Bilanz des Pop-Kultur-Festivals in Berlin

Newcomer, Abseitiges und viele Frauen

Der Sänger Roosevelt (Marius Lauber) eröffnete am 31.08.2016 in Berlin im Huxleys neue Welt das 2. Pop-Kultur Festival.
Der Sänger Roosevelt eröffnete im Huxleys das 2. Pop-Kultur Festival in Berlin-Neukölln. © picture alliance / ZB / Britta Pedersen
Elissa Hiersemann im Gespräch mit Gabi Wuttke  · 02.09.2016
Die zweite Ausgabe des Pop-Kultur Festivals fand in Berlin-Neukölln statt. Es gab nicht nur Konzerte, sondern auch Talks, Filmpremieren und jede Menge DJ-Sets. Ob das Konzept aufgegangen ist, berichtet Pop-Musik-Kritikerin Elissa Hiersemann.
Gabi Wuttke: Gab es denn einen thematischen Schwerpunkt auf dem Pop-Kultur Festival in diesem Jahr?
Elissa Hiersemann: Als ich das Programm studiert habe, ist mir aufgefallen, dass wieder sehr viele Künstlerinnen dabei sind – darüber hatte ich mich im vergangenen Jahr bei der ersten Ausgabe im Berghain schon sehr gefreut. Weil, es ist auch heutzutage keine Selbstverständlichkeit, dass Frauen bei Festivals die erste Geige spielen. Das wäre im Fall des Pop-Kultur-Festivals noch schräger gewesen, weil die aktuelle Popmusik von Frauen dominiert wird – man denke an Beyoncé, Adele, Rihanna.
Gabi Wuttke: Einer der Veranstaltungsorte war das Schwuz, als Schwulenzentrum eine Institution in Berlin. Das gibt es seit den 70er-Jahren und ist mittlerweile in Neukölln angesiedelt...
Elissa Hiersemann: Da sind Musiker wie Ezra Furman aufgetreten, der sich selber als "gender fluid" bezeichnet, sich also nicht auf eine weibliche oder männliche Identität festnageln lassen will. Das Konzert von Furman und seiner Band war eines meiner Highlights – eine sehr energetische Show mit Saxofon, ein Instrument, das eher Reizthema für mich ist, weil es meistens missbraucht wird. Beim Konzert von Ezra Furman gabs weder nervige Saxophonsoli, noch spitze Schreie von diesem Instrument. Es wurde sehr erdig gespielt und brachte gewissen Witz in die Songs.
Danach spielte die Hamburger Band Trümmer, vier weiße Jungs, die Indie Rock machen – direkt nebenan –im Salon vom SchwuZ– standen die U.S. Girls auf der Bühne, zwei Mädels nur mit Mikrofon bewaffnet, Musik vom Band – trotzdem wurde mir wieder bewusst, dass die interessantere Musik derzeit von Frauen kommt.

