Gesellschaft in Bhutan

Glück als Staatsziel

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Gläubige Buddhisten in traditioneller Kleidung. Wollene Mäntel in Dunkelrot und Olivgrün. Die älteren Menschen unterhalten sich, viele lächeln. Ein Mann hält eine Tasse in der Hand. Alle machen einen zufriedenen Eindruck
Gläubige in Bhutans Hauptstadt Thimpu: Glück in der Gemeinschaft © imago images / VWPics / Sergi Reboredo
Von Matt Aufderhorst |
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Bhutan gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Reisenden fällt jedoch auf: Viele Menschen sind außerordentlich positiv gestimmt, ja glücklich. Was wiederum in Bhutan kein Zufall ist - und die Frage nach unserer eigenen Glücks-Bereitschaft aufwirft.
„Glück entsteht, wenn man mit seiner Umwelt in Harmonie lebt. 'Man' kann übrigens auch ein Staat sein. Bhutan fördert und fordert das Glück", erzählt Sangay Wangchuk. Wir stehen mit ihm in den blühenden Hügeln von Punakha im Westen des Landes und blicken aufs vielgliedrige Tal. Der wohl schönste Dzong Bhutans, die mächtige Mönchs- und Verwaltungsburg, in der ein riesiger Baum wächst, glitzert unter uns, wo sich zwei Flüsse treffen. Sangay, ein Autor, mit dem wir am Nachmittag zuvor zum Haus seiner Kindheit gewandert sind, zündet dicke, wohlriechende Weihrauchstäbe an. Der Duft dringt erst in unsere Nasen, dann Herzen. Morgen für Morgen begrüßt Sangay derart das Glück, das er allen wünscht, nah und fern, Flora wie Fauna.

Über das Verständnis von Glück

In dem kleinen Himalajastaat, so groß wie die Schweiz, in dem knapp 800.000 Menschen leben, wird das Glück sowohl auf die leichte als auch schwere Schulter genommen. Bhutan, eine konstitutionelle Monarchie, hat sich Glück als Staatsziel in die Verfassung geschrieben. Und plant jetzt, um die Jugend im Land zu halten, an der Grenze zu Indien, gleich mal eine ganze Großstadt der Achtsamkeit: Mindfulness City. Ein Experiment, das KI, Spiritualität und Ökologie kombinieren möchte.
In Punakha wurde mir klar, dass mir, wie vielen im Westen, das Glück fast nur noch als eine Form der Selbstoptimierung begegnet. Eine Zweck-Aktie, in die ich, habe ich Geld, investiere: Gym, Bio-Laden, Erfolg im Beruf. Alles meins. Leistung, die ich erbringe. Sachen, die ich mir kaufe. Im besten Sinne gemeinschaftlich ist Glück bei uns eher nicht. Es gehört nicht zur Grundversorgung. Für die bundesrepublikanische Gesellschaft ist das Glück quasi ein seltsames Tier, das sich schwer zähmen lässt.
In Bhutan ist das grundsätzlich anders. Glück wird als Teil des, nun ja: Staatsvermögens angesehen. Der öffentlichen Verfasstheit. Das „Bruttonationalglück“ wird, was vermessen klingt, gemessen. Wohlbefinden, gute Regierung, Bewahrung der Kultur, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, Bildung, sinnvolle Zeitnutzung und Naturschutz dienen als Parameter. Bhutan, dicht bewaldet, ist als einziges Land der Welt klimaneutral. Kurz gesagt: In Bhutan wird zwischen Geld und Geltung ein ständiger Ausgleich gesucht. So ist etwa die Gesundheitsversorgung kostenlos – und das schließt traditionelle Heilmethoden ein – auch für Besucher und Besucherinnen, wie wir erleben durften.

Inspiration für Deutschland

Sie merken, worauf ich hinauswill: Lassen wir uns von Bhutan inspirieren. Erklären wir Glück zum Staatsziel. Oft genug wird bemängelt, dass es keine gemeinsamen Ziele mehr gibt. Keine Projekte, die nicht auf Kosten dieser oder jener Gruppe gehen. Symptomatisch finde ich, dass im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD „Glück“ nur ein einziges Mal erwähnt wird und zwar bei der „Bekämpfung von illegalem Glücksspiel“.
Überlegen wir doch zusammen, was Glück positiv bedeutet. Wie wir glücklich leben wollen – nicht allein, sondern miteinander. Nehmen wir uns Sachen vor, die nicht unbedingt mit Geld beziffert werden müssen. Kümmern wir uns mehr umeinander. Denken wir darüber nach, wer unsere Gesellschaft wirklich am Laufen hält. Pflegen wir unsere Nachbarschaft. Lernen wir Güte abermals kennen. Beenden wir die Ungleichheit. Sagen wir dem "Das-geht-aber-nicht" entschlossen "Auf Wiedersehen". Mindfullness Country, ein Land der Achtsamkeit, demokratisch, liebevoll. Und offen. Das wäre einen politischen, einen emotionalen Versuch wert.
Eine Beobachtung aus Bhutan sei noch erwähnt: Die Idee, was Glück ist, spaltet, so unsere Reiseerfahrung, in der Zwischenzeit das Land. Im Westen Bhutans, der erheblich mehr Kontakt mit der Außenwelt hat, wirken die Menschen abgehetzter, unzufriedener als im Osten, wo das Leben etwas weniger dem Geldverdienen, mehr dem Glück folgt.
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