Mercedes Bunz: Vom Speicher zum Verteiler
06:48 Minuten
Am 29. April 1993 wurde das World Wide Web für die Allgemeinheit freigegeben. Ende April 2008 feierte das Internet daher seinen 15.
Am 29. April 1993 wurde das World Wide Web für die Allgemeinheit freigegeben. Ende April 2008 feierte das Internet daher seinen 15. Geburtstag. Auf ein menschliches Leben übertragen bedeutet das, die Kinderkrankheiten sollten überstanden, die Kinderschuhe zu klein geworden sein und eine gewisse Reife kann vorrausgesetzt werden. Zeit zu resümieren, wie alles begonnen hat. Die Publizistin und Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz hat die Geschichte des Internet aufgeschrieben. Ihre These lautet das Internet ist kein statischer Ort an dem Daten und Wissen gespeichert wird, sondern ein neues Medium, das sich in einem ständigen im Wandel befindet. Entsprechend ist es an der Zeit, eine zeitgenössische Medientheorie zu erdenken. Gerit Stratmann hat das Buch von Mercedes Bunz gelesen und stellt es in Breitband vor. Hier seine Kritik:
Die Entwicklung des Internets ging nicht nur von einem Ort aus. Seine Entstehung war ein Prozess, an dem mehrere Länder, Institute und Personen beteiligt waren. So ist dem Netz seine verteilte Struktur schon in seinen Anfängen eingeschrieben. Mercedes Bunz referiert in ihrer von medientheoretischen Überlegungen geprägten Geschichte des Internets "Vom Speicher zum Verteiler" kompakt die unterschiedlichen Ansätze bei der Entwicklung des mittlerweile weltumspannenden Netzes.
Ausgehend von der technischen Idee des Timesharing, der Aufteilung der in den 50er Jahren noch kostbaren Rechenzeit einer Maschine auf verschiedene Benutzer, entwickeln sich die ersten Verbindungen einzelner Computer. Aus dem Zusammenschluss mehrerer solcher Netzwerke entstand schließlich das erste inter-net. Dabei macht Bunz deutlich, dass diese Entwicklung nicht nur - wie oft kolportiert wird - aus militärischen Gründen vorangetrieben wurde. Auch handfeste wirtschaftliche Interessen sowie Überlegungen der Computerprogrammierer spielten dabei eine wesentliche Rolle.
Aus historisch-technischer Sicht ist es ein rückwärtsgewandtes Buch, das die Autorin, die zur Zeit Chefredakteurin von Tagesspiegel-online ist, vorlegt. Aus medientheoretischer Hinsicht wirft sie jedoch einen Blick nach vorn. Sie beschreibt das Internet als ein Medium, das permanent im Zustand seiner eigenen Definition begriffen ist. Als solches gewinnt das Netz als Medium eine neue Qualität: seine Unbestimmtheit. Es definiert sich ständig neu durch das, was man gerade damit macht. Es ist wandelbarer als alle Medien zuvor. Email-Programm, Nachrichtenportal, Einkaufskorb, Telefon, Plattform für den Datentausch oder Videoanbieter - das Netz ist alles zugleich.
Darüber hinaus hat es als physisches Gebilde keine feste Gestalt mehr - auch das ist für ein Medium ein neues Merkmal. Das Internet lässt sich nicht mehr eindeutig an ein Ding koppeln. Die Hardware verliert ihre altbekannte Souveränität, sie wird zweitrangig und austauschbar. Das eigentliche Netz etabliert sich nur mit Hilfe von Software, nämlich dem notwendigen Kommunikationsprotokoll TCP/IP. Auch wenn die Hardware weiterhin notwendig ist, bleibt das Netz ohne das Protokoll, nur mit der physischen Verbindung zweier Endgeräte, stumm.
