Bildband

Spontan, dynamisch, emotional

Von Carsten Hueck · 11.02.2014
Dieser opulente Band zeigt, wie Hermann Landshoff die Modefotografie nach dem Zweiten Weltkrieg erneuert hat – indem er den Models das Posenhafte und Theatralische nahm.
Er ist einer der innovativen und stilprägenden Fotografen des 20. Jahrhunderts und dabei nahezu unbekannt: Hermann Landshoff, Sohn eines Dirigenten und Musikwissenschaftlers, 1905 in München geboren, aufgewachsen im engen Kontakt mit der kulturellen Elite seiner Zeit. Im Elternhaus verkehrte viel Prominenz aus der Welt der Kunst, darunter Rilke, Max Reinhardt, Thomas Mann und Franziska von Reventlow.
Landshoff studierte Gebrauchsgrafik und Typografie, danach arbeitete er als Zeichner für Zeitschriften und Zeitungen. Gleichzeitig aber betätigte er sich autodidaktisch als Fotograf. Ab 1930 veröffentlichte er in der lokalen Presse vor allem Theaterfotografien. Aufsehen erregte seine spektakuläre Bildreportage über eine Segelpartie Albert Einsteins. 1933 emigrierte Landshoff, der als Jude keine berufliche Perspektive mehr in Deutschland hatte, nach Paris. 1936 konnte er erste Fotos in der "Vogue" veröffentlichen, ab 1938 auch in der Zeitschrift "femina", für die unter anderem Man Ray und Dora Maar arbeiteten.
Der üppige Bildband – mit dem langen Titel: "Hermann Landshoff, Portrait Mode Architektur. Retrospektive 1930 – 1970" – ist thematisch gegliedert. Er zeigt die technische Meisterschaft des Fotografen, sein eigenständiges Denken und die optische Substanz seiner Bilder. Landshoff erneuerte die Bildsprache der Modefotografie bereits in den späten 1930er-Jahren, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg - den er nach abenteuerlicher Flucht über Spanien und Lissabon in New York überlebte. Der Fotograf bemühte sich, seinen Modellen das Theatralische und Posenhafte zu nehmen und inszenierte stattdessen Spontanität, Dynamik und den Moment "echter Gefühle".
Er zeigt Frauen als Individuen - lichtet sie nicht im Studio, sondern unter freiem Himmel ab, auf Dächern, unter Brücken, in einer Wartehalle. Mit Tieren. Auf Fahrrädern und Rollschuhen, beim Luftsprung oder beim verschämten Abschiedskuss am Bahnsteig. Einer seiner Assistenten war der junge Richard Avedon, der später bekannte: "I owe everything to Landshoff."
Mit dem Straßenleben auf Augenhöhe
Neben der Modefotografie für "Harper’s Bazar" und "Madmoiselle" nahm Landshoff auch das Straßenleben New Yorks auf, die Hochhäuser untersichtig vor dramatischer Wolkenkulisse, die sozial Schwachen auf Augenhöhe, Kinder in Harlem oder im städtischen Waisenhaus. Die Menschen auf diesen Fotos schauen den Betrachter direkt an. Landshoff schuf in New York auch beeindruckende Porträts von Exilanten, vor allem von bildenden Künstlern, Autoren, Schauspielern und Wissenschaftlern, gerahmt von offenen Türen und Unschärfen im Vordergrund: ein Who’s Who europäischer Kultur.
Die Fotos des Bandes entstammen Hermann Landshoffs Nachlass, der seit Kurzem im Münchner Stadtmuseum liegt. Sie sind eine kultur-und fotografiehistorische Entdeckung, auch wegen Landshoffs über fast 20 Jahre fortgesetztem Zyklus von Fotografen-Porträts. Fast alle Großen der Fotografiegeschichte des 20. Jahrhunderts – teilweise noch bevor sie als solche angesehen wurden – sind vor der Kamera versammelt: Stieglitz, Steichen, Feininger und Abbott, Adams, Evans, Weegee, Brassai, Munkácsi, Avedon und viel andere.

Ulrich Pohlmann, Andreas Landshoff (Hrsg.): Hermann Landshoff - Portrait Mode Architektur. Retrospektive 1930 - 1970
Schirmer und Mosel Verlag, München 2014,
277 Seiten, 58,00 Euro

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