Bildung

Chef gesucht

Schülerin mit Migrationshintergrund meldet sich im Unterricht
Die Lehrkräfte sind häufig weiblich, die Chefposten zum Teil erst gar nicht besetzt. Das ist der Alltag an deutschen Grundschulen. © dpa / Waltraud Grubitzsch
Von Dietrich Mohaupt, Ludger Fittkau und Barbara Schmidt-Mattern · 25.03.2014
Viele Grundschulen in Deutschland finden keinen Rektor mehr, weil der Posten viel Arbeit, aber nur wenig mehr Gehalt bedeutet. Die Korrespondenten vom Deutschlandradio Kultur berichten von Chefs, die zwischen mehreren Schulen pendeln und von hunderten Posten, die leer bleiben.
Schleswig-Holstein: Ganz viel Verwaltung
Von Dietrich Mohaupt
Es ist die neueste Errungenschaft der Grundschule am Mühlenweg im Lübecker Stadtteil Moisling: ein großer, frisch renovierter Raum voller Bücherregale, ausgestattet mit großen Sofas und bequemen Sitzkissen – für die Schulleiterin Jeannette Burat ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen.
"Wir haben von der Possehl-Stiftung in Lübeck eine große Spende bekommen, davon konnten wir unter anderem diese Bibliothek einrichten. Zusammen mit dem Förderverein Lübecker Kinder der uns unterstützt konnten wir eine Kooperation mit der 'Stiftung Lesen' in Mainz eingehen, wir mussten ein Konzept einreichen zur Leseförderung, dadurch haben wir wiederum Mittel von dort bekommen, nämlich noch einmal Bücher für 5000 Euro."
Seit zwölf Jahren ist die 52-jährige Schulleiterin in Lübeck – gerade solche Projekte wie die neue Bibliothek liegen ihr sehr am Herzen, immer wieder versucht sie Fördermittel und Zuschüsse für die Schule an Land zu ziehen.
"Das muss aber alles koordiniert und verknüpft werden. Ich muss immer ein Konzept dazu schreiben, ich muss mit Menschen sprechen, das muss gepflegt werden, das muss koordiniert werden – das kostet Zeit und dann bin ich eben auch mal am Wochenende hier, oder am Wochenende oder Abends bei Veranstaltungen, um das alles zu machen."
Demonstration in Sachsen
Gegen den Sparkurs an den Schulen gehen die Lehrer immer wieder auf die Straße.© picture alliance / dpa / Martin Förster
Ganz oder gar nicht – ist ihre Devise. Schulleiterin, das ist mehr als ein Fulltime-Job: 17 Stunden Unterricht in der Woche, und dann eben noch der ganze administrative Kram.
"Ja – Schulleitung an sich ist eben geprägt von ganz viel Verwaltung, von ganz, ganz viel Kontakt mit den unterschiedlichsten Personengruppen, und manchmal muss man auch ganz viele Dinge gleichzeitig tun. Dazu kommen dann auch so Dinge, dass kleine Schulen gar nicht immer eine Sekretärin haben – also ich habe nur zweieinhalb Tage die Woche eine Sekretärin, das heißt dann mache ich nebenbei das Sekretariat auch noch mit, nehme Pakete an, regele die Telefonate."
"Mühlenwegschule Burat. Hallo, guten Morgen."
In diesem Fall geht es um einen kranken Schüler – der Vater wollte nur kurz die Schule informieren. Schulleiteralltag – der Job kann richtig stressig sein, betont auch Bernd Schauer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW. Über die Jahre sei die Tätigkeit durch immer neue Herausforderungen immer anspruchsvoller geworden.
"Diese Herausforderungen kommen durch verschiedene Gruppen. Beispielsweise durch das Ministerium, das neue Statistiken haben will – auch durch den Schulträger, der sehr am Heil seiner Schule interessiert ist, aber natürlich auch gerade durch Eltern, die immer mehr kritisch die Schule hinterfragen und dann ist der Schulleiter oder die Schulleiterin sehr gefordert – und das hat diesen Job doch sehr verändert."
