Besuch in der Heilanstalt Le Courbat

Hilfe für die Helfer

In der Heilanstalt "Le Courbat" kümmert sich die Polizistin Gwen im Rahmen einer Therapiemaßnahme um Pferde
In der Heilanstalt "Le Courbat" hilft man Polizisten, die an Burnout, Depressionen und Traumatisierungen leiden – unter anderem mit tiergestützten Therapien © Bettina Kaps
Von Bettina Kaps |
Viele französische Polizisten leiden unter Burnout und Depressionen. Bereits 1953 hat die Polizei daher eine eigene Heilanstalt für die Staatsdiener eingerichtet: "Le Courbat", etwa eine Stunde von der Stadt Tours entfernt. Heute sind dort auch von den Pariser Anschlägen traumatisierte Beamte in Behandlung.
Ein Schloss mit hohem Schieferdach, eine verschnörkelte Kapelle, Taubenschlag und Entenweiher. Die Heilanstalt Le Courbat ist ein idyllischer Ort. Pünktlich zum Glockenschlag versammeln sich über 50 Männer und Frauen zwischen den Blumenrabatten im Hof. Viele tragen Kapuzenjacken und Jogginghosen. Ein Treffen von Urlaubern, könnte man meinen. Tatsächlich handelt es sich um eine Pflichtübung für Suchtkranke und Burnout-Opfer.
Auch Gwen sagt laut und deutlich "präsent", als ihr Nachname fällt. Wie alle Patienten muss sie sich hier viermal täglich aufstellen. "Es gibt zwei gute Gründe dafür", erklärt sie. "Die Appelle stellen sicher, dass niemand aus Gesundheitsgründen fehlt. Außerdem helfen sie uns, wieder einen Rhythmus in den Tag zu bringen."

Wenn der Beruf krank macht

Gwen ist 44, eine mollige Frau mit blondierten langen Haaren, baumelnden Ohrringen und einem Glitzerstein im Nasenflügel. Am Vormittag hat sie an der Wassergymnastik teilgenommen und ihre Psychologin getroffen. Nachmittags muss sie ein therapeutisches Atelier besuchen. Gwen hat sich für tiergestützte Therapie mit Pferden entschieden. Auf dem Weg zur Koppel erzählt sie, dass sie in der Alpenstadt Chambéry lebt, drei halbwüchsige Kinder hat, geschieden ist und seit 18 Jahren als Polizistin arbeitet. Ihr Job: Streife fahren und auf Notrufe reagieren. Sie möge ihren Beruf, immer noch, sagt Gwen mit energischer Stimme. Obwohl er sie krank gemacht hat.
"Wir sehen die Probleme anderer Menschen und das ist oft unerträglich. Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder und noch viel Schlimmeres. Außerdem Unfallopfer, Tote, Schwerverletzte. Ich versuche, Distanz zu wahren. Aber diese Erlebnisse haben sich trotzdem in mein Leben eingefressen. Sie haben bei mir Stress und Angst ausgelöst."

"Überall Gefahren"

Gwen ist seit einem Monat in Le Courbat und bleibt noch einen zweiten Monat hier. Wie die meisten Patienten musste auch sie zuvor eine Woche auf Entziehungskur ins Krankenhaus. Aber über ihre Alkoholsucht spricht sie nicht.
Ihren Zusammenbruch hatte sie nach einem Vorfall, der ihr bis heute an die Nieren geht. Polizeigegner riefen in den sozialen Netzwerken für einen bestimmten Tag zum Angriff auf Polizisten auf. Sie wollten einen jungen Mann rächen, der bei einer Polizeikontrolle in einer Pariser Banlieue übel misshandelt worden war. Der Appell wurde sogar in Chambéry befolgt, sagt Gwen.
Direktorin Frédérique Yonnet vor der Heilanstalt "Le Courbat"
Direktorin Frédérique Yonnet vor der Heilanstalt "Le Courbat"© Bettina Kaps
"Da hat sich eine Menschenmenge zusammengerottet. Sie haben uns und die Feuerwehr mit brennenden Mülleimern angelockt, dann wurden wir mit Steinen beworfen. Dieses Erlebnis, zusammen mit den vielen Attentaten in Frankreich und anderswo... Auf einmal spürte ich, dass überall Gefahren lauern, dass wir Polizisten sogar in einer kleinen Provinzstadt zur Zielscheibe werden. An diesem Tag habe ich richtig Angst gehabt."
Abends ging Gwen vor lauter Not ins Krankenhaus – der Arzt ließ sie nicht mehr fort.

"Schützen und dienen"

Die Polizistin öffnet das Gatter zur Pferdeweide, dort wartet schon eine Therapeutin auf sie. Gemeinsam holen sie eine braun-weiß gescheckte Stute aus dem Stall. Sie wünsche sich, dass sich bei der Polizei einiges ändert, sagt Gwen, während sie das Fell untersucht und kleine Verletzungen mit Heilsalbe behandelt.
"Ich finde es schade, dass die Nachbarschaftspolizei eingestellt wurde. Die Leute wollen uns nicht nur im Auto sehen, sondern auch zu Fuß, damit sie mit uns sprechen können. Sonst denken sie doch, dass wir nur Strafprotokolle ausstellen wollen. Unsere Aufgabe heißt: ´Schützen und dienen´. Damit ist alles gesagt. Die Bevölkerung schützen. Der Republik und den Menschen dienen."

"Viele halten uns für die Bösen"

Auf einmal stockt sie beim Erzählen, schließt die Augen, so als ob sie sich konzentrieren und die Tränen zurück halten müsse. Dann reißt sie sich zusammen und fährt fort.
"Die Leute müssen einfach begreifen, dass wir normale Menschen sind und nur tun, was man uns aufträgt. Aber die Verbindung zwischen der Bevölkerung und uns wird immer schwächer. Viele halten uns für die Bösen. Dabei sind wir genau so wie die gesamte Bevölkerung: Es gibt tolle, hoch gebildete und offene Menschen in der Polizei, nicht nur Rassisten und Faschisten. Nein, wir sind wie ihr!"
Es ist bald halb fünf, Zeit für den letzten Appell an diesem Tag. Gwen verabschiedet sich zärtlich von dem Pferd und läuft zurück zum Schloss. Unterwegs lacht und scherzt sie mit Patienten und Betreuern. Dann stellt sie sich im Hof auf, wartet ihren Namen ab und meldet sich präsent.
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