Personalmangel an Schulen

Warum Klassen mit 45 Kindern wieder denkbar sind

07:00 Minuten
Historisches Foto: Eine Schulklasse mit sehr vielen Kindern in Deutschland, ca. 1906.
Eine Schulklasse 1906 in Deutschland: Der Lernerfolg hänge Studien zufolge nicht von der Klassengröße ab, sagt Petra Buchwald. © picture alliance / imagebroker
Petra Buchwald im Gespräch mit Ute Welty · 24.06.2022
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Den Schulen fehlt bis 2030 viel Personal. Davor warnt der Nationale Bildungsbericht. Helfen könne mehr Flexibilität, sagt Bildungsexpertin Petra Buchwald. Sie denkt dabei auch an größere Klassen: Die Lage jetzt sei "extrem komfortabel".
Fehlendes pädagogisches Personal, Lernrückstände wegen der Corona-Pandemie, Chancenungleichheit bei Kindern unterschiedlicher Herkunft: Das deutsche Bildungssystem hat mit gravierenden Problemen zu kämpfen. Laut dem aktuellen Nationalen Bildungsbericht fehlen allein den Kitas in den kommenden drei Jahren bis zu 72.500 Erzieherinnen und Erzieher.
Wegen der Ganztagsbetreuung an Grundschulen rechnen die Experten laut Bericht bis 2030 mit rund 65.600 fehlenden Fachkräften. Auch rund 30.000 Lehrerinnen und Lehrer werden an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen gesucht.

Klassengröße nicht entscheidend für Bildung

Mehr Personal: Das sei eine "berechtigte Forderung", sagt die Bildungsforscherin Petra Buchwald von der Universität Wuppertal. Allerdings möchte sie "ein bisschen relativieren":

"Bemerkenswert ist, dass wir in den letzten zehn Jahren, was Personalaufstockung angeht, insgesamt an Schulen und auch an Kitas erheblich besser geworden sind in Deutschland. Ich finde, das sollte man auch einmal wertschätzen."

Sie befürchte, dass "die Ansprüche steigen und steigen mit den Gewinnen, die wir da gemacht haben", so Buchwald. Die Expertin verweist in dem Zusammenhang auf die Klassengrößen von durchschnittlich zwanzig Kindern derzeit. "Das ist extrem komfortabel", betont Buchwald. "Es gibt viele Untersuchungen, die sagen, die Klassengröße ist eigentlich für die Bildung nicht so erheblich wie man das manchmal meint."
Mehr Flexibilität angesichts von Zuwanderung und nicht absehbarer Geburtenrate mahnt die 1961 geborene Professorin an. Sie selbst erlebte in ihrer Kindheit nach eigener Darstellung fünf Parallelklassen mit jeweils 45 Kindern als Standard. "Das war kein Chaos, das lief ganz normal", sagt sie. Größere Klassen könne man eine Zeit lang akzeptieren. Assistenzen mit geringerem Bildungsabschluss könnten zudem die Lehrkräfte entlasten.

Chancenungleichheit bleibt ein Problem

Allerdings ist ein Befund des Bildungsberichts auch, dass Kinder mit Zuwanderungshintergrund nach wie vor in Deutschland benachteiligt sind. "Die Chancengerechtigkeit bleibt die zentrale Herausforderung", sagte dazu Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Es sei nicht hinnehmbar, dass die soziale Herkunft hierzulande immer noch entscheidend für Bildungsverläufe sei.
Auch hier sieht Buchwald mehr Flexibilität und Handlungsfreiheit für Schulen als hilfreich an: Sie schlägt eine "gute Durchmischung" von Klassen vor, die dann allerdings auf 20 bis 25 Kinder begrenzt werden sollten.

Mehr Daten zu Lernrückständen wegen Corona

Noch immer zu bewältigen haben Schulen unterdessen das Problem von teils massiven Lernrückständen, die unter anderem durch Unterrichtsausfälle in der Corona-Pandemie entstanden sind. Der Deutsche Lehrerverband fordert dazu eine bundesweite Erhebung nach den Sommerferien.
„Wir befinden uns, was die vergangenen zwei Schuljahre betrifft, nicht selten im Blindflug“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Donnerstag.
Das Aufholprogramm von Bund und Ländern habe bisher wenig an den Lernrückständen geändert, so Meidinger. „Das liegt auch daran, dass die Zusatzangebote oft nicht durchgängig flächendeckend zur Verfügung stehen und gar nicht diejenigen Schüler erreicht haben, die die Nachhilfe besonders dringend benötigen würden.“
Eine Datenbasis sei natürlich sinnvoll, pflichtet Buchwald dem Chef des Lehrerverbandes bei, und verweist auf die Entwicklung nach dem sogenannten Pisa-Schock von 2001 in Deutschland: "Das war aber doch ein heilsamer Schock – oder etwa nicht?" Die Veränderungen in der Schule danach nennt die Expertin "gigantisch".

(bth, mit dpa, KNA, epd)

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