Die Rahmenbedingungen müssen besser werden, fordert der GEW-Mann, sonst ist der Job als Schulleiter einfach nicht attraktiv genug.
"Gerade für kleinere Schulen, da ist es so, dass es finanziell völlig irrelevant ist eigentlich. Man kann es ganz deutlich sagen: Man ist eigentlich schön blöd, wenn man es wegen des Geldes macht. Also für ungefähr 100 Euro mehr – 150 Euro brutto – lohnt sich das nicht. Wenn das der Grund ist, dann kann man den Leuten lieber sagen: Ne, dann lass es lieber."
Offenbar tun genau das immer mehr Lehrer – frei gewordene Schulleiterstellen sind in Schleswig-Holstein jedenfalls nicht so einfach wieder zu besetzen, oft müssen sie mehrfach ausgeschrieben werden. Nicht selten dauert es länger als ein Jahr, bis eine Stelle neu besetzt wird. Viele scheuen ganz einfach den immensen Aufwand, den der Job mit sich bringt – vor allem mit Blick auf die kümmerlichen Entschädigungen, berichtet Jeanette Burat.
"Also das höre ich auch von vielen Seiten. Entweder: Nein, das ist für mich prinzipiell gar nichts. Oder: Es würde mich im Prinzip interessieren, aber das, was ich da an Stress zusätzlich habe und an Belastung, passt überhaupt nicht zu dem, was ich da bezahlt bekomme – das mache ich nicht."
Die Rahmenbedingungen sind nicht ganz einfach, das muss auch Thomas Schunck, Sprecher des Bildungsministeriums in Kiel, einräumen. Aber – es ist und bleibt eine individuelle Entscheidung: Will ich das oder eben nicht? Die Statistik belegt: Es gibt einen über die vergangenen Jahre recht stabilen Anteil an vakanten Stellen, bei etwa 30 liegt diese Zahl an den Grundschulen im Land.
"Man kann immer nur eine Momentaufnahme sozusagen am Tag machen, wie viele es sind – aber es ist immer in dieser Größenordnung. In den vergangenen Jahren gab es keine signifikante Änderung nach oben oder nach unten, so dass man jetzt besondere Freude verbreiten könnte oder sich besondere Sorgen machen muss. Es ist im laufenden Geschäft immer diese Quote von etwa 30."
Beim Blick auf diese Zahlen dürfe man allerdings andere Daten auf keinen Fall ausblenden, betont Thomas Schunck – und verweist auf die demografische Entwicklung.
"Wir werden im Jahr 2020 50.000 Schülerinnen und Schüler weniger in diesem Land haben – diese demografische Entwicklung führt dazu, dass am Ende weniger Schulleitungen in Schleswig-Holstein gebraucht werden – das liegt einigermaßen klar auf der Hand."
Als reine Rechenaufgabe taugt die Frage nach den unbesetzten Schulleiterstellen aber nicht, meint die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Opposition im schleswig-holsteinischen Landtag, Heike Franzen. Bessere Besoldung, weniger Unterrichtsbelastung – das sind sicher die Kernfragen, wenn es darum geht, den Schulleiterjob gerade an kleinen Schulen wieder attraktiver zu machen.
"Aber ich glaube, es hat auch etwas mit Wertschätzung dieses Berufes zu tun, es hat auch etwas damit zu tun, deutlich zu machen, dass – wenn ich in dieser Position bin – ich auch eine gewisse Sicherheit habe. Und wenn Schulleiter damit rechnen müssen, dass sie bei rückläufigen Schülerzahlen eventuell auf Gehalt verzichten bzw. die Stelle wechseln müssen, dann ist das der falsche Anreiz, der hier gesetzt wird."
Große Pause an der Mühlenwegschule in Lübeck-Moisling. Die Kinder toben durch die Gänge ins Freie auf den Schulhof, vorbei an ihrer Schulleiterin Jeanette Burat, die auch nach zwölf Jahren auf diesem Posten immer mal wieder zweifelt.