Bunz macht auf die Machtkämpfe aufmerksam, die die Entwicklung des Netzes begleitet haben. Seine heutige Struktur und das Protokoll haben sich gegen Widerstände und andere Alternativen etabliert. Die Telefongesellschaften wollten lieber ein anderes Protokoll (X.25) etablieren, dass ihnen die Kontrolle über den Datenverkehr gestattet hätte. Der Streit in den 70er Jahren um das Protokoll, das "Gesetz des Netzes", war damit schon früh auch ein Streit um die Verteilung der Macht über das Netzwerk. Aber mit seiner heutigen verteilten Struktur ist das Netz von niemandem mehr vollständig und alleine zu kontrollieren.
Mercedes Bunz krönt ihre Historie mit medientheoretischen Überlegungen vor dem Hintergrund postmoderner Denker wie Michel Foucault, Niklas Luhmann und Friedrich Kittler. Sie schlägt eine "Neue Medientheorie" vor, die Medien einmal unter dem Aspekt ihrer Unbestimmtheit betrachten sollte. Schlussendlich, so ihr Fazit, sei Unbestimmtheit eine Facette eines jeden Mediums. Es präge nicht nur die Zeit, in der es benutzt wird, sondern wird auch von dieser Zeit wieder selbst verändert und ist dadurch ständig im Fluss. Darin sieht sie das Potential für eine aus diesem Blickwinkel neu zu denkende Mediengeschichte.
Die Zweiteilung des Buches in eine relativ ausführliche Technikgeschichte und eine vergleichsweise knappe Einordnung des Internets in die Medientheorie hinterlässt einen uneinheitlichen Eindruck.
Wie das Internet entstand, lässt sich seit mindestens zehn Jahren eben dort schon an verschiedenen Stellen in fast beliebiger Ausführlichkeit nachlesen. Eine weitere Geschichte des Internets zu schreiben, wäre demnach nicht unbedingt nötig gewesen, obwohl sie von Mercedes Bunz sehr gut zusammengefasst wird. Aber neue Einsichten in die Historie des Mediums vermittelt sie dabei nicht.
Wirklich eigenständig und interessant wird das Buch deshalb vor allem durch seinen Versuch, eine medientheoretische Erweiterung des Blickfeldes vorzunehmen auf den Aspekt der Unbestimmtheit von Medien. An diesem Punkt könnte vielleicht eine interessante Diskussion beginnen. Das Buch aber endet hier, statt den Gedanken weiter auszuführen. Nicht einmal die Frage, welche neuen Einsichten mit dieser erweiterten Perspektive abseits einer rein medientheoretisch geführten Debatte denn vielleicht zu gewinnen wären, wird vertieft. So bleibt man am Schluss mit einer gut erzählten Geschichte des Internets und einer hübschen Anregung allein. Aber das ist ja immerhin schon was.
Mercedes Bunz: Vom Speicher zum Verteiler. Die Geschichte des Internet, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2008, 147 Seiten, 17.50 Euro
Die Entwicklung des Internets ging nicht nur von einem Ort aus. Seine Entstehung war ein Prozess, an dem mehrere Länder, Institute und Personen beteiligt waren. So ist dem Netz seine verteilte Struktur schon in seinen Anfängen eingeschrieben. Mercedes Bunz referiert in ihrer von medientheoretischen Überlegungen geprägten Geschichte des Internets "Vom Speicher zum Verteiler" kompakt die unterschiedlichen Ansätze bei der Entwicklung des mittlerweile weltumspannenden Netzes.
Ausgehend von der technischen Idee des Timesharing, der Aufteilung der in den 50er Jahren noch kostbaren Rechenzeit einer Maschine auf verschiedene Benutzer, entwickeln sich die ersten Verbindungen einzelner Computer. Aus dem Zusammenschluss mehrerer solcher Netzwerke entstand schließlich das erste inter-net. Dabei macht Bunz deutlich, dass diese Entwicklung nicht nur - wie oft kolportiert wird - aus militärischen Gründen vorangetrieben wurde. Auch handfeste wirtschaftliche Interessen sowie Überlegungen der Computerprogrammierer spielten dabei eine wesentliche Rolle.
