Ausstellung auf Burg Klempenow
Der Bühnen- und Kostümbildner Bert Neumann starb völlig überraschend am 30. Juli 2015 im Alter von 54 Jahren in seinem Ferienhaus in Mecklenburg-Vorpommern. © imago/DRAMA-Berlin.de
Bert Neumann schöpfte seine Kreativität aus dem Alltag
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Bert Neumann ist untrennbar mit der Berliner Volksbühne und Frank Castorf verbunden. Seine Kostüme und Bühnenbilder waren aber auch in Inszenierungen in München, Stuttgart oder Wien begehrt. Nun sind seine Werke auf der Burg Klempenow zu sehen.
"Treppe hoch“, sagt Leonore Blievernicht und steigt über die hölzerne Außentreppe hinein in den dunklen Bauch der knapp 800 Jahre alten Burg Klempenow. Einst Rückzugsort für pommersche Herzöge, nun Heimstatt der ersten Bert-Neumann-Ausstellung seit dem plötzlichen Tod des begnadeten Bühnen- und Kostümbildners am 30. Juli 2015.
Der Blick fällt auf bewegte Schwarz-Weiß-Bilder. Ein Video in Dauerschleife, das die Kuratoren Leonore Blievernicht und Thilo Fischer "The Lost Sex Tapes" genannt haben. Er erklärt:
"Wir haben alte Mini-DV-Tapes gesichtet – Privataufnahmen von 1995 bis 2007 oder so etwas – und haben die montiert. Die zeigen hier die Gegend. Wir sehen auch die Burg, wir sehen den Garten, das Privathaus, die Familie, die Suche nach einem neuen Haus."
"The Lost Sex Tapes"
Von Sex kann auf diesen Aufnahmen keine Rede sein. Privat sind sie allemal. Ob es ihr schwerfällt, sie mit der Öffentlichkeit zu teilen? Die aus dem mecklenburgischen Wismar stammende Fotografin Leonore Blievernicht, deren Bert-Neumann-Association sich um den künstlerischen Nachlass kümmert, schüttelt den Kopf und sagt:
"Ich habe Bert Neumann 1982 oder 1983 kennengelernt - ist schon lange her. Irgendwie war unser ganzes Leben eine seltsame Vermischung von Privatem und Arbeit, weil wir auch zusammengearbeitet haben. Deswegen fällt es mir nicht schwer."
Für die kurze Dauer des Videos – zehn Minuten – könne man es sich auf den für Bert Neumann klassischen Monobloc-Stühlen gemütlich machen, ergänzt Fischer.
Insgesamt vier weiße, unkaputtbare Plastikstapelstühle stehen vor der Videoleinwand, aber nicht auf den blanken Holzdielen, sondern auf dem – ein Blick in den Katalog verrät es – knapp drei Meter mal fünf Meter großen "Stalin-Bodentuch" aus dem Bühnenbild für die "Brüder Karamasow" von 2015.
Mehrfach "Bühnenbildner des Jahres"
Das war die letzte Volksbühnen-Inszenierung für Frank Castorf – und sollte die letzte Theaterarbeit des mehrfach als "Bühnenbildner des Jahres" ausgezeichneten Künstlers Bert Neumann bleiben. Dennoch – oder gerade deshalb – wollten sie dieses Artefakt für die Ausstellung nicht extra reinigen, erklärt Thilo Fischer:
"Wie man sieht: Der ist total versifft. Mit diesem Bodenleger wurden 100 Vorstellungen gespielt. Ein wahnsinnig langer Abend von fünf Stunden. Dieser Bodenleger liegt auch nicht unbedingt hier, weil er so wahnsinnig gut das Gesamtwerk oder eine Linie im Gesamtwerk von Bert Neumann repräsentiert. Eher, weil er hier gut reinpasst und uns gut gefällt; weil er auch eine Funktion hat: Er ist benutzbar. Die Leute latschen hier genauso drüber. Neue Spuren, neue Fußspuren werden sich da abzeichnen. Das ist der Umgang mit dem umfangreichen Archiv, auch diesem sperrigen Archiv von Bühnenbildern, Leuchtobjekten, Kostümen."
Bert Neumann irritierte die Zuschauer gern
Dort, wo noch am ehesten Tageslicht den offenen Raum erhellt, stehen sieben Schaufensterpuppen mit Rokoko-Kostümen aus der Berliner Volksbühnen-Inszenierung "Ein Chor irrt sich gewaltig" von 2007. Neumann, der in der Regel Vorhandenes nutzte, vermischte und neu ins Spiel brachte, habe diese Kostüme komplett selbst entworfen und – er irritierte die Zuschauer gern – Stoffe mit sogenannten Ethnomustern verwendet.
Diese Kostüme stünden hier, weil sie sehr gut in den Raum passten, erklärt Blievernicht: "Wir haben natürlich beileibe nicht alles. Bert Neumann hat 240 Stücke gemacht. Aber wir haben eigentlich eine ganz gute Auswahl, gerade auch bei den Kostümen, und auch immer ein Lagerproblem.“
Eine Holz- und eine sehr enge Wendeltreppe höher im Turmdach: Eine kleine Lautsprecheranlage drückt eine „Tosca“-Arie in einer Live-Aufnahme von 1957 durch die Gemäueröffnungen in den Sommerhimmel über Klempenow. Die Musik, die Blievernicht und Neumann liebten, begleitet jeden, der auf den Balkon tritt und den Blick in circa 20 Metern Höhe über die Kanu-Wanderstation, die Felder und ein Heer an riesigen Windkraftanlagen in der Ferne schweifen lässt, von denen sich nur wenige drehen.
Sein Credo: Keine Angst haben vor Kunst
Dann ist da um die Ecke die Autobahn A20 Lübeck–Rostock–Stettin mit der Auf- und Abfahrt, was laut den Kuratoren Fischer und Blievernicht den Ausstellungstitel erklärt: "1 km Raststätte. Bert Neumann".
Was Menschen über Bert Neumann wissen sollen, die ihn oder seine Werke zu Lebzeiten nicht kennenlernen konnten? Blievernicht, die bis zu seinem Tod am 30. Juli 2015 mit dem kreativen wie freigeistigen Bühnen- und Kostümbildner gelebt und gearbeitet hat, denkt kurz nach und sagt dann:
"Diese Vermischung und das Miteinandervernetzen von ganz vielen Dingen – ich denke schon, dass das eine Art Credo war. Ich finde, dass man keine Angst haben muss vor Kunst, dass man sich gut damit auseinandersetzen und so in den Alltag eingreifen kann, dass es Spaß macht und nicht anstrengend ist."