Bildband "Sayeda – Frauen in Ägypten"

"All diese Frauen sind sehr stark aktiv"

Amélie Losier: "Sayeda: Frauen in Ägypten"
Amélie Losier: "Sayeda: Frauen in Ägypten" © Nimbus Verlag
Amélie Losier im Gespräch mit Andrea Gerk · 16.11.2017
Sie hat Joschka Fischer, Wim Wenders und Hanna Schygulla fotografiert. In ihrem neuen Bildband porträtiert Amélie Losier Frauen in Ägypten: starke Persönlichkeiten zwischen Emanzipation und Tradition.
Andrea Gerk: Wie es ist, heute in Ägypten eine Frau zu sein, lässt sich auch ohne Reise an den Nil erfahren mit einem eindringlichen Fotoband von Amélie Losier, der jetzt erschienen ist. Die Französin lebt schon viele Jahre in Berlin, hier hat sie auch Literatur studiert und bei Arno Fischer eine Ausbildung als Fotografin absolviert. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, und jetzt ist Amélie Losier bei mir im Studio. Guten Tag, Frau Losier, schön, dass Sie da sind! Bonjour! Sie haben ja viele Frauenporträts schon gemacht, auch filmische. Was reizt Sie besonders daran, sich Frauen anzuschauen durch die Kamera, was ist da Ihr Antrieb?
Amélie Losier: Ich glaube, ganz einfach, weil ich selber eine Frau bin und darüber recherchiere, was es bedeutet, auch eine Frau zu sein.
Gerk: Also auch die Lebensformen von Frauen einfach erkunden.
Losier: Genau, ja.
Samah Hametou Abdel Azim in ihrem Wohnzimmer, Kairo, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017
Samah Hametou Abdel Azim in ihrem Wohnzimmer, Kairo, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017© Amélie Losier
Gerk: Was hat Sie denn nach Ägypten geführt? Sie beschreiben das am Ende des Bandes so ein bisschen, aber erzählen Sie mal, wie kam das?
Losier: Als die Revolution angefangen hat 2011, habe ich festgestellt, dass ich noch nie in einem arabischen Land war vorher, und ich habe dann immer mehr darüber gelesen durch die Berichterstattung, und dann habe ich einen sehr schönen Essay von der Journalistin Mona Eltahawy gelesen, das hieß "Why do they hate us?", "Warum hassen sie uns?". Mit "sie" waren die Männer gemeint und mit "uns" die Frauen, und sie berichtet über diese patriarchalische Gesellschaft, in der die Frauen in Ägypten zu leiden und zu kämpfen haben gleichzeitig. Kurz danach waren auf dem Tahir-Platz diese Demonstrationen, wo viele Frauen vergewaltigt wurden, und dann war es der Punkt für mich, wo ich dachte, okay, ich muss direkt hin und direkt die Frauen fragen, was sie in Ägypten erleben, wie es ist, dort zu leben.
Gerk: Aber das geht ja gar nicht so einfach, habe ich gelesen. Man kann da nicht einfach irgendwie in ein Café gehen oder auf der Straße irgendeine Frau ansprechen und sagen, darf ich Sie mal fotografieren oder zu Hause besuchen.
Losier: Genau.
Alleinreisende Frau in einem öffentlichen Bus, Kairo, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017
Alleinreisende Frau in einem öffentlichen Bus, Kairo, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017© Amélie Losier
Gerk: Wie sind Sie denn dann überhaupt in Kontakt gekommen mit Ägypterinnen?
Losier: Die Idee war wirklich, Porträts zu machen, wie ich immer wieder mache, Porträts und Tonaufnahmen, und eben in dem Fall durch Begegnungen mit Frauen, und das wollte ich eben bei denen zu Hause machen, wo sie sich wohlfühlen, vertraut fühlen und dann sowohl vor der Kamera als auch beim Sprechen beim Interview, und in diese Privatsphäre zu gehen ist nicht so einfach, wie vielleicht hier in Europa das passieren könnte. Man muss dort eingeführt werden von Bekannten, von der Familie, von Freunden, und so lief es auch am Anfang. Also das lief dann nur erst mal über Bekannte, Einführungen, über das Projekt sprechen, und die Frauen haben dann zugestimmt, und dann bin ich hingegangen, und dann peu à peu hat sich das rumgesprochen, und dann gab es auch Frauen, die sich selber gemeldet haben.
Gerk: Das sind ja ganz, ganz unterschiedliche Frauen, die Sie da porträtiert haben – Filmemacherinnen, Künstlerinnen, aber auch eben ganz einfache Frauen, sage ich mal in Anführungszeichen, aus dem Dorf. Überhaupt fand ich interessant, dass man doch eine deutliche Diskrepanz zwischen Stadt und Land da sieht. Leben die Frauen auf den Dörfern doch noch ganz anders als die in der Stadt?

Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen

Losier: Ja, so wie überall.
Gerk: Ja klar, aber da springt es einem ja wirklich ins Auge.
Losier: Ja, natürlich, aber sehr bemerkenswert fand ich, dass trotzdem all diese Frauen sehr stark aktiv sind, egal, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben. Also da gibt es gute Beispiele von einer Töpferin, die wirklich ihr Leben in die Hand genommen hat und entschieden hat, ich werde nicht Bäuerin werden, sondern Töpferin, und mein Mann muss auch mittöpfern sozusagen.
Noura Khaled Sayed Hamed in ihrem Schlafzimmer, Kairo, 2015. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017
Noura Khaled Sayed Hamed in ihrem Schlafzimmer, Kairo, 2015. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017© Amélie Losier
Gerk: Wer hat Sie denn noch besonders beeindruckt von diesen vielen Schicksalen, die ja oft auch sehr ergreifend sind? Sie haben ja auch mit den Frauen gesprochen lange. Welche möchten Sie uns mal erzählen, was hat Sie besonders bewegt?
Losier: Ich habe 40 Frauen ungefähr getroffen. In dem Buch sind 30 zu sehen und zu lesen. Es gibt viele, die sehr beeindruckend waren, sei es die eine Taxifahrerin zum Beispiel, eine von nur vier in ganz Kairo, wo 20 Millionen Einwohner sind, die sich selber da reingetastet hat und sehr stolz heute sowohl die Familie als auch sie dann ist, eine Taxifahrerin, ein Männerberuf einfach, zu sein.

