Bernd Roeck: "Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance"

Zwischen Geist und Gewalt

Buchcover "Der Morgen der Welt" von Bernd Roeck / im Hintergrund: Gemälde von Jacopo Tintoretto "Die Bekehrung des Saulus"
Bernd Roeck legt einen Parcours durch die europäische Denk-, Herrschafts- und Sozialgeschichte vor. © C.H.Beck / imago / Le Pictorium
Von Thorsten Jantschek · 22.02.2018
Die Renaissance markiert in Europa die Epoche des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit. Philosophie, Kunst und Literatur erneuerten sich in dieser Zeit von Grund auf. Ohne die Düsternis der vorangehenden Jahrhundert wäre das jedoch nicht möglich gewesen, schreibt Bernd Roeck in seinem neuen Buch.
Es ist der Beginn der Moderne, zumindest in ihrer die westliche Welt prägenden Variante. Und es ist – zumindest so, wie Bernd Roeck die Renaissance erzählt – eine "Diskursrevolution", die da im 13. und 14. Jahrhundert begann, die Welt zu verändern: ein "großes Gespräch", das in Europa das Denken, die Wissenschaften, die Kunst revolutionierte. Nicht zuletzt vorangetrieben durch Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks, der es ermöglichte, neues Denken in bis dahin ungeahntem Maß in Umlauf zu bringen. Und durch das Entstehen von Universitäten in Paris, Oxford oder Bologna, dem Geburtsort der modernen Universität im 11. Jh.
Aber war das ein Epochenbruch? Ist die moderne Welt wirklich durch die Überwindung des dunklen Mittelalters und die Abwendung von der scholastischen Philosophie, den Rückgriff auf antikes Denken entstanden? Natürlich nicht! Für Bernd Roeck gilt: "Die ältere Vorstellung, die Renaissance sei als Aufstand gegen ein verkrustetes scholastisches System zu begreifen, gehört auf den Schuttplatz der Ideengeschichte." Und so ist es kaum verwunderlich, dass man, bevor die Renaissance als Zeitalter eigentlich beginnt, bereits einen 500-seitigen Parcours durch die europäische Denk-, Herrschafts- und Sozialgeschichte zurückgelegt hat, der zum einen den Reichtum mittelalterlichen Denkens entfaltet, zum anderen aber auch zeigt, welch archaische und gewalttätige Herrschaftspraktiken die spätmittelalterliche Lebenswelt prägten.

Das Mittelalter hörte nicht einfach auf

Das setzt sich auch in der Renaissance fort. Und man ist immer wieder erstaunt und erschrocken, wenn Roeck durch geschickte Montagen von martialischen Gewalttechniken, Hexenverbrennungen oder Foltermaßnahmen erzählt und dann wieder leuchtend die Entdeckung des Menschenrechtsdenkens, die Entfaltung von Literatur und Kunst beschreibt. So entsteht ein Bild aus Nähe und Distanz, aus Vertrautheit und Befremdung. Roeck bindet stets die Errungenschaften des Geistes zurück an realgeschichtliche Voraussetzungen, zu denen Hunger, Pestepidemien, Kriege und Aufstände gehören.
Aber natürlich kommen auch die Superstars der Renaissancekultur in seinem umfassenden, aus globaler Perspektive entworfenen Epochenbild vor. Und zwar in durchaus überraschender Weise. Überraschend deshalb, weil die europäische Geschichte in den letzten Jahren zunehmend auch als eurozentristisches Projekt betrachtet worden ist, als eine Blüte auf dem blutigen Boden kolonialer, unterwerfender Praktiken der Europäer in aller Welt, von Asien über Südamerika bis Afrika. Da mutet es schon merkwürdig an, wenn Roeck erklärt, dass die Geschichte der Moderne im Grunde die der Errungenschaften von weißen Männern ist.
"Nur durch die Leistungen Einzelner wird aus einer Möglichkeit Wirklichkeit", stellt er nüchtern fest und meint damit, dass zwar die ökonomischen Grundlagen und ideengeschichtlichen Rahmenbedingungen es nahegelegt haben mögen, dass bestimmte Entwicklungen sich ereignen, dass aber revolutionäre technische Erfindungen (Gutenberg), große Entdeckungen (Kolumbus oder Marco Polo), wissenschaftliche Revolutionen (Galilei oder Kopernikus) oder ästhetische Horizonterweiterungen (Raffael, Michelangelo oder Leonardo) doch von konkreten Menschen gemacht werden müssen.

Hochkulturen halten sich nicht ewig

Dass dies alles in Zentraleuropa geschehen ist, scheint für Roeck eine historisch nicht weiter problematische oder zu problematisierende Tatsache, umso mehr, als der Autor durch den Blick in die anderen Weltgegenden, Asien, Afrika, den Nahen Osten und die arabische Welt, immer wieder zeigen kann, dass hochkulturelle Ansätze sich nicht weiter entwickelt haben, etwa nicht zu der Trennung von Religion und Staat führten, die Europa bis in die Gegenwart hinein kennzeichnet. So beschreibt er beispielsweise ausführlich den Niedergang des mittelalterlichen Gelehrsamkeitszentrums Bagdad oder erklärt, warum das erste "große Gespräch" zwischen Damaskus, Samarkand und Kairo am Ende doch nur in Venedig, Florenz, Pisa, Bologna, aber auch in Paris oder Oxford weitergeführt wurde.
Dass Hochkulturen nur für eine bestimmte Dauer entstehen, dass geistesgeschichtlich leuchtende Epochen zu Ende gehen, ist nicht nur eine selbstverständliche Einsicht dieses reichen Buches, sondern es lässt den Leser und die Leserin auch mit einem mulmigen Gefühl im Blick auf die in der Renaissance entstandenen Moderne zurück. "Die welthistorische Epoche, die mit der Renaissance begonnen hat", schreibt Bernd Roeck ganz am Ende seines Buches mit einem melancholischen Unterton, "mag ihr Ende erreicht haben, während auf der östlichen Seite des Globus eine neue beginnt."

Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance
C.H. Beck Verlag, München 2017
1304 Seiten, 44 EUR