Bestatter und Autor Eric Wrede

Eine Sprache finden für den Tod

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Auch seinen eigenen Großvater bestattete Eric Wrede. © Random House
Moderation: Joachim Scholl · 25.10.2018
Früher managte Eric Wrede Musiker wie Selig oder Marius Müller-Westernhagen, heute beerdigt er als Bestatter Menschen. Darunter waren Eltern seiner früheren Kollegen. Komisch? Nein, sagt Wrede im Gespräch: So lerne man sich erst richtig kennen.
Joachim Scholl: Er ist 38 Jahre alt, geboren in Rostock. In einem früheren Leben war er erfolgreich als Musikmanager. Dann hat er, dramatisch kann man sagen, umgesattelt. Er wurde Bestatter. In Berlin betreibt er sein eigenes Bestattungsinstitut, -unternehmen, "Lebensnah Bestattungen" heißt es. Und darüber, über den Tod, das Ende, seine und unsere Einstellung dazu, hat Eric Wrede jetzt ein Buch geschrieben. Schön, dass er jetzt bei uns ist im Deutschlandfunk Kultur. Hallo und guten Tag, Herr Wrede!
Eric Wrede: Guten Morgen!
Scholl: "The End. Das Buch vom Tod". So schlicht und schön präzise ist Ihr Buch betitelt, und es beginnt mit Ihrem eigenen Testament, Herr Wrede. Das geht ja gut los, sagt man als Leser, so gleich mal voll aufs Totenglöcklein.
Wrede: Da haben wir lange drüber nachgedacht, ob wir das machen. Aber mir ging es eigentlich eher darum, zu zeigen, wie einfach das ist, ohne dass man Jurist ist oder immer Jurist sein muss, mal zu formulieren, was sind eigentlich Sachen, die mir am Ende wichtig sind. Bei mir, mein Lieblingsbeispiel ist, mir ist wichtig, ich habe mein Leben lang Hunde, dass diese Hunde irgendwie versorgt sind. Ich möchte wissen, was mit meinen Schallplatten passiert. Einfach eher, um zu zeigen, schaut doch mal, so einfach kann es gehen, wenn man kurz ein bisschen drüber nachdenkt.

"Mich hat keine große, traurige Geschichte zum Bestatter geführt"

Scholl: Es ist ein langer oder längerer Weg auf jeden Fall zu diesem Buch und zu Ihrem neuen Leben. Vor gut zehn Jahren waren Sie noch ganz anders unterwegs, backstage mit Rockstars – also im prallen Leben sozusagen. Wie wurde Eric Wrede, der Manager, zum Bestatter?
Wrede: Ich glaube, die Geschichte ist einfacher, als man denkt. Ich glaube, ich hab das Beste erlebt, was ein junger Mann Mitte 20 haben kann, der selbst Musikfan ist, dann in der Plattenindustrie zu arbeiten. Ich glaube, ich hab die besten 20er-Jahre gehabt, die ich mir vorstellen konnte. Aber ich war, glaube ich, immer ein Sonntagskind und hatte das Glück, dass ich in viele Sachen auch reingefallen bin. Und irgendwann mit 30 fragt man sich, was möchte ich denn machen, wenn ich 50 bin, wenn ich 60 bin? Was sind Sachen, die mich langfristig erfüllen. Und da war Musik – als Musikhörer sicherlich, aber nicht mehr als Vermarktungsmensch hinter den Kulissen.
Und ich habe dann wirklich angefangen, mir das erste Mal in meinem Leben so richtig Gedanken zu machen, was willst du eigentlich mit deinem Leben anfangen – ohne jetzt irgendwie in einer Krise zu sein, sondern einfach als was Konstruktives – und habe angefangen, mir lange Listen zu machen. Und relativ viele Berufe sind weggefallen, und dann war es eher Gevatter Zufall, der mir – also, es ist nicht die große, traurige Geschichte, die mich zum Bestatter geführt hat, sondern am Ende war es ein Radiointerview mit einem Pionier der humanen Bestattungskultur, Fritz Roth, der mittlerweile leider verstorben ist, der relativ früh schon angefangen hat, zu sagen, so ein Abschied ist auch eine sinnliche Erfahrung, die man fürs Leben mitnimmt. Ein Abschied, der gut gestaltet ist, den man auch bewusst erlebt – weil verhindern kann den keiner von uns, kann aber etwas sein, was einen stärken kann fürs weitere Leben.
Scholl: In Ihrem Buch beschreiben Sie auch, wie sozusagen Sie dann in den Beruf gewechselt sind. Sie haben erst mal ein Praktikum gemacht in einem normalen Bestattungsinstitut, immer schön das weiße Hemd angezogen, damit man Ihre Rockstar-Tattoos nicht sieht. Was haben Sie denn dort erlebt, was dann Sie aber dazu geführt hat zu sagen, nein, ich will ein ganz anderer Bestatter sein?
Wrede: Es war immer geplant, ein eigenes Haus aufzumachen. Aber ich finde, von außen meckern ist immer sehr leicht, und gerade auf eine Branche wie die Bestattungsbranche kann man leicht meckern. Alle haben das Gefühl, es ist zu teuer, was da passiert. Also es wird schnell und gern und viel gemeckert. Und mir war es wichtig, auch da die Mechanismen zu verstehen und kennenzulernen, weil niemand agiert da ja böse, sondern das sind einfach Abläufe, die tradiert sind, die man gelernt hat, so ist es halt seit Ewigkeiten, und das einfach auch zu verstehen. Und wichtig ist, dass ich mich heute hinstellen kann und sagen kann, es gibt Sachen, die mache ich so, weil ich auch weiß, wie es anders ist. Also wirklich beide Seiten zu kennen und auch zu verstehen, war wichtig für den Prozess.

