Bier vom Fass und scharf eingelegtes Grillfleisch
Die Ehe von Ava und Danilo verläuft unspektakulär, um nicht zu sagen: öde. Schon nach wenigen Jahren haben sich beide nicht mehr viel zu sagen. Doch schnörkellose Dialoge, Salven von Hauptsätzen, die viel Platz für Komik lassen, und feine Detailbeobachtungen machen diesen Eheroman zu einer Fundgrube.
Einen "Regenroman" gab es schon, einen "Weiberroman", einen "Kindheitsroman" und einen "Liebesroman" sowieso, und dann bescherte uns die deutschsprachige Belletristik auch noch einen preisgekrönten "Roman unserer Kindheit". Alle diese eher ungewöhnlichen Titel signalisieren, bisweilen mit kräftigem ironischen Unterton, einen Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit. Katrin Seddig, Jahrgang 1969, die 2010 mit dem Roman "Runterkommen" debütierte, füllt mit ihrem umfangreichen "Eheroman" eine der wenigen verbliebenen Lücken und macht sich beherzt daran, den Beziehungswirrwarr nicht nur ihrer Generation in Worte zu fassen.
Ava - benannt nach der Schauspielerin Ava Gardner - und Danilo sind die Protagonisten eines Romans, der Mitte der 1980er-Jahre bei einem Dorffest in der norddeutschen Provinz einsetzt und sich über ein Vierteljahrhundert erstreckt. 16 Jahre zählt Ava auf den ersten Seiten und registriert mit leichter Empörung, dass sich ihr der vier Jahre jüngere, aus Kroatien stammende Danilo mit Knutschabsichten nähert. Was zuerst zu einer Zurückweisung führt, entwickelt sich bald zu einer in der Mitte des Romans durch einen Trauschein besiegelten Beziehung, aus der zwei Kinder hervorgehen. Das Paar lebt mittlerweile in Hamburg; die gelernte Krankenschwester Ava arbeitet für einen Pflegedienst, während sich der studierte Danilo als Journalist um Fragen der Gegenwartskunst kümmert.
Zu sagen haben sich beide schon nach wenigen gemeinsam verbrachten Jahren herzlich wenig. Ava scheut sich nicht, Affären mit Männern unterschiedlichster Couleur einzugehen, und bleibt doch ein einsames Wesen, das am Ende die erstbeste Gelegenheit - Danilo gesteht ihr, eine andere Frau geküsst zu haben - ergreift, um sich von ihrem Mann zu trennen.
Aus Seddigs (im letzten Drittel zu lang geratenen) "Eheroman" hätte leicht eines jener öden Bücher werden können, die Beziehungsunfähigkeit und Alltagstrübsal in quälenden Beschreibungen wiedergeben und das Elend somit nur verdoppeln. Doch mit ihrem schnoddrigen, bissigen Erzählstil entgeht Seddig dieser Gefahr. Sie versteht es, die Skurrilität von Menschen - Avas Vater, der am liebsten Gedichte liest, Danilos verschollener Vater, der in Gestalt einer Kleiderpuppe von Wohnung zu Wohnung mitgeschleppt wird, der zu Depressionen neigende Feinkosthändler Fadil - und gleichzeitig deren Verletzlichkeit einzufangen.
Ava entwickelt sich kaum; sie beobachtet sich selbst, sieht sich beim Lieben und Kinder-Erziehen zu und weiß auch als 40-Jährige nicht, wie es ist, eine "verantwortungsvolle, erwachsene Frau" zu sein. Schnörkellose Dialoge, Salven aneinandergereihter Hauptsätze, die viel Platz für Komik lassen, und feine Detailbeobachtungen machen diesen Eheroman zu einer Fundgrube gegenwärtiger Gefühlsturbulenzen.
Ava und Danilo werden nicht zu einem jener "alten Ehepaare, die einander wortlos verstehen". Am Ende des kreisförmig konstruierten Romans sehen wir Ava am Osterfeuer in ihrem Heimatdorf. Was hat sich verändert? Hat sich etwas verändert? Hat sie sich verändert? Man weiß es nicht genau, nur eines ist sicher: Es wird Bier vom Fass geben und "scharf eingelegtes Grillfleisch aus einer Plastikbadewanne".
Besprochen von Rainer Moritz
Katrin Seddig: Eheroman
Rowohlt Berlin Verlag
Berlin 2012
447 Seiten, 19,95 Euro
Ava - benannt nach der Schauspielerin Ava Gardner - und Danilo sind die Protagonisten eines Romans, der Mitte der 1980er-Jahre bei einem Dorffest in der norddeutschen Provinz einsetzt und sich über ein Vierteljahrhundert erstreckt. 16 Jahre zählt Ava auf den ersten Seiten und registriert mit leichter Empörung, dass sich ihr der vier Jahre jüngere, aus Kroatien stammende Danilo mit Knutschabsichten nähert. Was zuerst zu einer Zurückweisung führt, entwickelt sich bald zu einer in der Mitte des Romans durch einen Trauschein besiegelten Beziehung, aus der zwei Kinder hervorgehen. Das Paar lebt mittlerweile in Hamburg; die gelernte Krankenschwester Ava arbeitet für einen Pflegedienst, während sich der studierte Danilo als Journalist um Fragen der Gegenwartskunst kümmert.
Zu sagen haben sich beide schon nach wenigen gemeinsam verbrachten Jahren herzlich wenig. Ava scheut sich nicht, Affären mit Männern unterschiedlichster Couleur einzugehen, und bleibt doch ein einsames Wesen, das am Ende die erstbeste Gelegenheit - Danilo gesteht ihr, eine andere Frau geküsst zu haben - ergreift, um sich von ihrem Mann zu trennen.
Aus Seddigs (im letzten Drittel zu lang geratenen) "Eheroman" hätte leicht eines jener öden Bücher werden können, die Beziehungsunfähigkeit und Alltagstrübsal in quälenden Beschreibungen wiedergeben und das Elend somit nur verdoppeln. Doch mit ihrem schnoddrigen, bissigen Erzählstil entgeht Seddig dieser Gefahr. Sie versteht es, die Skurrilität von Menschen - Avas Vater, der am liebsten Gedichte liest, Danilos verschollener Vater, der in Gestalt einer Kleiderpuppe von Wohnung zu Wohnung mitgeschleppt wird, der zu Depressionen neigende Feinkosthändler Fadil - und gleichzeitig deren Verletzlichkeit einzufangen.
Ava entwickelt sich kaum; sie beobachtet sich selbst, sieht sich beim Lieben und Kinder-Erziehen zu und weiß auch als 40-Jährige nicht, wie es ist, eine "verantwortungsvolle, erwachsene Frau" zu sein. Schnörkellose Dialoge, Salven aneinandergereihter Hauptsätze, die viel Platz für Komik lassen, und feine Detailbeobachtungen machen diesen Eheroman zu einer Fundgrube gegenwärtiger Gefühlsturbulenzen.
Ava und Danilo werden nicht zu einem jener "alten Ehepaare, die einander wortlos verstehen". Am Ende des kreisförmig konstruierten Romans sehen wir Ava am Osterfeuer in ihrem Heimatdorf. Was hat sich verändert? Hat sich etwas verändert? Hat sie sich verändert? Man weiß es nicht genau, nur eines ist sicher: Es wird Bier vom Fass geben und "scharf eingelegtes Grillfleisch aus einer Plastikbadewanne".
Besprochen von Rainer Moritz
Katrin Seddig: Eheroman
Rowohlt Berlin Verlag
Berlin 2012
447 Seiten, 19,95 Euro