"Wenn ich das Gefühl habe das ist alles zu viel und ich kann es nicht mehr richtig machen – dann frage ich mich schon: Mensch, musstest du das tun? Und dann gibt es aber auch Phasen, da läuft es besser und dann denke ich: Nee – ist doch gut, dass ich das gemacht habe und macht auch Spaß. Aber man muss schon ganz schön beseelt sein und das wirklich wollen, weil man auch eine ganze Menge an Selbstausbeutung beitragen muss, das ist so!"
Rheinland-Pfalz: Mehr Arbeit durch Inklusion
Von Ludger Fittkau
"Das ist bundesweit ein Problem, dass wir niemanden mehr finden, der bereit ist, sich dieser Ochsentour zu stellen."
Die Ochsentour, von der der Pfälzer Gerhard Bold spricht, ist die Leitung einer Schule. Der langjährige Schulleiter Bold breitet einige Blätter mit Tabellen auf dem Tisch seines Büros aus. Auszüge aus dem Amtblatt des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums. Damit will Gerhard Bold belegen, dass die sozialdemokratische Ministerin Doris Ahnen (SPD) den Rektorenmangel in Rheinland-Pfalz schönredet. Doris Ahnen sagt nämlich:
"Man kann nicht generell von einem Rektorinnen- oder Rektorenmangel sprechen. Bei den allermeisten Ausschreibungen gibt es mehrere Bewerbungen und wir können tatsächlich nach einem Auswahlverfahren die Besten zu Schulleitern oder Schulleiterinnen machen."
Gerhard Bold sieht das anders. Der ehemalige Förderschulleiter ist jetzt rheinland-pfälzischer Landesvorsitzender der Lehrergewerkschaft 'Verband Bildung und Erziehung' (VBE). Für ihn spricht die Kopie aus dem Amtsblatt, die vor ihm auf dem Tisch liegt, eine andere Sprache als die Ministerin:
"Wenn sie sich die Ausschreibung ansehen, werden sie sehr schnell sehen, dass allenfalls eine Bewerbung da ist, wenn es um eine Schulleiterstelle zum Beispiel in einer Grundschule geht."
Auf der Liste mit den freien Schulleiterstellen stehen in der ersten Spalte die Namen von Dörfern und Städten in Rheinland-Pfalz. Davor jeweils die Buchstaben GS- die Abkürzung für Grundschule. Also GS Bad Kreuznach, GS Bollendorf und so weiter. Ungefähr 20 Grundschulen sind auf dem Blatt aufgelistet. In der Spalte daneben stehen jeweils die Berufsbezeichnung Rektor oder Konrektor. In der nächsten Spalte: Die Besoldungsart: A13, A 14 oder A 14 Z. Z steht für Zulage. Ich schlage in einer Tabelle nach: Zwischen 3400 und 5000 Euro Grundgehalt kann eine Grundschulrektorin je nach Alter und Dienstjahren in Rheinland-Pfalz also verdienen.
Pflastermalerei zum Thema Inklusion
Kein Kinderspiel: Das Thema Inklusion macht vielen Schulleitern besonders schwer zu schaffen.© dpa / picture alliance / Fredrik Von Erichsen
Dennoch verrät die nächste Spalte auf dem obersten Blatt des Gerhard Bolds dass sich für die offenen Schulleiterstellen in Rheinland- Pfalz nicht viele Lehrer interessieren: Meist ist die Zahl 'Eins' dort zu lesen. Die Fußnote sagt, die Eins bedeutet: Erneute Ausschreibung zur Erweiterung des Bewerberkreises. Dreimal – nämlich bei der GS Ralingen, der GS Friedrich Ebert Frankenthal und der GS Lessing Ludwigshafen steht hinter der Eins auch noch die Zahl Zwei. Wieder hilft die Fußnote bei der Entschlüsselung. Zwei bedeutet: Es können sich auch Lehrkräfte bewerben, deren Berufserfahrung weniger als vier Jahre beträgt. Diese Fußnote regt Gerhard Bold besonders auf:
"Man fängt ihn mit dem Lasso ein, verspricht ihm, dass er alles Mögliche an Unterstützung kriegt und wenn er dann im Geschäft ist, ist er allein gelassen."
