Bibliotheken im Krieg

Ein Angriff auf die ukrainische Kultur

06:34 Minuten
Die zerstörte Bibliothek in Chernihiv nach russischen Luftangriffen.
Die Bibliothek in Chernihiv wurde bei russischen Luftangriffen zerstört. © imago / Est & Ost / Denis Vejas
Olaf Hamann im Gespräch mit Joachim Scholl · 21.04.2022
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Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine ist auch eine Gefahr für die Kultur. Bibliotheken versuchen, ihre Werke in Sicherheit zu bringen und die Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen. Hilfe dafür kommt auch aus Deutschland.
Joachim Scholl: Der Krieg in der Ukraine spitzt sich militärisch zu, und angesichts des Leids und der Zerstörung traut man sich fast gar nicht, nach der Kultur zu fragen. Aber auch dort werden schon seit Wochen Fronten tapfer verteidigt – auch mithilfe von Deutschland, wo das "Netzwerk Kulturschutz Ukraine" ins Leben gerufen wurde, das den Kulturinstitutionen in der Ukraine helfen soll. 
Olaf Hamann leitet die Osteuropaabteilung in der Staatsbibliothek zu Berlin und er koordiniert die Hilfswünsche für ukrainische Bibliotheken. Seit fast zwei Monaten tobt jetzt der Krieg. Wie stark sind die Bibliotheken und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen?
Olaf Hamann: Die Bibliothekare sind sehr stark betroffen von den ganzen Ereignissen in der Ukraine. Der Krieg lässt sie nicht los. Sie machen sich natürlich große Sorgen um den Erhalt ihrer Sammlungen, vor allen Dingen der ukrainischsprachigen Sammlungen. Das ist ja erklärtes Ziel, die Ukraine auszulöschen und damit auch die Sprache.
Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes vor zwei Monaten mussten viele Einrichtungen schließen und viele Kolleginnen und Kollegen mussten flüchten. Dadurch ergeben sich natürlich auch große Umstellungen bei der normalen Arbeit. Die Informationsvermittlung, die sonst im Mittelpunkt steht, kann gar nicht mehr geleistet werden.
Stattdessen werden andere Aufgaben gesucht. Den Schutz von Sammlungen hatte ich schon erwähnt, aber für die öffentlichen Bibliotheken heißt das vor allen Dingen auch die Unterstützung der Geflüchteten in den Gebieten, wo keine direkten Bombenangriffe oder Raketenangriffe zu verzeichnen sind.

Unterstützung, auch für das Leben nach dem Krieg

Scholl: Auf der Webseite des Netzwerks Kulturschutz ist eine lange Liste von benötigten Gütern aufgeführt. Was brauchen die Kolleginnen und Kollegen dort in den betroffenen Gebieten am dringendsten?
Hamann: Am dringendsten werden Materialien gebraucht, mit denen Kulturgüter verpackt werden können, um sie in sichere Räume zu bringen. Sehr wichtig ist auch Unterstützung durch Computertechnik, iPhones oder andere mobile Endgeräte, mit denen Zugang zu verlässlicher Information gewährleistet werden kann. Mit denen aber auch Kontakt zu Angehörigen gehalten werden und Bildungsabschlüsse weiter verfolgt werden können, damit überhaupt ein Leben außerhalb der Kriegssituation ermöglicht wird.
Scholl: Wer organisiert das oder wer besorgt diese Dinge und wie lässt sich das organisieren?
Hamann: Für die Beschaffung dieser Dinge steht auch das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine zur Verfügung. Wir sind dabei eine Kooperation zwischen der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt und in Leipzig und der Staatsbibliothek zu Berlin und der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes eingegangen.
Wir versuchen vor allen Dingen, dieses Netzwerk für die Bibliotheken aufzubauen. Während die Staatsbibliothek in Berlin sich darum kümmert, die Hilfswünsche ukrainischer Kolleginnen und Kollegen aufzunehmen und in deutschen Einrichtungen bekannt zu machen, versucht die Deutsche Nationalbibliothek, die Hilfsangebote deutscher Bibliotheken zu koordinieren und zusammenzuführen.
Neben den Bibliotheken sind in diesem Netzwerk aber auch die Archive, vertreten durch das Bundesarchiv, beteiligt. Auch ICOM Deutschland unterstützt das Netzwerk und versucht in Berlin einen Logistikhub aufzubauen, der dann die Materialspenden zentral sammelt und in die Ukraine transportiert.

Stipendien für geflüchtete Bibliothekarinnen

Scholl: Konkrete persönliche Hilfe leisten Sie auch durch Stipendien. Das heißt, Sie können Menschen direkt aus dem Kriegsgebiet, aus den Bibliotheken nach Deutschland und so in Schutz bringen.
Hamann: Es sind sicherlich in erster Linie Kolleginnen, die fliehen können. Die männlichen Kollegen können das Land ja nicht verlassen, weil sie die militärische Verteidigung unterstützen und organisieren sollen. Aber die Kolleginnen, die zu uns nach Deutschland fliehen können, haben zusätzliche Angebote für Stipendien bewilligt bekommen.
Wir haben zum Beispiel in der Nationalbibliothek in Frankfurt vier Stipendien für Kolleginnen, die auch alle schon vergeben sind. Innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bei der ja die Staatsbibliothek zu Berlin auch beteiligt ist, sind 20 zusätzliche Stipendien für Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Bibliothekare und Bibliothekarinnen bewilligt worden.
Hier erwarten wir die Eingänge von Projektvorschlägen, um entsprechend auch die Stipendien für drei oder mit einer Verlängerungsmöglichkeit auf sechs Monate dann auch zu gewähren. Das ist eine wirkliche Unterstützung für die Kolleginnen und Kollegen, die das Land verlassen mussten.

Es wird Geld benötigt

Scholl: Wenn man sich fragt, kann ich auch helfen, aber gäbe es auch einen direkten Kanal zu Ihnen?
Hamann: Wir haben einen Aufruf des ukrainischen Bibliotheksverbandes erhalten, weil viele Kolleginnen auch in soziale Not geraten sind, die das Land nicht verlassen konnten aus verschiedenen Gründen, aber wo die Lohnfortzahlung eingestellt worden ist. Und da gibt es eine Möglichkeit, wo Spenden eingezahlt werden können.
Und diese Maßnahme ist durchaus eine sehr erfolgreiche. Von der Betreuerin des Projektes in der Ukraine habe ich in der vergangenen Woche gehört, dass innerhalb von 14 Tagen 120.000 Hrywnja etwa zur Verfügung gestellt worden sind, mit denen immerhin 120 Anträge auf Unterstützung befürwortet werden konnten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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