Für Frauenrechte aktiv als Tahir-Bodyguard

Dann gibt es eine Frau, die für Frauenrechte kämpft, die auf dem Tahir-Platz während der Demonstrationen eben bei diesen Frauenvergewaltigungen auch aktiv war als Tahir-Bodyguards. Das war eine Organisation, die sie mitbegründet hatte, die extrem viel über dieses alltägliche Problem von der sexuellen Belästigung spricht, das wirklich für jede Frau, egal aus welcher Schicht, aus welcher gesellschaftlichen Schicht, Alter oder so, eben ein tägliches Problem ist in Ägypten und wie sie daran arbeitet, dass jede Frau bewusster sein soll. Sie selber ist extrem weiblich, und sie sagt, ich sehe gar nicht ein, dass die Art und Weise wie ich mich anziehe, irgendetwas …, dass man mir vorschreibt, wie ich mich anzuziehen habe, sondern die Männer sind für ihre Tat einfach verantwortlich.
Gerk: Viele sind auch dabei, die richtig so eine Art verstecktes Leben, ein Liebesleben noch führen, wo dann irgendwie der Vater nichts davon wissen darf. Ich musste daran denken an ein Buch über Teheran, wo es hieß, dass die Leute auch alle so eine Art Doppelleben führen und quasi, dass es die Stadt der Lügen ist. Hatten Sie den Eindruck, dass in Kairo auch Frauen viel nicht so öffentlich zeigen können, wie wir das hier so gewöhnt sind?
Losier: Selbstverständlich. Ich meine, es gibt auch eine lesbische Frau, die lebt total versteckt, weil Homosexualität ist gar nicht in dem Gesetz, also Homosexualität für Frauen, plus das Gewicht, die Macht der Familie, die vielen unausgesprochenen Regel in der Gesellschaft tun, dass man so oder so leben muss und zum Teil auch versteckt. Klar.
Nadia Ali Abdala in ihrer Wohnung, Sadat City, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017
Nadia Ali Abdala in ihrer Wohnung, Sadat City, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017© Amélie Losier
Gerk: Mussten Sie sich denn jetzt auch nicht gerade verstecken, aber Sie mussten ja auch sehr aufpassen bei Ihrer Arbeit. Davon erzählen Sie auch hinten im Buch, dass Sie jetzt auch nicht mit Ihrer Kamera da einfach rumrennen konnten.
Losier: Nein, klar. Also ich meine, die Kamera ist auch nicht unauffällig, sagen wir mal, und im Zentrum war das kein Problem. Außerhalb vom Zentrum oder woanders als in Kairo musste ich schon aufpassen, klar.
Gerk: Sind Sie auch in gefährliche Situationen gekommen?
Losier: Ja, einmal, aber das ist zum Glück gut gelaufen.
Gerk: Also Sie lassen sich davon jetzt nicht abschrecken, sondern würden auch so ein Projekt jederzeit wieder machen.
Losier: Ja, natürlich.
Gerk: Wie haben denn die Frauen auf die Fotografien reagiert, haben Sie sie auch gezeigt und mit ihnen angeschaut?
Losier: Ja, ich habe denen auch, noch nicht allen, aber vielen schon gezeigt. Sie schienen sehr glücklich zu sein, und überhaupt, sie hatten auch für das Projekt sehr viel zu erzählen. Jede Frau sagt, oh ja, bitte, gerne.
Zwei Frauen im Park Al Ahzar, Kairo, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017
Zwei Frauen im Park Al Ahzar, Kairo, 2014. In: SAYEDA, Nimbus. Kunst und Bücher, 2017© Amélie Losier
Gerk: Also sie waren froh, dass ihnen mal jemand zuhört.
Losier: Ja, so kam es mir ein bisschen vor.
Gerk: Wie ist denn für Sie das Verhältnis zwischen diesen Texten und den Fotografien? Braucht man die Texte wirklich?
Losier: Ja. Also ursprünglich wollte ich eine Art Fotofilm machen mit Fotografien und Tonaufnahmen, aber ich habe sehr schnell festgestellt, dass diese Massen an Informationen, die mir geliefert werden von den Frauen, einfach gar nicht passt in einen kleinen Fotofilm. Also ich wollte drei kleinere Fotofilme machen über drei Frauen, aber eben war das Buch die beste Form, um sowohl die Fotografien und dann Streetfotografien und diese Interviews von den Frauen zusammenzubringen.
Gerk: Und woran arbeiten Sie jetzt, nachdem dieses Projekt fertig ist?
Losier: Sagen wir mal so, um im weiblichen Thema zu bleiben: Ich habe gerade ein Buch entbunden! Geben Sie mir noch ein bisschen Zeit!
Gerk: Das darf noch nicht öffentlich sagen. Dann bleiben wir gespannt.
Losier: Genau.
Gerk: Amélie Losier, vielen Dank, dass Sie hier waren! Der Bildband, über den wir sprachen, ist unter dem Titel "Sayeda: Frauen in Ägypten" beim Nimbus Kunst- und Bücherverlag erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Amélie Losier: Sayeda: Frauen in Ägypten
Nimbus Verlag, 2017
288 Seiten, 36 Euro

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