Es sei eben keine Frage des Geldes, dass die Lehrer sich nicht danach drängen, Schulleiter zu werden, sagt Gerhard Bold. Besonders an kleinen Schulen liegt aus seiner Sicht das Hauptproblem woanders. Dort nämlich werden Schulleiter nur teilweise vom Unterricht freigestellt. Die Leitung der Schule kommt also zu den alltäglichen pädagogischen Pflichten im Unterricht dazu. Eine klassische Doppelbelastung, so Bold.
"Die Rahmenbedingungen sind für die Kolleginnen und Kollegen in der Schulleitung absolut miserabel. Wenn sie davon ausgehen, dass in einer Grundschule die Kinder zwischen 8 und 13 Uhr da sind. Und dann kommen die Eltern und (…) dann werden die Kolleginnen und Kollegen aus dem Unterricht rausgeholt. (…) Und das soll alles so nebenbei laufen. Und Schulleitung kann man nicht nebenbei machen. Das muss auch mit Herzblut geschehen. Schule muss entwickelt werden."
Doch die finanziellen Spielräume für Schulentwicklung sind in Rheinland-Pfalz sehr eng. Denn die sozialdemokratische Bildungsministerin Doris Ahnen muss einen schwierigen Spagat machen: Ein strenger Sparhaushalt des hoch verschuldeten Bundeslandes zwingt sie dazu, Lehrerstellen einzusparen und gar auch Schulen zu schließen, wenn sie zu klein werden.
Weil auch die Schülerzahlen langfristig sinken, glaubt Doris Ahnen, diese Sparmaßnahmen auch rechtfertigen zu können. Auf der anderen Seite stehen verstärkte Anstrengung bei der schulischen Förderung von Einwandererkindern oder behinderten Schülern. Hier heißt das Stichwort Inklusion. Auch das bedeutet mehr Arbeit für die Schulleitungen. Mit oft eben knappen Personalressourcen. Doris Ahnen:
"Das besondere Problem sind die Grundschulen und besonders die kleinen Schulen. Wir haben in Rheinland-Pfalz 1000 Grundschulen. Davon sind 400 einzügig. Und da war es tatsächlich schwer, Schulleiterinnen und Schulleiter zu finden."
Gerhard Bold kann sich eine Schule ohne Schulleiter nur sehr schwer vorstellen. Er weiß aber, dass es gerade in kleinen Schulen auf dem Land immer häufiger vorkommen wird, dass ein Schulleiter gleich mehrere Schulen betreut. Wie der Pfarrer mehrere Gemeinden. Doch damit das klappt, sagt der heutige Lehrergewerkschaftschef, muss ein Rektor eben auch freigestellt werden können:
"Gerade in den kleinen Schulen, da muss man sich halt mal ein paar Gedanken machen. Die Schulen können kooperieren. Aber: So kann es nicht weitergehen."
Die Tabellen auf dem Tisch von Gerhard Bold sind lang. Offene Rektorenstellen gibt es nicht nur in Grundschulen. Auch in so genannten 'Realschulen plus' . Das ist die rheinland-pfälzische Bezeichnung für die seit einigen Jahren zusammengelegten Haupt- und Realschulen des Landes. Bei der Rektorenstelle der Realschule Neustadt/Wied steht hinter der Ziffer Eins – also der Ausschreibung zur Erweiterung des Bewerberkreises: Hier wird auf Leitungserfahrung verzichtet. Ein Schulleiter, der keine Leitungserfahrung hat, muss nicht per se ein schlechter Schulleiter sein. Doch wenn der Bewerbermangel dazu zwingt, die Standards zu senken, ist das keine gute Nachricht aus dem deutschen Schulsystem.
