Bildband "Johnny Cash At Folsom und St. Quentin"

"Eine einzige Verklärung"

Die Schwarzweiß-Aufnahme zeigt den Sänger Johnny Cash, wie er in ein Mikrofon singt.
Eigentlich soll Johnny Cash (1932 – 2003) sein Leben lang ein ambivalentes Verhältnis zur Country- und Westernmusik gehabt haben. Das Buch "Johnny Cash. 100 Seiten" beschreibt diese und noch viele weitere Facetten des Musikers, der am 26. Februar 90 Jahre alt geworden wäre. © picture alliance / Everett Collection
Dirk Schneider im Gespräch mit Mathias Mauersberger |
Drogen hatten seine Karriere ruiniert. Mit den Live-Mitschnitten zweier Gefängniskonzerte feierte Johnny Cash ab 1968 sein Comeback. Ein Bildband zeigt nun Fotografien von Jim Marshall, der den Country-Star nach Folsom und San Quentin begleitete.
Mathias Mauersberger: Januar 1968, Johnny Cash live im berüchtigten Folsom Prison in Kalifornien mit seinem Lied über eben dieses Gefängnis. Vielleicht war es der beste Zeitpunkt für Cash, dieses Konzert zu geben, und es mitschneiden zu lassen. Cash war 36 Jahre alt, und er war schon ganz unten gewesen, genau wie die Leute, die in der Gefängniskantine vor ihm saßen.
Bei Cash waren es die Drogen, die ihn aus der Bahn geworfen hatten, und sein Stern als Country-Star näherte sich schon dem Horizont. Doch von den Drogen war Cash mittlerweile runter, und er hatte einen Plan: Er hatte schon oft in Gefängnissen gespielt und wusste, welche besondere Energie bei solchen Konzerten entstand. Und mit Bob Johnston, Produzent bei seinem Label Columbia, hatte er jemanden an seiner Seite, der für ungewöhnliche Projekte zu begeistern war.
Cash und seine Band verbeugen sich vor den jubelnden Gefängnisinsassen
Cash und seine Band verbeugen sich vor den jubelnden Gefängnisinsassen© Jim Marshall Photography LLC / Reel Art Press
"At Folsom Prison", die Liveaufnahme seines Knastkonzerts, wurde Johnny Cashs glorreiches Comeback und machte ihn zur Legende. Ein Jahr später entstand ein weiteres Live-Album, im Gefängnis von St. Quentin. Beide Auftritte wurden vom Fotografen Jim Marshall begleitet, und diese Bilder sind jetzt in einem großen Bildband erschienen. Welche Geschichte erzählen denn die Fotos dieser Auftritte?

"Die Anspannung ist mit Händen zu greifen"

Dirk Schneider: Beeindruckend finde ich vor allem, dass auf den Aufnahmen vor dem ersten Auftritt im Folsom Prison die Anspannung mit Händen zu greifen ist. Es ist nicht ganz klar, welche Erwartungen Cash an das Konzert hatte – sicherlich ahnte er damals nicht, was für ein Riesenerfolg diese Aufnahme werden würde. Aber man sieht, dass er Angst hat, sicher auch vor den Reaktionen der Gefangenen.
Es waren ja sogar zwei Konzerte angesetzt für diesen Tag, eines morgens um 9.40 Uhr und eines mittags um 12.40 Uhr, falls beim ersten etwas schief geht. Und was dann geschah, es wird vielleicht 10.30 Uhr gewesen sein, denn vor Cash hatten noch Carl Perkins und die Statler Brother gespielt – was dann geschah, das ist etwas, das sich nicht planen lässt. Johnny Cash hat es so beschrieben, und das lässt sich in dem Bildband nachlesen:
"Ich wusste, das war es, meine Chance, alles, was ich versaut hatte, wiedergutzumachen. Ich wurde plötzlich ganz ruhig. Ich sah, wie die Männer zu mir herüberblickten. Da war etwas in ihren Augen, das mich erkennen ließ, dass alles gut gehen würde. Ich begriff, dass ich etwas hatte, das sie brauchten."
Mauersberger: Lässt sich das in den Bildern von Jim Marshall nachvollziehen, diese Atmosphäre, vielleicht auch diese Seelenverwandtschaft zwischen Cash und seinem Publikum?