Mit Kindern zimmert Wrede eine Urne für ihren Papa

Scholl: Aber dann sind wir ja schon vielleicht hier bei der Philosophie von "Lebensnah Bestattungen". Der Name ist schon mal so was Schillerndes, da kommt man nicht so unbedingt drauf. Was heißt denn – was ist denn anders bei Ihnen?
Wrede: Ich hatte ein langes Gespräch mit einer Freundin, deren Mutter verstorben ist. Die ging raus und meinte zu mir, wie anders, als das, was wir hier zusammen gemacht haben, sollte ich denn jemand beerdigen. Und das heißt für mich, jemanden lebensnah zu bestatten, nämlich am Ende eine Bestattung zu haben, wo für jeden der rausgeht, klar war, so und nicht anders. Ich habe keine Sachen sinnloserweise abgegeben. Ich hab Sachen selbst in die Hand nehmen dürfen. Wir haben uns relativ früh davon verabschiedet, Särge zu verkaufen. Ich formuliere es mal hart: Mich interessiert nicht, ob jemand einen Eichensarg oder einen Pappsarg haben möchte. Das hat mit Abschied nichts zu tun. Und ob es nachher die teure Marmorurne ist oder nicht, ist auch keine Frage des Abschiedes, sondern es ist eher die Frage, was für Schritte gehe ich zwischendurch.
Und wichtiger noch ist: Sie müssen sich vorstellen, jemanden zu verlieren, ist immer eine gewisse Ohnmacht. Egal, wie viel Geld ich habe, egal, wie schlau ich bin – gegen das Sterben kann ich nichts machen. Und da wieder zurück in eine Aktivität zu kommen, auch Sachen in die Hand zu nehmen und wieder selbst machen zu können. Ich habe vor ein paar Wochen gerade mit – ich muss lachen, Entschuldigung – mit vier Stiften zusammen, alle so klein, wirklich aus einfachen Brettern eine Urne für Papa gezimmert. Die war nicht die schönste Urne der Welt, aber mit wie viel Stolz die auf diese Trauerfeier gegangen sind. Die werden ihr Leben lang wissen, die Urne für Papa haben wir gebaut. Und da ging es nicht um Geld, sondern um Zeit, die verwendet wurde.
Scholl: Sie erzählen in Ihrem Buch in einer ganz schlichten, schönen, alltäglichen Sprache, wobei einem der Gedanke kommt, so kann man auch über den Tod erzählen. Weil man doch ja denkt, wenn es um Tod und Sterben geht, um das Dasein, um das Vergängliche, kommt oft doch eher ein etwas getragener Ton ins Spiel. Sie sind ja auch ein Mann der Literatur, haben Germanistik auch studiert. Sprechen wir irgendwie falsch vom Tod?
Wrede: Nein, anders. Ich glaube – oder ja, ich glaube, wir sprechen falsch vom Tod, weil wir aber auch nichts Besseres gelernt haben. Die automatische Reaktion ist, unsere Stimme senkt sich ein bisschen, wir reden ein bisschen vorsichtiger. Ich glaube, dass man dadurch Sachen im Zweifel verschlimmert. Ich habe im Buch das Beispiel, dass ich mich immer an uns als Jugendliche erinnere, wie wir anfangen, über Sexualität zu sprechen. Da gibt es die Jungs, die da ganz hart drüber sprechen. Da gibt es die, die den Fäkalhumor da auch entwickeln. Bis man irgendwann, weil man es lernt, weil man es mit anderen Menschen zusammen versteht, eine Sprache findet, wie ich normal über unsere Sexualität sprechen kann. Das Gleiche habe ich beim Tod auch. Es gibt so viele Witzbücher über den Tod, dass man immer hintenum fällt. Am Ende ist es aber auch nur eine Strategie, damit nicht umgehen zu müssen. Aber es macht uns keiner vor, und natürlich war ein Ziel des Buchs auch, eine unaufgeregte, ich hoffe, im besten Sinne leicht zu lesende Sprache zu finden, die nicht pathosgeladen ist. Weil, unter uns gesagt, der, der jemanden verliert, leidet genug. Da muss ich nicht durch meine Sprache noch den Beileidshammer draufhauen.