Pop, Depression und Künstler mit Behinderung

Gabi Wuttke: Du hast dir nicht nur Konzerte angeschaut, sondern auch Gesprächsrunden – welche Themen standen da im Vordergrund?
Elissa Hiersemann: Auch eher die abseitigeren Sachen: Pop und Depression gabs zum Beispiel oder einen Talk mit der sehr angesagten Künstlerin wie Fatima Al Qadiri, die kommt aus Kuwait, hat lange in den USA gelebt und ist mittlerweile in Berlin zuhause. Die Veranstaltung war ausverkauft, da feierte sich die versammelte Hipsterszene allerdings zu sehr selbst – im Publikum war irgendwie jeder ein Star...
Dann war ich bei dem Gespräch zu "Freaks, Cyborgs, Prototypes" – da ging es um behinderte Künstler, die ihre Behinderung ja selten als eine Behinderung sehen, ist ja eher etwas, was die normalen Menschen ihnen zuschreiben. Je mehr die Technik voranschreitet, werden Behinderungen in Zukunft vielleicht auch mehr und mehr zu einem Vorteil – siehe Oscar Pistorius oder Markus Rehm, die mit ihren Unterschenkel-Blades viel schneller als nicht behinderte Sportler sind.
Auch in der Popkultur gibt es Bionic Artists, Musikerinnen wie Viktoria Modesta, die ihre Behinderung als etwas Besonderes ausstellen und dadurch viel Aufmerksamkeit bekommen. Bei diesem Talk kam am Ende dann die Diskussion auf, inwiefern diese Technik die Behinderten nicht auch ein Stück weit zu Übermenschen macht. Leider war die Zeit dann um, da blieb der Erkenntnisgewinn etwas auf der Strecke.
Gabi Wuttke: Gab es etwas, was dir besonders gut am diesjährigen Pop-Kultur Festival gefallen hat?
Elissa Hiersemann: Klingt vielleicht blöd, aber mir hat tatsächlich die Vielfalt sehr gut gefallen – da waren schon bekanntere Acts wie Brand Brauer Frick oder der ziemlich gefeierte Newcomer Roosevelt oder auch die nordafrikanische Touareg Band Imarhan, die gestern im Heimathafen gespielt hat. Da wars sehr voll, weil die viele sehen wollten, Imarhan spielten als erste von drei Bands, das war eine ziemlich wilde Mischung an Stilen, was da noch kam.

Deutschlandradio Kultur veranstaltete den Talk "Freaks, Cyborgs, Prototypes" auf dem Festival Pop-Kultur. Technologie und Stardom, Labor und Glamour, Futurismus und Transhumanismus – die Wahrnehmung von Behinderungen wird popkulturell. Was folgt daraus, wenn behinderte Menschen als Cyborgs oder Vorreiter von Human Enhancement zu sehen sind?

"Auch wenn ich nur sechs Finger habe und kaum laufen kann, habe ich trotzdem Bock im Rampenlicht zu stehen", sagte der Rapper Graf Fidi auf dem Podium. Er hat schon vier Alben veröffentlicht. Allerdings täten sich die großen Musiklabels schwer damit, die Kunst von Menschen mit Behinderung ins Programm zu nehmen, so Graf Fidi. Die Entscheider seien eben selber in einer Popkultur aufgewachsen, in der Behinderung nicht vorgekommen sei.

Enno Park, der Vorsitzende von Cyborg e.V., saß ebenfalls auf dem Podium. Er trägt ein Cochlea-Implantat, eine Hörprothese für Gehörlose, und bezeichnet sich als Mensch-Maschine. "Sich gentechnologisch durchdesignen zu lassen sei der einzige Weg, Behinderung abzuschaffen", sagte er. Allerdings gehe damit auch die Vielfalt verloren. Deshalb plädiere er für den anderen Weg: die Inklusion.
Die eingeladene Soziologin mit dem Schwerpunkt Disability Studies, Heike Raab, sprach von dem Druck auf Menschen mit Behinderungen, sich an die Norm anzupassen - auch durch den Fortschritt der Technik.
Kassandra Wedel, Tänzerin und Schauspielerin, sprach von der Parallelwelt, in der Gehörlose wie sie in unserer Gesellschaft lebten. Die Hip-Hop-Weltmeisterin hadert nicht mit ihrem Taubsein. "Musik muss man nicht hören, Musik muss einen finden", sagte sie.
Die Tänzerin Kassandra Wedel auf der Bühne beim Panel "Freaks, Cyborgs, Prototyps" von Deutschlandradio Kultur 2016 auf dem Festival Pop-Kultur in Berlin
Die Tänzerin und Schauspielerin Kassandra Wedel© Deutschlandradio / Cara Wuchold
Die Soziologin Heike Raab, Expertin für Disablity Studies
Die Soziologin Heike Raab, Expertin für Disablity Studies© Deutschlandradio / Cara Wuchold
Online-Text: cwu
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