Nordrhein-Westfalen: "Ich bin nur noch Manager"
Von Barbara Schmidt-Mattern
Für die 180 Schüler an dieser Grundschule im Kölner Süden, geht die Arbeit jetzt los. Pünktlich zum Unterrichtsbeginn wird es ruhig auf den Gängen und im Lehrerzimmer, und der Schulleiter, der seinen Namen aus Sorge vor Disziplinarmaßnahmen lieber nicht im Radio hören möchte, kommt endlich dazu, in Ruhe einen Kaffee zu trinken – es ist der Beginn eines langen Arbeitstages.
"Ich bin um halb acht in der Schule, und der Arbeitstag endet in der Regel zwischen 18 und 22 Uhr, je nachdem. Morgens bin ich für die Kollegen da, das heißt von halb acht bis in der Regel viertel nach acht ist hier einfach ein Teil der Rushhour, wo die Kollegen ankommen und viele Fragen stellen, oder auch Eltern oder Kinder an mich herantreten und mit mir sprechen möchten, Dinge geklärt haben wollen. Anschließend hab auch ich meistens eine Unterrichtszeit."
Gefragt, ob er sich mehr als Lehrer oder mehr als Manager fühlt, muss der 38-Jährige nicht lange überlegen.
"Ich bin nur noch Manager, und Lehrer mache ich so hobbymäßig, wenn ich denn zwischendurch Zeit habe. Es gibt auch viele Abendtermine, die man einfach wahrnehmen muss als Leiter, Elternabende, Informationsabende, um Eltern auch zu überzeugen, ihre Kinder hier anzumelden. Also man pflegt einfach das Image der Schule, das sind oft Abendstermine."
Das Gestalten macht ihm Spaß, erzählt der Schulleiter weiter, und trotzdem empfindet er die Arbeit gelegentlich als Knochenjob. Sein neuer Stellvertreter wird erst im August eingestellt, und die Sekretärin arbeitet nur Teilzeit. Doch jede achte Schule in Nordrhein-Westfalen steht noch schlechter da, nämlich ganz ohne Rektor. Viele müssen sogar pendeln, weil sie sich um zwei Schulen zugleich kümmern müssen. All diese negativen Zahlen musste das grün geführte Schulministerium vor wenigen Monaten einräumen, auf eine entsprechende Anfrage der Opposition hin. Dabei liegt es nicht nur an der schlechten Bezahlung, dass die Grundschulen keine Rektoren finden, sondern viele Lehrer fühlen sich angesichts des überbordenden Aufgabenprofils einfach überfordert:
"Wenn ich mir vorstelle als Schulleiter, wie viel Stunden ich mehr machen müsste im Gegensatz zu dem, was ich so als Lehrer mache, das ist schon eine Menge. Das lohnt sich nicht finanziell, auf keinen Fall//Lehrerin: Für mich persönlich wäre es kein attraktiver Job, Ich bin lieber in der Klasse. Und wenn ich das so mitkriege, was an Verwaltungskram heutzutage zu leisten ist, das ist einfach enorm."
Schwere Vorwürfe gegen rot-grüne Schulpolitik
Ein Grund für die Misere und die wachsende Unlust, in der Grundschule den Chefsessel einzunehmen, ist der massive Strukturwandel im deutschen Schulsystem: Eine von G9 auf G8 verkürzte Schulzeit bis zum Abitur – die jetzt allerdings auch in NRW wieder in Frage gestellt wird – dann das längere gemeinsame Lernen von Real-, Hauptschul-Kindern und Gymnasiasten, und schließlich die Inklusion behinderter Kinder. All diese Reformen bürden auch den Grundschulen zusätzliche Aufgaben auf. Der Rektor aus dem Kölner Süden sieht allein in der Inklusion eine Riesenherausforderung. Zumal in NRW schon im kommenden Schuljahr ab der ersten bis zur fünften Klasse ein Rechtsanspruch auf den gemeinsamen Unterricht gilt – dabei sind viele Schulen darauf noch gar nicht vorbereitet:
"Ob die richtigen Ressourcen dafür vorhanden sind, ob die Umsetzung so ideal ist, das kann man sicherlich in Frage stellen. Am Ende ist es klar, dass natürlich die ganzen Veränderungen auch eine Mehrarbeit bedeuten. Das heißt, es kommt auf Schulen eine Arbeit zu, die noch innerhalb des normalen Arbeitspensums geleistet werden muss, was automatisch zu einem längeren Arbeitstag führen muss. Insbesondere bei der Inklusion merkt man, dass es viel zu schnell mit der Brechstange durchgezwungen wird. Man hätte hier einen großen Konsens der Kommunen gebraucht, die ja vor Ort die Inklusion umsetzen müssen."