Viele Menschen wollen Trauern wie im Film

Scholl: Und die Literatur ist ja voll von Sterbeszenen. Was weiß ich, Thomas Buddenbrook stirbt oder der kleine Hanno, oder meine Lieblingssterbensszene ist ja bei Karl May, als Winnetou stirbt. Oh Gott, da heult ja, hat ganz Deutschland geheult. Allerdings, Bestattungsszenen – kann ich mich nicht so richtig erinnern. Haben Sie da eigentlich welche gefunden? Gibt es da so schöne Beerdigungskapitel? Müsste man mal gucken.
Wrede: Ja, bei Simone de Beauvoir gibt es auch unglaubliche Sterbeszenen. Aber gute Bestattungsszenen kennt man, und das ist auch so ein bisschen ein Problem, mit dem ich arbeiten muss, Tod im Fernsehen hat immer zwei Szenen: Die Szene bei der Kripo, wo die Leiche identifiziert wird, und irgendeine große Trauerfeier.
Scholl: Und da am Rande stehen dann die Kommissare und schauen sich die Gäste an.
Wrede: Und all das, was aber zu einem Abschied dazugehört, wird so ausgeblendet. Und das ist häufig sowas, was so der erste Schritt ist mit Menschen, die zu uns kommen, mal so die Oberflächlichkeiten zur Seite zu wischen und zu gucken, was wollt ihr denn wirklich. Worum geht es denn dir, wenn du dich von jemandem verabschiedest?
Scholl: Ein ganz wichtiges Kapitel in Ihrem Buch sind Kinder. Wie gehen Kinder mit dem Tod um? Das ist ja, glaube ich, immer so die härteste Naht, sage ich jetzt mal flapsig. Mir fehlt jetzt gerade so ein bisschen das Wort dazu, wie man mit Kindern über den Tod redet. Oder gerade auch, wenn Kinder sterben. Das ist ja immer das Furchtbarste.
Wrede: Bin ich vorsichtig mit, weil ich immer sagen muss, ich möchte nicht bewerten, ob die 63-jährige Ehe, die durch einen Tod zu Ende geht, schlimmer ist – dieses Bewerten ist was ganz Schwieriges. Ich habe mit der evangelischen Kirche hier in Berlin eine Initiative gegründet, die heißt "Kindertrauer Berlin". Ich arbeite unglaublich gern mit Kindern, die jemanden verlieren, weil ich dort im besten Fall – jetzt großspurig – die Saat säen kann, wie gehen die später mit Abschieden um, die die in ihrem Leben haben werden. Wir transportieren unseren Blick auf Trauer auf die Kinder. Die haben ganz andere Fragen an einen Verlust. Für die ist die Frage: Pupst der noch? Also wirklich sehr lustige Fragen. Und vor allen Dingen aber auch egoistische Fragen. Die schönste Logikkette ist, wenn Oma sterben kann, kann auch Mama sterben. Wenn Mama stirbt, wer kocht dann für mich? Also es ist eine sehr weltliche Bezogenheit, und da muss man eher gucken, wie man Antworten drauf findet. Und häufig sind wir Erwachsene die, die das viel schlimmer für die Kinder machen, als es am Ende ist.

Flakes Tochter war die beste Praktikantin

Scholl: Bei Ihrer eigenen Bestattung, Herr Wrede, das wissen wir jetzt durch Ihr Buch, werden die Kings und John Cale laufen. Da dachte ich, ganz schön rock-klassisch für einen Mann aus dem Jahrgang 1980. Wie ist das eigentlich, Sie streuen in Ihr Buch ja auch immer so Interviews ein, teilweise auch mit Rockstars, von Flake, Christian Lorenz von Rammstein, oder von H-Blockx. Wenn Sie alte Kollegen treffen, sagen die, "Hey Eric, bringst mich schön unter die Erde später?"
Wrede: Das ist der Dauerspruch, der eigentlich kommt. Wenn, dann machst du das bitte und kein anderer. Ansonsten muss ich sagen, dass ich mittlerweile auch so viele alte Freunde mit ihren Eltern begleitet habe, dass es eher schön ist, auf was für einen angenehmen, intimen Level man mit Menschen auch kommt. In einer Verlustsituation palavert keiner mehr. Da bist du ehrlich und bist bei dir, und das ist was sehr Schönes. Gerade Flake – Flakes Tochter hat bei uns Praktikum gemacht …
Scholl: Der Keyboarder von Rammstein.
Wrede: Eine der besten Praktikanten, die wir je gehabt haben. Die würde ich sofort einstellen, weil die wirklich so interessiert war an dem, was passiert. Und die Interviews habe ich vor allen Dingen deswegen dabei, weil alle Gäste, die wir haben – wir machen ein Podcast, der heißt "The End", da ist eine total bunte Couleur an Menschen da. Jeder hat eine Verlustsituation, und die meisten, die ich kenne, wünschen sich eigentlich mal einen Raum, darüber normal sprechen zu können.
Scholl: "The End. Das Buch vom Tod", so heißt das Buch von Eric Wrede. Es erscheint im Wilhelm-Heine-Verlag, ab kommenden Montag ist das Buch im Handel. 192 Seiten kosten glatte 16 Euro. Alles Gute dafür und Ihnen persönlich, Herr Wrede, und vielen Dank für Ihren Besuch!
Wrede: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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