Dänischer Roman

Keine heile Welt

Die dänische Schriftstellerin Helle Helle
Die dänische Schriftstellerin Helle Helle © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Peter Urban-Halle · 25.03.2015
Die Autorin Helle Helle gilt in Dänemark als wichtigste Deuterin der dänischen Mittelschicht und Landbevölkerung. Auch in "Färseninsel" kommt die einsame und depressive Anti-Heldin wieder aus der Provinz und müht sich mit ihrem Mann und ihren Mitmenschen.
Ganz am Ende erlaubt sich die Autorin Helle Helle eine kleine Portion Selbstironie. "Du schreibst Bücher?", wird ihre Heldin Bente gefragt, die nun wirklich keine Heldin ist. Was ihre Personen in diesen Büchern denn so täten? Die Antwort klingt ernüchternd: "Kaffee trinken und reden und so was."
Viel mehr passiert auch bei Helle nicht. Mitten im Winter steigt eine Frau mittleren Alters an einer einsamen und trostlosen Bushaltestelle an der Südküste Seelands aus, der dänischen Hauptinsel, auf der auch Kopenhagen liegt. Wie nebenbei erfahren wir irgendwann ihren Namen und ihr Alter: Bente, 42 Jahre alt. Hier, im provinziellen Nirgendwo, sucht sie "einen guten Ort, um zu weinen". Doch der Grund von Bentes Tränen wird nur häppchenweise verraten. Helle legt die Rätsel und Unheimlichkeiten unseres normalen, dürftigen Lebens frei. Aber sie erscheinen erst nach und nach wie früher die Fotografien im Entwicklerbad.
Diese unbekannte, nicht sehr gesprächige Frau
Als Bente ausgestiegen ist, zieht ein Unwetter auf. Nach einer Weile kommt ein jüngerer Mann mit seiner Frau vorbei, sie heißen John und Putte. Ihr Leibgericht ist "Hacksteak mit Gemüse in weißer Soße", ein gediegenes, normales Gericht, das zu ihnen und dieser Gegend passt, in der, wenn es zu sehr stürmt, der Strom ausfallen kann, das ist dann sehr aufregend. Diese unbekannte, nicht sehr gesprächige Frau bringt ein wenig Abwechslung in das Leben des Paares.
Die beiden schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durchs Leben. Sie sind froh, dass Bente ihnen Gesellschaft leistet. Ja, sie ist ihnen sogar nützlich, indem sie sich täglich um die beiden Jagdhunde des Onkels kümmert, der im Augenblick im Krankenhaus liegt. Bente fühlt sich hier wohl. Zu Hause hatte sie wochenlang auf dem Sofa gelegen, sie hatte das Wohnzimmerfenster verdunkelt, immer wieder neue Sachen angefangen, ohne etwas zu beenden: Sie litt an einer handfesten Depression. Wie oft bei Helle gibt es auch in diesem Buch Schlüsselsätze, die den Zustand der Hauptfigur schlagartig enthüllen, es sind Reflexionen der Heldin selbst: "Ich frage mich, wofür ich besondere Gefühle hege."
Sätze, die sich im Innern des Lesers einnisten
Diese Sätze sind nicht sehr spektakulär, man denkt nach ein paar Seiten nicht mehr daran, aber sie nisten sich im Innern des Lesers ein, sie schwelen unter der Oberfläche fort. Ihr minimalistischer Realismus sagt wenig und enthüllt viel. Mit derlei reduzierten Mitteln erzielt diese dänische Autorin größte Effekte. Manchmal überspringt sie sogar entscheidende Ereignisse und präsentiert uns gleich das Ergebnis, aus dem wir dann schließen, was geschehen sein muss. John und Putte und ihr Bruder Ibber fühlen sich schuldig am Tod von Puttes Mutter, der Onkel wurde von Frau und Kindern verlassen – eine heile Welt ist das nicht.
"Es war, als würde ich mich immer nur darauf freuen, alles zu überstehen." Noch so ein Satz, der im Kopf des Lesers rumort. "Färseninsel" ist ein Roman über die Zeit, die einen belasten kann, wenn zu viel davon da ist. Hier ist nicht die Hektik des modernen Lebens das Problem, das Problem sind diese Tage, die nicht vorbeigehen wollen, die man "überstehen" muss.

Belletristik: "Helle Helle: Färseninsel, aus dem Dänischen von Flora Fink"
Dörlemann Verlag, Zürich 2015
223 Seiten, 19,90 EUR