Aus historisch-technischer Sicht ist es ein rückwärtsgewandtes Buch, das die Autorin, die zur Zeit Chefredakteurin von Tagesspiegel-online ist, vorlegt. Aus medientheoretischer Hinsicht wirft sie jedoch einen Blick nach vorn. Sie beschreibt das Internet als ein Medium, das permanent im Zustand seiner eigenen Definition begriffen ist. Als solches gewinnt das Netz als Medium eine neue Qualität: seine Unbestimmtheit. Es definiert sich ständig neu durch das, was man gerade damit macht. Es ist wandelbarer als alle Medien zuvor. Email-Programm, Nachrichtenportal, Einkaufskorb, Telefon, Plattform für den Datentausch oder Videoanbieter - das Netz ist alles zugleich.
Darüber hinaus hat es als physisches Gebilde keine feste Gestalt mehr - auch das ist für ein Medium ein neues Merkmal. Das Internet lässt sich nicht mehr eindeutig an ein Ding koppeln. Die Hardware verliert ihre altbekannte Souveränität, sie wird zweitrangig und austauschbar. Das eigentliche Netz etabliert sich nur mit Hilfe von Software, nämlich dem notwendigen Kommunikationsprotokoll TCP/IP. Auch wenn die Hardware weiterhin notwendig ist, bleibt das Netz ohne das Protokoll, nur mit der physischen Verbindung zweier Endgeräte, stumm.
Bunz macht auf die Machtkämpfe aufmerksam, die die Entwicklung des Netzes begleitet haben. Seine heutige Struktur und das Protokoll haben sich gegen Widerstände und andere Alternativen etabliert. Die Telefongesellschaften wollten lieber ein anderes Protokoll (X.25) etablieren, dass ihnen die Kontrolle über den Datenverkehr gestattet hätte. Der Streit in den 70er Jahren um das Protokoll, das "Gesetz des Netzes", war damit schon früh auch ein Streit um die Verteilung der Macht über das Netzwerk. Aber mit seiner heutigen verteilten Struktur ist das Netz von niemandem mehr vollständig und alleine zu kontrollieren.
Mercedes Bunz krönt ihre Historie mit medientheoretischen Überlegungen vor dem Hintergrund postmoderner Denker wie Michel Foucault, Niklas Luhmann und Friedrich Kittler. Sie schlägt eine "Neue Medientheorie" vor, die Medien einmal unter dem Aspekt ihrer Unbestimmtheit betrachten sollte. Schlussendlich, so ihr Fazit, sei Unbestimmtheit eine Facette eines jeden Mediums. Es präge nicht nur die Zeit, in der es benutzt wird, sondern wird auch von dieser Zeit wieder selbst verändert und ist dadurch ständig im Fluss. Darin sieht sie das Potential für eine aus diesem Blickwinkel neu zu denkende Mediengeschichte.
Die Zweiteilung des Buches in eine relativ ausführliche Technikgeschichte und eine vergleichsweise knappe Einordnung des Internets in die Medientheorie hinterlässt einen uneinheitlichen Eindruck.
Wie das Internet entstand, lässt sich seit mindestens zehn Jahren eben dort schon an verschiedenen Stellen in fast beliebiger Ausführlichkeit nachlesen. Eine weitere Geschichte des Internets zu schreiben, wäre demnach nicht unbedingt nötig gewesen, obwohl sie von Mercedes Bunz sehr gut zusammengefasst wird. Aber neue Einsichten in die Historie des Mediums vermittelt sie dabei nicht.
Wirklich eigenständig und interessant wird das Buch deshalb vor allem durch seinen Versuch, eine medientheoretische Erweiterung des Blickfeldes vorzunehmen auf den Aspekt der Unbestimmtheit von Medien. An diesem Punkt könnte vielleicht eine interessante Diskussion beginnen. Das Buch aber endet hier, statt den Gedanken weiter auszuführen. Nicht einmal die Frage, welche neuen Einsichten mit dieser erweiterten Perspektive abseits einer rein medientheoretisch geführten Debatte denn vielleicht zu gewinnen wären, wird vertieft. So bleibt man am Schluss mit einer gut erzählten Geschichte des Internets und einer hübschen Anregung allein. Aber das ist ja immerhin schon was.
Mercedes Bunz: Vom Speicher zum Verteiler. Die Geschichte des Internet, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2008, 147 Seiten, 17.50 Euro