Schneider: Nein, die Bilder vom Auftritt wirken sehr unspektakulär. Dabei war Jim Marshall ja einer der besten amerikanischen Musikfotografen, er hatte John Coltrane fotografiert, Bob Dylan, ist berühmt geworden mit dem Foto von Jimi Hendrix mit der brennenden Gitarre beim Monterey Pop Festival. Aber vielleicht kann man so eine Atmosphäre auch nicht im Bild einfangen.
Cash und sein Produzent Bob Johnston hinter der Bühne
Anspannung vor dem Konzert: Cash und sein Produzent Bob Johnston hinter der Bühne© Jim Marshall Photography LLC / Reel Art Press
Und es kommt ja dazu, dass die Gefangenen nicht wirklich mit der Musik mitgehen durften, sie mussten bei dem Konzert sitzen, sonst hätte man sie wahrscheinlich sofort rausgeschmissen. Und es hat etwas Rührendes, wie diese vielleicht 500 Männer da so brav sitzen, die meisten in blauer Anstaltskleidung, viele auch weiß gekleidet, wahrscheinlich weil sie tagsüber in der Bäckerei oder Wäscherei arbeiten. Übrigens in der großen Mehrheit Weiße, mir ist nicht ganz klar, ob Schwarze damals nicht, wie heute, die große Mehrheit in den amerikanischen Knästen gestellt haben oder ob von ihnen nur wenige das Privileg bekommen haben, zu diesem Konzert zu gehen.

"Auf dem ersten Bild zeigt er den Mittelfinger gar nicht"

Mauersberger: Trotzdem klingst du jetzt eher enttäuscht von den Bildern?
Schneider: Ja, die ganz großen Momentaufnahmen sind eher nicht dabei. Man muss das Buch wohl eher als Ergänzung sehen zum Album, und tatsächlich, die Aufnahmen zu hören und sich dabei die Bilder anzuschauen, das ist schon beeindruckend und ergibt ein tolles Bild.

Mauersberger: Vom Auftritt später in St. Quentin gibt es aber ein Bild, das zur Ikone wurde; nämlich Johnny Cash mit der Gitarre um den Hals, der der Kamera den ausgestreckten Mittelfinger hinhält. Erfährt man dort mehr über die Entstehung dieses Bildes?
Schneider: Ja, und zwar dass das Bild gestellt ist. Jim Marshall erzählt im Buch, er hätte zu Johnny Cash gesagt, sie sollten mal ein Bild für die Gefängniswärter aufnehmen. Die Pose mit dem Mittelfinger kam dann nicht so ganz spontan, auf dem ersten Bild zeigt er den Finger noch gar nicht, und es gibt auf den Kontaktbögen drei verschiedene Aufnahmen mit Mittelfinger.
Johnny Cash steigt im Folsom State Prison in Kalifornien aus einem Schulbus 
Johnny Cash steigt im Folsom State Prison in Kalifornien aus einem Schulbus© Jim Marshall Photography LLC / Reel Art Press

"Aus popmusikalischer Sicht von vorgestern"

Mauersberger: Zum Schluss noch ein Fazit: Lohnt sich das Buch, oder nicht?
Schneider: Für ganz eingefleischte Cash-Fans lohnt sich die Lektüre bestimmt. Mich stört an dem ganzen Kult um den Folsom-Prison-Auftritt ganz generell, wie Cash dafür verehrt wird, dabei gebührt eine zumindest gleich große Verehrung doch den Gefangenen, die die Aufnahme erst zu dem gemacht haben, was sie ist.
Man muss sich ja mal klar machen, dass 1968 in der populären Musik schon ganz andere Kräfte am Werk waren – es hatte die Beatles gegeben, die Stones, nun kamen Hendrix, die Doors, die Stooges, MC5 – jemand wie Cash war da aus popmusikalischer Sicht wirklich von vorgestern, und diese Aufnahme hat ihm noch einmal Glaubwürdigkeit verliehen, hat seine Authentizität verbürgt.
Cash und June Carter nach dem Auftritt in der Dining Hall #2
Erleichterter Griff zur Kippe: Cash und June Carter nach dem Auftritt in der Dining Hall #2© Jim Marshall Photography LLC / Reel Art Press
Cash, das muss man ja auch erwähnen, hat nie eine Gefängnisstrafe verbüßt. Und diese Authentizität, die war aber vor allem wichtig für das vorwiegend bürgerliche Publikum, das dann seine Platten gekauft hat, weil er so herrlich überzeugend über die finsteren Seiten des menschlichen Daseins singen konnte. Und das konnte er ja wirklich, gar keine Frage. Aber für die Leute im Knast war Cash schon immer ein Held, seit er 1953, also mit 21 Jahren, den "Folsom Prison Blues" geschrieben hatte. Und sie dienen, leider, auch in diesem Fotoband nur als Hintergrund.
Eigentlich ist das Ganze eine einzige Verklärung, genauso, wie es dann noch mal funktioniert hat, als Rick Rubin den alten Cash mit seinen "American Recordings" in den 90er Jahren noch einmal einer neuen Generation als Ikone verkaufen konnte. Also letztlich alles vor allem gelungenes Marketing. Und auch davon erzählen die Bilder von Jim Marshall, auch wenn die Begleittexte eine andere Geschichte erzählen.

Der Bildband "Johnny Cash At Folsom & San Quentin" ist bei Reel Art Press erschienen, hat 144 Seiten, wiegt 1,4 Kilo und kostet 49,95 Euro. Mit über 70 Fotografien aus dem Jim-Marshall-Archiv bietet der Band einen Überblick über Johnny Cashs legendäre Gefängniskonzerte in Folsom 1968 und San Quentin 1969.

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