Armin Laschet, CDU-Oppositionschef in Düsseldorf, erhebt schwere Vorwürfe gegen die rot-grüne Schulpolitik im bevölkerungsreichsten Bundesland:
"Und viele Eltern sagen, wir wissen gar nicht, was uns im neuen Schuljahr erwartet. Wie wird dann mein Kind in der neuen Schule betreut? Gibt es Integrationshelfer und alles was dazu gehört. Also viele, viele offene Fragen, die viele Eltern in Unruhe versetzen."
Und die Rektoren an den Grundschulen eben auch. Die vielen Reformen und Umbrüche., von denen die Inklusion nur eine ist, zwingen die Schulleiter zu immer mehr Verwaltungs-, Budget-, und Organisationsarbeit. Der Absprachebedarf mit dem Schulministerium und anderen Behörden wächst ebenfalls, und manch ein Rektor klagt – wiederum anonym –, wenn etwas schief laufe, müsse man selbst auch noch den Kopf hinhalten.
Für die eigentliche Kernaufgabe, das Unterrichten, bleibt indes immer weniger Zeit. Geht es nach Schulministerin Sylvia Löhrmann, sollen die Rektoren an Rhein und Ruhr in Zukunft sogar eher noch mehr Bürokratiearbeit leisten. Dafür will die Grünen-Politikerin den Schulleitern mehr Zeit einräumen:
"Wir steuern nämlich gegen, indem wir die so genannte Leitungszeit ausweiten, das heißt, Stellenanteile gehen zusätzlich an die Schulen, damit die Schulleitungen entlastet werden für ihre Leitungsfunktion und weniger Stunden unterrichten müssen."
Zusätzlich verspricht die Ministerin, dass unbesetzte Schulleiter-Stellen in den Grundschulen schneller ausgeschrieben und Bewerber gezielt angesprochen werden. Oppositionschef Armin Laschet bleibt dennoch skeptisch. Der Rektorenmangel sei längst nicht das einzige bildungspolitische Problem in NRW:
"Wir haben zunehmend zu wenige Plätz für über dreijährige Kinder, weil man alle Plätze in unter Dreijährige umgewandelt hat. Wir haben Unterrichtsausfall in den Schulen, den man nicht mehr misst, und wir haben einen flächendeckenden Aufstand an den Hochschulen, wo Asten und Rektoren über die Landespolitik klagen. Also auf der gesamten Bildungskette stellen wir im Moment Versäumnisse fest."
Gerade jetzt, zwei Monate vor den Kommunalwahlen in NRW, ist die Bildungspolitik für die Opposition ein gefundenes Fressen, um Rot-Grün anzugreifen. Für die eigentlichen Probleme der Grundschul-Rektoren – also die Überforderung, die schlechte Bezahlung, die fehlende Fortbildung und die mangelnde Anerkennung – hat derzeit jedoch keine der im Landtag vertretenen Parteien eine Lösung. Trotz des demographischen Wandels: Man müsse einfach mehr Lehrer einstellen, fordert CDU-Politiker Laschet, freilich ohne zu sagen, woher das Geld dafür kommen soll im hoch verschuldeten Nordrhein-Westfalen:
"Wir brauchen gerade im demographischen Wandel jeden einzelnen Schüler mehr als je zuvor. Und deshalb kann man auch eine Bildungsplanung machen, wo man weiß, dass in Zukunft vielleicht weniger Lehrer gebraucht werden – ohne dass man die heutige Generation vernachlässigt."
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