Die Berater bei den Banken sind ja verpflichtet mittlerweile, Protokolle ihrer Beratungsgespräche anzulegen. Ist das denn ein Fortschritt in Ihren Augen?

Billen: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber Berater sind bei der Bank in erster Linie Verkäufer, und solange es einen starken Vertriebsdruck gibt, in der Woche dieses Produkt, in der anderen Woche ein anderes Finanzprodukt an den Mann zu bringen, findet hier in der Regel eine ungenügende Beratung statt. Wir haben ja auch viele Verbraucher, die mit ihren Fragen zu uns kommen, und wir stellen fest: Man braucht doch einige Zeit, um im Gespräch mit den Verbrauchern herauszufinden: Was sind deren Anlageziele? Wie viel Geld haben sie? Wollen sie sichere Anlageprodukte oder sind sie auch bereit oder auch überhaupt in der Lage, einen bestimmten Teil des Geldes etwas risikoreicher anzulegen?

Pindur: Was raten Sie denn einem Verbraucher, der sich zum Beispiel darum kümmern will, wie er seine Altersvorsorge gestaltet? Der kommt jetzt zunächst zu Ihnen und Sie schneiden das Thema Riester-Rente an. Geht er dann danach am besten zu einem privaten Berater, der honorarpflichtig ist, und nicht zu seiner Bank?

Billen: Wenn es gut läuft, dann würde er aus einer Beratung bei einer Verbraucherzentrale mit einem Hinweis kommen: Riester-Rente ist für mich interessant, von den verschiedenen Riester-Produkten ist es vielleicht der Banksparplan, aber nicht die Lebensversicherung, und da kann er entweder zu einem Honorarberater gehen – von denen es leider in Deutschland noch nicht so sehr viele gibt –, der ihm dann hilft, ein passendes Produkt zu finden, oder er sollte "Finanztest" lesen oder sich die Ergebnisse besorgen, weil dort eben aufgelistet ist, wie die verschiedenen Anbieter für ein Produkt dann abgeschnitten haben im Test.

Pindur: Wie hat denn das Internet das Verbraucherverhalten beeinflusst, können Sie da schon Erfahrungswerte zeigen?

Billen: Es gibt zunächst sehr viele positive Auswirkungen: das Einkaufen von Büchern, das Buchen von Reisen ist sehr viel einfacher geworden, aber auch das Auffinden von Schulfreunden. Es hat also sehr viele Vorteile für die Verbraucher gebracht. Wir sehen auch die anderen Seiten: Das Internet ist ein Tummelplatz für Betrüger. Man wird mit kostenloser Software gelockt und muss am Ende teure Abos bezahlen. Es tummeln sich Anbieter, die einem Waren versprechen, die nicht geliefert werden. Und es gibt etwas ganz Neues in der virtuellen Welt, was wir sonst nicht so hatten: Unsere persönlichen Daten sind zu einer Währung geworden. Soziale Netzwerke, E-Mail-Services und andere, die für uns vordergründig kostenlos sind, sind nur deswegen kostenlos, weil wir persönliche Daten einspeisen, die dann für Werbung und für sehr gezielte Werbung dann genutzt werden. Das ist neu und das ist für uns ein ganz großes Thema geworden.

Pindur: Zum Schluss lassen Sie uns noch mal zur Verbraucherzentrale selbst kommen. Sie haben 190 Beratungsstellen derzeit in der gesamten Bundesrepublik, Sie wollen das aber aufstocken, das Programm heißt "400 plus". Was haben wir darunter zu verstehen?

Billen: Wir sehen, dass die Themen, mit denen ich mich als Verbraucher beschäftigen muss, enorm zugenommen haben. Das ist ja nicht mehr traditionell die Frage, wie gut ist die Waschmaschine, sondern: private Altersvorsorge, Gesundheitssystem, Telekommunikationsmarkt, Pflegemarkt – überall habe ich es zunehmend damit zu tun, Produkte, Leistungen zu beurteilen, Verträge abzuschließen, die ich nicht verstehe, und das merken wir aus den Rückmeldungen der Verbraucher. Aber die Infrastruktur, um Verbraucher unabhängig von Anbietern hier zu informieren, ist in Deutschland einfach schlecht. Die Bundesländer geben pro Bürger im Jahr gerade mal 50 Cent aus für den Verbraucherschutz, das ist der Wert von einem Bällchen Eis. Und es gibt große Lücken – ländliche Räume, in denen es überhaupt keine Beratungsstellen gibt, große Städte, in denen es nur eine Beratungsstelle gibt. Und bei allem, was wir übers Internet machen können, was wir übers Telefon machen können, sehen wir: Es gibt ganz viele Fälle, da brauchen die Verbraucher die Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch, um ihre Anliegen darzustellen. Deswegen sind wir für eine Ausweitung dieses Angebotes. Das kostet mehr Geld, die Beratung wird ja häufig von den Verbrauchern selbst bezahlt, aber ich meine, dass auch die Wirtschaftsbranchen, die vom Wettbewerb hier profitieren, sich an den Kosten beteiligen sollten. Im Moment sind 60 Prozent der Anfragen in den Beratungsstellen zum Thema Telekommunikationsmarkt. Ich habe den Eindruck, wir sind die steuerfinanzierte Beschwerdestelle der Telecoms und 1&1s und Vodafones und wie sie alle heißen, und ich finde, das kann nicht sein. Und deswegen, Telekommunikationsbranche oder Finanzbranche, all die, die gut an uns verdienen – und das sollen sie auch in Zukunft –, sollen sich aber auch an den Kosten beteiligen, die man für eine gute Verbraucherberatung und Information in Deutschland braucht.

Pindur: Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes. Vielen Dank für das Gespräch!

Billen: Gerne!
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