Berufsausbildung für Studienabbrecher

Von der Uni an die Werkbank

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Industriemechaniker-Azubis Dennis Raczkowski (vorn) und Martin Grünefeld beim Hand- beziehungsweise Maschinenbrennschneiden (hinten) im Ausbildungszentrum der Berliner Stadtreinigungsbetriebe BSR.
Nicht nur in Berlin bilden Unternehmen Industriemechaniker aus. Für Studenten des Maschinenbaus kann diese Ausbildung eine Alternative zum Studium sein. © imago / Jürgen Heinrich
Von Silke Hasselmann · 01.03.2019
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Ein Kreuzfahrtschiff bauen statt Hausarbeiten schreiben? In Rockstock und Wismar erfahren Studenten, die ihr Studium abbrechen möchten, wie sie erfolgreich in Ausbildungsberufe wechseln können. Ihre Fähigkeiten sind bei Unternehmen sehr gefragt.
Die meisten Abiturienten tun das, wofür sie am Gymnasium die Reife erlangt haben: Sie beginnen an einer Universität oder Hochschule zu studieren. Dieser junge Mann zum Beispiel, der an seinem Firmenschreibtisch vor zwei Computerbildschirmen mit allerlei Zahlen und Tabellen sitzt, ging noch bis vor kurzem an die Hochschule Wismar. Er möchte seinen Namen nicht genannt wissen, beschreibt aber sein damaliges Problem:
"Ich habe Bachelor Betriebswirtschaft studiert und ich habe beim Studium gemerkt, dass die Inhalte, die da vermittelt werden, nicht so ganz zu dem passen, wie ich mir so ein Studium vorgestellt habe und dass ich eher in die Praxis möchte. Ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte, sondern habe mich über die Hochschule informiert und wurde dann an dieses Programm weitergeleitet."

Richtungswechsel für zweifelnde Studenten

"Dieses Programm" richtetet sich an Leute, die am Sinn eines fortgesetzten Studiums zweifeln oder die bereits wissen, dass sie es abbrechen werden. Der Titel: "Richtungswechsel – noch einmal neu navigieren". Über mehrere Treffen hinweg helfen ihnen Berater von Hochschule, Handwerkskammer, Unternehmerverband oder von der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin dabei, ihren inneren Kompass umzustellen.
"Man hat sich mit mir zusammengesetzt. Hat mal geschaut: Wo waren ganz gute Leistungen vorhanden im Studium? Wo könnten Stärken liegen und welcher Ausbildungsberuf könnte dazu passen? Und bei mir war das jetzt eine Marketing-Ausbildung."
Zu Besuch bei Peter Todt, der im westmecklenburgischen Kammerbereich der IHK zu Schwerin zuständig ist für den Bereich Berufsausbildung. Die zu absolvieren statt zur Uni zu gehen - längst für viele Abiturienten nichts Ungewöhnliches, gar Ehrenrühriges mehr, sagt Peter Todt beim Blick in seine Statistik.
"Das ist mein erstes Ausbildungsjahr, letzten September begonnen. Wir haben jetzt schon 23 Prozent unserer Verträge mit Absolventen, Hochschulreife und Fachhochschulreife, weil wir gute Angebote haben. Das ist der Mechatroniker. Der Informatiker, die Bankberufe, Industriekaufmann. Damit lässt sich viel anfangen."

Studenten bringen eine gewisse Reife und Erfahrung mit

Das gelte auch oder sogar erst recht für junge Leute, die sich für ein Hochschulstudium eingeschrieben haben, es aber aus unterschiedlichen Gründen nicht beenden, findet Peter Todt. Vor vier Jahren hat er das Projekt miterfunden, das zunächst an der technisch ausgerichteten Hochschule Wismar eingeführt wurde. Seit vorigem Herbst richtet es sich auch an die Studenten der Universität Rostock.
Die Idee: Betriebe erhalten Auszubildende, die schon etwas mehr Reife und Wissen mitbringen als Schulabgänger. Zweifelnde Studenten oder Studienabbrecher wiederum kommen in eine Ausbildungsspur, die besser zu ihnen passt als ein Hochschulstudium mit seinen klassischen, hochgradig frustrierenden Fallstricken:
"Im Bereich der Informatik, im Bereich Bauingenieurwesen ist es Mathematik und Statistik. Da merken die meisten: Ich wollte programmieren, ich wollte eigentlich kein Mathematiker werden. Da werden sie innerlich unzufrieden, vergeigen die Prüfung. Und wenn wir ihnen dann ein Angebot machen können und sagen: Pass auf! Wenn du Informatik studiert hast, fünftes, sechstes Semester, passt zweites Ausbildungsjahr Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung perfekt. Bauingenieurwesen nehmen die Unternehmen mit Kusshand. Maschinenbau genauso. Dann können wir ihm sagen: Konstruktionsmechaniker, Industriemechaniker, vielleicht auch Technischer Systemplaner – das passt. Das heißt: Wir sind an der Hochschule dran, wenn ein Student innerlich wackelt, dass wir ihm ein Angebot unterbreiten: Du kannst dich an uns wenden, ohne dass das sofort jemand mitbekommt."

Plan B für Studierende

Unterwegs auf dem Hochschulcampus Wismar, genauer gesagt in der modernen Bibliothek. Auf in die zweite Etage, wo sich jenes kleine Bürozimmer befindet, in dem Julia Reichelt ratsuchende Studienzweifler oder Studienabbrecher zum ersten Mal trifft.
"Aber nicht jeder Studienabbrecher möchte sie als dieser identifizieren lassen. Und es ist nicht immer der Abbruch. Es ist auch mal der Wechsel oder einfach das Gespräch, um einen Plan B in der Hinterhand zu haben. Es sind pro Jahr ca. 50 Studierende, die zu uns kommen und tatsächlich sind es so drei bis vier Gespräch pro Student, mit denen wir so arbeiten. Es sind schon 90 Prozent, die dann auch die Spur wechseln."
Campus der Hochschule Wismar mit Blick auf das Bibliotheksgebäude.
Campus der Hochschule Wismar mit Blick auf das Bibliotheksgebäude.© Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Zwei promovierende Tutoren haben das Ohr an der studentischen Masse. Sie bekommen oft Tipps von Kommilitonen oder Freunden und weisen dann die betreffenden Studienzweifler diskret daraufhin, dass sie mit gut vernetzten Leuten von Hochschule, Unternehmerverbänden und Kammern an einem Richtungswechsel feilen können. Auch Julia Reichelt, die an der Hochschule arbeitet, ist auf alle möglichen Fragen vorbereitet: Welche Berufsausbildung wäre möglich? Was passiert mit dem BaföG? Wie sage ich es meinen Eltern? Denn:
"Hauptsächlich ist es schon der endgültig nichtbestandene Versuch. Sie haben keinen Studienabschluss, die meisten davor auch keinen Berufsausbildung, und hoffen natürlich, dass wir sie dabei unterstützen können, eine entsprechende Berufsausbildung zu finden und vielleicht sogar Sachen teilweise anrechnen lassen zu können."

Studienabbruch aus finanziellen Gründen

So geschehen voriges Jahr bei jenem jungen Mann Ende 20, der eine Berufsausbildung gemacht hatte und nun Maschinenbau studieren wollte.
"Er war auch wirklich gut mit den Noten. Aber aus finanziellen Gründen konnte er es nicht mehr zu Ende machen und war bei uns und hat nun überlegt, was er daraus noch machen kann. Und unter anderem gibt es auch Aufstiegsfortbildungen, und in diesem Bereich ist er dann auch gelandet. Wir haben ganz eng mit der IHK zusammengearbeitet. Die haben ihn sehr gut beraten und in ein Aufstiegsfortbildungsprogramm zum Industriemeister begleitet. Und wir haben dann auch ein Partnerunternehmen gefunden."

Schiffs-Werft statt Hörsaal

Und zwar die derzeit stark expandierenden MV Werften, die in Wismar, Rostock und Stralsund die weltgrößten Kreuzfahrtschiffe für den asiatischen Markt bauen werden und Fachkräfte sowie Azubis suchen.
Doch manch Studienabbrecher hat einen noch kürzeren Weg hin zur neuen Ausbildungs- und Arbeitsstätte. Die einst von der Hochschule Wismar ausgegründete Marketingfirma WINGS, die sich um die Organisation der Fernstudien-Angebote kümmert, sitzt am Rande des Campus und hat schon mindestens vier Studienabbrecher von nebenan in Ausbildung bzw. Anstellung genommen. Auch diesen Ex-BWLer, der zwar die beim Studium erlangten Credit Points nicht unmittelbar einbringen konnte, aber:
"Meine Ausbildung wäre regulär über drei Jahre gegangen. Bei mir hat sich das dann über den Zeitraum so ergeben, dass ich die Ausbildung um etwas mehr als ein Jahr verkürzen konnte."

Einstieg ins zweite Ausbildungsjahr

Wie lange jemand bereits studiert hat und wie groß das erlangte Vorwissen ist, all das spiele natürlich eine Rolle, erklärt Peter Todt von der IHK zu Schwerin. Aber grundsätzlich passiere folgendes, wenn sich ein Studienzweifler oder Abbrecher für einen Spurwechsel entscheidet:
"Er steigt bei uns, wenn er in die Berufsausbildung rein möchte und wenn das Ganze fachlich passt, garantiert im zweite Ausbildungsjahr ein. Das heißt also, wir erlassen Zeiten und versuchen, das möglichst unkompliziert zu machen, weil wir wissen: Er hat ja schon Leistung gebracht. Er bringt ja was mit."

Scham und Versagensangst

Nun ist es aber meistens so, dass Familie und Gesellschaft von Abiturienten doch erwarten, dass sie einen akademischen Abschluss machen. Das erzeugt bei vielen Studenten das Gefühl des Versagens und eine gewisse Scham, sich mit einer Berufsausbildung zu befassen. So auch bei diesem Wismarer Studienabbrecher, der seinen Namen nicht nennen will, wohl aber einen Ratschlag hat:
"Man fängt das Studium an. Man möchte es erfolgreich zu Ende bringen. Und auf halber Strecke merkt man: Es ist halt doch nicht das, was ich gerne machen möchte. Da ist es, glaube ich, so, dass viele den Absprung einfach verpassen. So war es bei mir persönlich auch. Und wenn ich es jetzt von Anfang an noch mal machen könnte, würde ich da eher eine Reißleine ziehen, als ich es jetzt gemacht habe. Da sollte man auf jeden Fall keine falsche Scheu haben."
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